Robert Harris "Titan" behandelt schwerpunktmäßig die Zeit, in
welcher der Politiker Cicero sich auf seinem Höhepunkt behandelt: das Jahr 63
v. Chr. und die Verschwörung des Catilina. Um mich in diese Zeit
hineinzuversetzen, habe ich das entsprechende Kapitel von Karl Christs:
"Krise und Untergang der römischen Republik", Fuhrmanns
Cicero-Biographie sowie die beiden - die catilinische Verschwörung behandelnden
- historischen Krimis: "Das Rätsel des Catilina" von Steven Saylor
und "Die Catilina-Verschwörung" von John Maddox Roberts zusätzlich
gelesen.
Ähnlich wie etwa der historische Roman über Heinrich den VIII. von England
wird hier der zweite Teil der Lebensgeschichte Ciceros aus Sicht seines Dieners
erzählt. Dieser fungiert ähnlich wie "Watson" in den
Sherlock-Holmes-Romanen und gibt - ziemlich kritiklos - die Ereignisse aus Sicht
Ciceros wieder. Robert Harris hat - wie er im Nachwort betont - einen
historischen Roman geschrieben, wobei die wichtigsten Ereignisse genau
recherchiert worden sind. Er hat sich bemüht, den Roman so zu schreiben, wie
sie Ciceros Diener Tiro wirklich geschrieben hat - die Erinnerungen Tiros sind
leider verloren gegangen.
Das Buch schließt an "Imperium" an, welches den Aufstieg Ciceros bis
zum Konsulat erzählt, wobei ich empfehlen würde, "Imperium" auf
jeden Fall vorher zu lesen; meines Erachtens kann der vorliegende Band nicht
unabhängig und einzeln - ohne Kenntnis des vorhergehenden Bandes - gelesen
werden, da die Kenntnis über Personen und Ereignisse der vorherigen Zeit
vorausgesetzt werden.
Fasziniert an dem Roman hat mich die Figur von Julius Caesar, der - wie auch in
Fuhrmanns Cicero-Biographie - als undurchsichtiger, aber genialer Stratege und
eigentlicher Gegenspieler Ciceros erscheint - vollkommen anders als etwa der
etwas naiv erscheinende Pompeius, der sich zeitweise mit Caesar verbündete.
Die Bewertung des Romans hängt meines Erachtens davon ab, was man von diesem
Buch erwartet. Erwartet der Leser eine historisch genaue Wiedergabe der
damaligen Ereignisse aus Sicht Ciceros, so wird er mit diesem Buch nicht
enttäuscht. Erwartet der Leser jedoch einen spannenden Polit- oder
Historien-Thriller (und gerade die Verschwörung des Catilina bietet ja - wie
die oben erwähnten Werke zeigen - Stoff dafür) so wird er enttäuscht. Viel zu
langatmig werden die Ereignisse dargestellt, rechte Spannung wollte bei mir
nicht aufkommen. Nur die undurchsichtige Person Caesars fand ich lebensecht
gezeichnet. Ich hätte auch gerne mehr von der Philosophie Ciceros erfahren.
Dies hat mir gefehlt. Zwar werden wie in einem Film die Höhepunkte der
Verschwörung, der Abfall des Crassus von seinem Schützling Catilina,
dargestellt. Über die eigentlichen Motive dieser Verschwörung und die Folgen
erfährt der Leser jedoch zu wenig. Cicero, der als gemäßigter Anhänger der
Optimaten, der konservativen Senatspartei der eher wohlhabenden
"Schichten" Roms anzusehen ist (trotz gespannter Beziehungen zu
Hortensius, seinem Anwalts-Kollegen, Konkurrenten und Führer dieser Partei)
wird hier als "Titan", als genialer Stratege dargestellt, was er eben
nicht war. Fuhrmann hat herausgearbeitet, dass das Jahr 63 v. Chr. die
"Wende" im Leben Ciceros war und seinen Abstieg einleitete - eben weil
Cicero sich "zwischen alle Stühle" setzte und nicht strategisch
dachte. Eine interessante und spannend gemachte Schilderung dieses Lebens hätte
für mich bedeutet, dass Ciceros Diener durchaus Kritik an seinem Idol geübt
und auf Ciceros Schwächen als Politiker hingewiesen hätte. Doch dies erfolgt
nicht. Gerade die kritische Distanzierung des "Dieners" von seinem
"Herrn" - wie es etwa Margret Georges historischer Roman über
Heinrich VIII. zeigt - macht Politiker "menschlicher". Doch kann ein
"Titan" menschlich sein oder verkommt er zur leblosen Statue? Es tut
mir leid, genau diesen Eindruck habe ich von Cicero erhalten. Für mich kommt er
herüber wie der "hölzerne Titan", als der Paul von Hindenburg, der
Reichspräsident der Weimarer Republik, von seinem Biographen Wheeler-Bennett
bezeichnet worden ist.
Fazit
150 Seiten weniger und weniger langatmiges Erzählen und dafür ein stärkerer
Spannungsaufbau und mehr Distanz zum Idol Cicero hätten diesem Roman gutgetan.
Er ist nicht schlecht, aber aus den genannten Gründen aus meiner Sicht nicht
das beste Werk von Robert Harris, der mit "Vaterland",
"Aurora" oder "Ghost" durchaus gezeigt hat, dass er spannend
schreiben kann. Dieses habe ich im vorliegenden Roman vermisst.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 12. Dezember 2009 2009-12-12 12:47:32