Es ist sehr gewagt, die marxistische Staatstheorie mit den Schriften Carl
Schmitts zu verknüpfen. An der Freien Universität zu Berlin gab es im Jahr
2004 am Otto-Suhr-Institut eine solche politiktheoretische Veranstaltung. Sie
setzte sich aus konservativer Sicht mit dem bürgerlichen Staat und der
immanenten Tendenz zur Diktatur - wie es auch Karl Marx lehrte - auseinander.
Carl Schmitt (geboren 1888 in Plettenberg) sah seinerzeit die bayerische
Rätepolitik als Initial für den späteren Antikommunismus und lehrte in seiner
politischen Theorie gleichermaßen, daß die Erkenntnis des politischen Feindes
stets Klarheit verschaffe. So war er recht realistisch, den revolutionären
Marxismus als System zu sehen, das den Liberalismus auszumerzen in der Lage war.
Der Feind war für ihn innerhalb der Mauern des Weimarer Systems.
Schmitt selbst wendet sich aber dem System des italienischen Faschismus zu,
obwohl er noch Reibungspunkte zur katholischen Kirche hatte, der er sich als
geborener Sauerländer selbst noch sehr verbunden fühlte. Robert Michels z.B.
als deutscher Sozialist wird Faschist in Italien. Schmitts Gedanken zu diesem
Phänomen finden sich in seiner Schrift "Zur geistesgeschichtlichen Lage
des Parlamentarismus" (1923). Er ist fasziniert vom syndikalistischen
Generalstreik (Georges Sorel - "Alle Räder stehen still, wenn dein Arm es
will") und entwickelt eine Parlamentarismuskritik als Teil der
Liberalismuskritik. Am Marxismus und der KPD mißfallen ihm die Militanz. Das
Faszinosum der Volksmassen des kommunistischen Internationalismus hingegen macht
auf Schmitt Eindruck.
So ist Carl Schmitt bis heute neben Martin Heidegger und Max Weber der weltweit
am meisten rezipierte deutsche Denker des 20. Jahrhunderts. Es ist daher ein
besonders großes - gefährliches - Unterfangen, sich in einer solchen
Biographie wie der vorliegenden diesem Denker zu widmen. Das Buch trägt zudem
den recht konventionellen und möglichst allumfassenden Untertitel
"Aufstieg und Fall" und nimmt es - ob gewollt oder nicht - automatisch
auf sich, sich mit der 1993 von Paul Noack publizierten Biographie messen zu
müssen. Entsprechend unklar ist es, wieso dieses Buch bisher fast nur positiv
besprochen wurde. Denn Mehring gelingt es stellenweise wenig, das gesammelte
Material verständlich niederzuschreiben. Hinzu treten die üblichen und heute
primitiv anmutenden Standard-Evaluationen in Sachen Schmitt, die sich lediglich
auf - die immerhin seitens Schmitt überzeugende - Demontage des liberalen
Rechtsstaates als Verfassungsfassade oder seinen so genannten
"Antisemitismus" konzentrieren. Fehlen darf natürlich auch nicht der
Gemeinplatz, Schmitt habe Adolf Hitler juristisch den Steigbügel gehalten, ohne
Schmitt als Phänomen aus seiner Zeit heraus zu beurteilen.
Wie dem auch sei - eine wirklich reife Biographie sollte sich den Gründen und
Argumenten Schmitts widmen, sich ihrer Sprengkraft widmen, und diese nicht per
se ins Abseits stellen, um sich damit zugleich in den
"wissenschaftlichen" bundesdeutschen Nachkriegskanon einzuordnen. Dazu
gehört auch, anzuerkennen, daß sich bisher kaum jemand den Argumenten Schmitts
wirklich gewachsen gezeigt hat und daß gerade ein reifer "Rechtstaat"
diese Angriffe gegen ihn ernst nehmen und abwehren müßte, wenn er wirklich
diesen Namen verdient. Schmitts Theorien über Freund und Feind, Legalität und
Legitimität, den Begriff des Politischen wurden in alle Weltsprachen
übersetzt und von erzkatholischen Konservativen gleichermaßen intensiv gelesen
wie von den kommunistischen Revolutionären der Dritten Welt. Und niemand konnte
sie bisher absolut von der Hand weisen! Hinzu tritt bei Schmitt der Reiz, der
antiquierten bürgerlichen Existenz die Leviten zu lesen. Schmitt übertrug
diese Haltung ins politische Denken (160f.). Kriegerische und revolutionäre
Begeisterungen gehören zur Intensität des Lebens. Jede rationalistische
Deutung würde die Unmittelbarkeit des Lebens täuschen.
Viel ist gleichermaßen über Schmitts Katholizismus geschrieben worden. Mehring
aber sieht religiöse Fragen eher als marginal an. Anders gerade Carl Schmitt,
der selbst gegenüber Karl Marx den Theoretiker Bakunin bevorzugte, der die
Theologie ernster genommen habe als Marx. Den Katholizismus-Essay der Bonner
Zeit beurteilt Mehring als "Werbeschrift in eigener Sache" (184).
Entscheidend für Schmitts Entfremdung von der Kirche sei deren Weigerung
gewesen, seine erste Ehe zu annullieren. Schade nur, daß Mehring bei Carl
Schmitt die Betonung des Gegensatzes zwischen dem Katholizismus mit seiner
spezifischen Form der Repräsentation und des modernen Rationalismus mit seinem
mechanischem ökonomisch-technischen Apparat ebenso wenig herausstellt, wie
Schmitts zeitweise Präferenz für den politischen Katholizismus. Die Ökonomie
höhlte für Schmitt die Autonomie des Politischen aus und das wirtschaftliche
Denken reduziert die Welt auf pragmatische Probleme und zu befriedigende
Bedürfnisse. Damit wird die Wertfrage ausgeklammert, die Schmitt im
Katholizismus ernst genommen sieht. Das Weltbild im ökonomischen Denken gleiche
sich bei dem Industrieproletariat und beim industriellen Unternehmer einander
an. Sie kämpfen gegen Politiker und Juristen und sorgen damit potentiell für
ein drohendes Chaos. - So Schmitt in seiner Katholizismus-Schrift
("Römischer Katholizismus und politische Form", 1923). So ließe sich
auch kombinieren, daß die Ordnungsimpulse Schmitts wie bei Lenin versuchen,
politische Schwätzer fernzuhalten, um zur politischen Tat oder zu wirklich
fundamentalen Wertfragen überzuleiten. Und diese sind - so Schmitt - eben nicht
immer und unter gewissen Umständen eben nicht grundlegend parlamentarisch zu
lösen.
Mehring mag zwar Schmitt-Experte sein, aber ein recht oberflächlicher. Er
scheitert daran, der Gedankenfülle Schmitts gerecht zu werden und Konzepte wie
seine Freund-Feind-Unterscheidung als Merkmal der Politik oder den
Ausnahmezustand im Zeitalter des transnationalen Terrors als höchstaktuell neu
zu interpretieren. Zum Verhängnis wird Mehring überdies, den Nachlaß trotz
Ankündigung nicht in Gänze erfasst zu haben.
Fazit
Und so legt der Leser das Buch zur Seite mit der Überzeugung: Wieder jemand,
der Carl Schmitt stellenweise verständlich begutachtet, ihm am Ende aber gerade
hinsichtlich der unzähligen Verknüpfungs- und Deutungsaspekte, die Schmitts
Schriften unverändert hinterlassen, wieder nicht gewachsen ist!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 17. Januar 2010 2010-01-17 10:59:47