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Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biografie

Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biografie

von Reinhard Mehring
Verlag: Verlag C. H. Beck [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Biografie
ISBN-13 978-3-406-59224-9

Preis: 19,49 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. Dezember 2024]
Es ist sehr gewagt, die marxistische Staatstheorie mit den Schriften Carl Schmitts zu verknüpfen. An der Freien Universität zu Berlin gab es im Jahr 2004 am Otto-Suhr-Institut eine solche politiktheoretische Veranstaltung. Sie setzte sich aus konservativer Sicht mit dem bürgerlichen Staat und der immanenten Tendenz zur Diktatur - wie es auch Karl Marx lehrte - auseinander. Carl Schmitt (geboren 1888 in Plettenberg) sah seinerzeit die bayerische Rätepolitik als Initial für den späteren Antikommunismus und lehrte in seiner politischen Theorie gleichermaßen, daß die Erkenntnis des politischen Feindes stets Klarheit verschaffe. So war er recht realistisch, den revolutionären Marxismus als System zu sehen, das den Liberalismus auszumerzen in der Lage war. Der Feind war für ihn innerhalb der Mauern des Weimarer Systems.

Schmitt selbst wendet sich aber dem System des italienischen Faschismus zu, obwohl er noch Reibungspunkte zur katholischen Kirche hatte, der er sich als geborener Sauerländer selbst noch sehr verbunden fühlte. Robert Michels z.B. als deutscher Sozialist wird Faschist in Italien. Schmitts Gedanken zu diesem Phänomen finden sich in seiner Schrift "Zur geistesgeschichtlichen Lage des Parlamentarismus" (1923). Er ist fasziniert vom syndikalistischen Generalstreik (Georges Sorel - "Alle Räder stehen still, wenn dein Arm es will") und entwickelt eine Parlamentarismuskritik als Teil der Liberalismuskritik. Am Marxismus und der KPD mißfallen ihm die Militanz. Das Faszinosum der Volksmassen des kommunistischen Internationalismus hingegen macht auf Schmitt Eindruck.

So ist Carl Schmitt bis heute neben Martin Heidegger und Max Weber der weltweit am meisten rezipierte deutsche Denker des 20. Jahrhunderts. Es ist daher ein besonders großes - gefährliches - Unterfangen, sich in einer solchen Biographie wie der vorliegenden diesem Denker zu widmen. Das Buch trägt zudem den recht konventionellen und möglichst allumfassenden Untertitel "Aufstieg und Fall" und nimmt es - ob gewollt oder nicht - automatisch auf sich, sich mit der 1993 von Paul Noack publizierten Biographie messen zu müssen. Entsprechend unklar ist es, wieso dieses Buch bisher fast nur positiv besprochen wurde. Denn Mehring gelingt es stellenweise wenig, das gesammelte Material verständlich niederzuschreiben. Hinzu treten die üblichen und heute primitiv anmutenden Standard-Evaluationen in Sachen Schmitt, die sich lediglich auf - die immerhin seitens Schmitt überzeugende - Demontage des liberalen Rechtsstaates als Verfassungsfassade oder seinen so genannten "Antisemitismus" konzentrieren. Fehlen darf natürlich auch nicht der Gemeinplatz, Schmitt habe Adolf Hitler juristisch den Steigbügel gehalten, ohne Schmitt als Phänomen aus seiner Zeit heraus zu beurteilen.

Wie dem auch sei - eine wirklich reife Biographie sollte sich den Gründen und Argumenten Schmitts widmen, sich ihrer Sprengkraft widmen, und diese nicht per se ins Abseits stellen, um sich damit zugleich in den "wissenschaftlichen" bundesdeutschen Nachkriegskanon einzuordnen. Dazu gehört auch, anzuerkennen, daß sich bisher kaum jemand den Argumenten Schmitts wirklich gewachsen gezeigt hat und daß gerade ein reifer "Rechtstaat" diese Angriffe gegen ihn ernst nehmen und abwehren müßte, wenn er wirklich diesen Namen verdient. Schmitts Theorien über Freund und Feind, Legalität und Legitimität, den Begriff des Politischen wurden in alle Weltsprachen übersetzt und von erzkatholischen Konservativen gleichermaßen intensiv gelesen wie von den kommunistischen Revolutionären der Dritten Welt. Und niemand konnte sie bisher absolut von der Hand weisen! Hinzu tritt bei Schmitt der Reiz, der antiquierten bürgerlichen Existenz die Leviten zu lesen. Schmitt übertrug diese Haltung ins politische Denken (160f.). Kriegerische und revolutionäre Begeisterungen gehören zur Intensität des Lebens. Jede rationalistische Deutung würde die Unmittelbarkeit des Lebens täuschen.

Viel ist gleichermaßen über Schmitts Katholizismus geschrieben worden. Mehring aber sieht religiöse Fragen eher als marginal an. Anders gerade Carl Schmitt, der selbst gegenüber Karl Marx den Theoretiker Bakunin bevorzugte, der die Theologie ernster genommen habe als Marx. Den Katholizismus-Essay der Bonner Zeit beurteilt Mehring als "Werbeschrift in eigener Sache" (184). Entscheidend für Schmitts Entfremdung von der Kirche sei deren Weigerung gewesen, seine erste Ehe zu annullieren. Schade nur, daß Mehring bei Carl Schmitt die Betonung des Gegensatzes zwischen dem Katholizismus mit seiner spezifischen Form der Repräsentation und des modernen Rationalismus mit seinem mechanischem ökonomisch-technischen Apparat ebenso wenig herausstellt, wie Schmitts zeitweise Präferenz für den politischen Katholizismus. Die Ökonomie höhlte für Schmitt die Autonomie des Politischen aus und das wirtschaftliche Denken reduziert die Welt auf pragmatische Probleme und zu befriedigende Bedürfnisse. Damit wird die Wertfrage ausgeklammert, die Schmitt im Katholizismus ernst genommen sieht. Das Weltbild im ökonomischen Denken gleiche sich bei dem Industrieproletariat und beim industriellen Unternehmer einander an. Sie kämpfen gegen Politiker und Juristen und sorgen damit potentiell für ein drohendes Chaos. - So Schmitt in seiner Katholizismus-Schrift ("Römischer Katholizismus und politische Form", 1923). So ließe sich auch kombinieren, daß die Ordnungsimpulse Schmitts wie bei Lenin versuchen, politische Schwätzer fernzuhalten, um zur politischen Tat oder zu wirklich fundamentalen Wertfragen überzuleiten. Und diese sind - so Schmitt - eben nicht immer und unter gewissen Umständen eben nicht grundlegend parlamentarisch zu lösen.

Mehring mag zwar Schmitt-Experte sein, aber ein recht oberflächlicher. Er scheitert daran, der Gedankenfülle Schmitts gerecht zu werden und Konzepte wie seine Freund-Feind-Unterscheidung als Merkmal der Politik oder den Ausnahmezustand im Zeitalter des transnationalen Terrors als höchstaktuell neu zu interpretieren. Zum Verhängnis wird Mehring überdies, den Nachlaß trotz Ankündigung nicht in Gänze erfasst zu haben.
Fazit
Und so legt der Leser das Buch zur Seite mit der Überzeugung: Wieder jemand, der Carl Schmitt stellenweise verständlich begutachtet, ihm am Ende aber gerade hinsichtlich der unzähligen Verknüpfungs- und Deutungsaspekte, die Schmitts Schriften unverändert hinterlassen, wieder nicht gewachsen ist!
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 17. Januar 2010

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