Das Buch von Olaf Henkel: "Die Abwrackler" erklärt aus seiner Sicht
die Ursachen der aktuellen Finanzkrise, die sich nach Henkels Worten bis in die
Amtszeit von US-Präsident Jimmy Carter (1977-1981) zurückverfolgen lassen. Der
Politik wirft er angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise Versagen vor, da
sie an einem "Neosozialismus" festhalte und die Grundprinzipien der
sozialen Marktwirtschaft, zu deren Vätern er neben Ludwig Erhard auch Ökonomen
wie Smith, Ricardo und Schumpeter rechnet, nicht mehr einhielten. Man müsse -
so Henkel - zur Erhardschen Markwritschaft zurückkehren. Dafür verwendet er
den Begriff "Retroliberalismus" (S. 230).
Mehrere Vorschläge unterbreitet Henkel, die Deutschland aus seiner Sicht aus
der Krise helfen würden:
1.) Lockerung des Kündigungsschutzes, der mehr Arbeitsplätze schaffe und
dafür sorge, dass Arbeitslose auch in Krisenzeiten in wenigen Wochen eine neue
Stelle fänden.
2.) Abkehr von inflexiblen Flächentarifverträgen und Einführung
individuellerer Lösungen für Unternehmen
3.) Reduzierung von Sozialabgaben und Veränderungen im Gesundheitssystem: nur
für medizinische Grundversorgung und Absicherung der hauptrisiken soll jeder
den gleichen Grundbetrag zahlen und sich darüber hinaus privat versichern. Im
übrigen favorisiert er ein flexibles Renteneintrittsalter und die Einführung
einer Betriebsrente als zusätzliche Altersvorsorge.
4.) Eine Finanzverfassungsreform zur Konsolidierung der Staatsfinanzen.
5.) Für die Finanzwirtschaft müsse gelten: Kaufe und verkaufe keine Produkte,
von denen sie nichts versteht. Abschaffung der undurchsichtigen
"Verbriefungen"
6.) Aussagefähigere Bilanzen, in der alle Risiken der Geschäfte der
Finanzwirtschaft (etwa, welche Gefahren sich hinter sogenannten
"Auslagerungen", den sogenannten Conduits verbergen) offengelegt
werden müssen
7.) Bei Weizterverkauf von sogenannten Asset Backed Securities, also
Zertifikaten und Verbriefungen, muss das verkaufende Institut ein bleibendes
Interesse an der Seriosität dieser Papiere auch nach deren Verkauf haben, etwa
dadurch, dass der Zwischenhändler einen bestimmten Prozentsatz der
weiterverkauften Papiere im eigenen Portefeuille behalten muss.
8.) Wirklich unabhängige Rating-Agenturen, die staatlich organisiert sind und
nicht von Firmen, die sie zu bewerten haben, abhängig sind
9.) Schaffung einer globalen Aufsichtsinstanz für den globalen Finanzsektor,
etwa einer World Finance Organizazion. Diese soll die Einhaltung strikter
Regelungen im Finanzbereich übernehmen.
10.) Größere Flexibilität bei eingeführten Regeln. Wenn sie in einer
unvorhergesehenen Krise krisenverschärfend wirken (Beispiel: die sogenannten
Basel-II-Regelungen), sollen sie schneller korrigiert und bei Bedarf abgestellt
werden können, um die Krise nicht zu verschärfen.
11.) Größere Verantwortung bei der Festsetzung von Managergehältern und
Aushandlung von Bonuszahlungen
12.) In Sachen staatlicher Intervention in den Bankensektor plädiert Henkel
für ein Entweder-Oder: entweder keine Verstaatlichung von Banken oder
Verstaatlichung aller Banken, aber Schaffung gleicher "Grundlagen"
für alle Banken. Alle Banken müssen "gleichbehandelt" werden und ein
tragfähiges Geschäftsmodell haben, auch die Landesbanken.
13.) Frühwarnsystem für Blasen und Hypes. Zusammenarbeit der
Wirtschaftsinstitute mit psychologischen Forschungsinstituten, um die Gefahren
"böser" Überraschungen durch Nicht-Berücksichtigung psychologischer
Elemente in der Wirtschaft zu vermeiden.
14.) Vorbilder und abschreckende Beispiele von Wirtschaftsführern
gleichermaßen benennen. Die Wirtschaft soll sich deutlicher und entschiedener
von ihren "scharzen Schafen" distanzieren und diese auch deutlich in
einer "Hall of Shame" benennen und an den Pranger stellen.
Das Buch ist in jedem Fall hochinteressant zu lesen. Insbesondere die
Erfahrungen Henkels als Aufsichtsratschef und ehemaliger Präsident des BDI
fließen, etwa bei der Affäre der IKB oder der Bewertung des
Conti-Scheffler-Übernahme-Krimis mit ein.
Was mir gefällt, ist die deutliche Sprache. Ungeschnörkelt kommt Henkel zur
"Sache" und benennt die Probleme, die sich aus seiner Sicht - nicht
erst seit der Finanzkrise - ergeben haben und bietet Lösungsvorschläge an.
Um nicht mißverstanden zu werden: der Leser muss mit diesen
Lösungsvorschlägen nicht einverstanden sein und sollte auch andere Bücher
über die Wirtschafts- und Finanzkrise lesen, um sich mit den Gegenargumenten zu
Henkels Thesen vertraut zu machen und somit ein differenzierteres Bild zu
machen. So bietet sich als parallele Lektüre etwa das Buch von Lucas Zeise:
"Ende der Party" an, der aus der von Henkel kritiserten
"neosozialistischen" Perspektive argumentiert und teilweise zu
entgegengesetzten Schlüssen kommt wie Henkel, in einigen Punkten - etwa in
Bezug auf das Desaster bei der IKB - aber ähnliche Auffasungen wie Henkel
vertritt.
Fazit
Insofern: eine anregende Lektüre eines streitlustigen Mannes, der sehr klar
auspricht, was er denkt und dabei neben Politikern auch Wirtschaftsführer -
etwa den früheren Daimler-Chef Schrempp, deutlich kritisiert.
"Ausgewogenheit" in dem Sinne, dass Henkel differenziert auf
Gegenargumente eingeht, kann man von diesem Buch nicht erwarten, wohl aber
erfrischende Offenheit und Klarheit in der an sich stimmigen Analyse. Daher
lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 17. Januar 2010 2010-01-17 18:38:17