Im Festa-Verlag ist eine sensible, glänzend geschriebene und gleichzeitig
kritische Biographie über einen der Meister des modernen Horrors erschienen.
Das Verlags-Haus unter der Leitung von Frank Festa hat sich schon mit
vorhergehenden Veröffentlichungen auf dem bislang in Deutschland
unterrepräsentierten Gebiet der anspruchsvollen Horror-Literatur verdient
gemacht. Zu den Veröffentlichungen zählen unter anderem Romane von Clark
Ashton Smith, Robert Bloch und Basil Copper. Jeder Freund der unheimlichen
Geschichten, auf dessen literarischer Landkarte der Festa-Verlag bisher nur ein
schwarzer Fleck ist, sollte sich unbedingt auf eine Entdeckungsreise machen, es
winken viele kleine und große Schätze. Zu den unbestritten wichtigsten
Erscheinungen zählt die vorliegende
H. P. Lovecraft-Biographie von Lyon
Sprague de Camp. Er zählt zu jener Handvoll Autoren, die den Stil vieler
anderer Autoren maßgeblich beeinflusst haben oder durch ihre Geschichten
überhaupt erst das Interesse an dunklen Verliesen und fernen Welten geweckt
haben, die von unheimlichen Wesen bevölkert werden. H.P. Lovecraft ist einer
der Wegbereiter der phantastischen Literatur, doch über sein Leben ist bislang
wenig bekannt und auch sein Gesamtwerk wurde bisher nur von einigen Eingeweihten
wahrgenommen; der breiten Leserschar ist er hauptsächlich durch seinen
Cthulhu-Mythos bekannt geworden.
Der Autor der Biographie kam nie in den Genuss, Lovecraft persönlich zu
treffen, was mehrere Gründe hat: Camp fing erst im Jahr nach Lovecrafts Tod
ernsthaft mit dem Schreiben an und las weitere zehn Jahre später zum ersten Mal
eine Geschichte von Lovecraft im "Weird Tales"-Magazin.
Die Tatsache, dass sich die beiden niemals getroffen haben, gereicht der
Biographie aber nicht zum Nachteil, sondern eher zum Vorteil: Lovecraft war auf
vielen Gebieten ein sehr umstrittener Mann, nicht zuletzt aufgrund seiner
obskuren Rassentheorien. Camp kritisiert diese deutlich, weist aber zugleich
auf, dass Lovecrafts Ansichten nur aus dem heutigen Blickwinkel rassistisch und
extrem anmuten, in der damaligen Zeit aber durchaus gang und gäbe waren. Diese
Herangehensweise zeichnet das ganze Buch aus: Der Autor ist sich bewusst, dass
Lovecraft ein sehr ambivalenter Mensch gewesen ist, dessen kreative Leistungen
durch extreme Ansichten und eine sehr belastende Kindheit überschattet wurden.
Deshalb versucht er, sich sensibel und zugleich kritisch dem Leben des
Schriftstellers zu nähern und liefert Erklärungen für viele Dinge, die
niemals nach Entschuldigungen oder Rechtfertigungen klingen.
Der literarische Stil der Biographie ist beachtlich, insbesondere die ersten 200
Seiten sind ein wahres Lesevergnügen. 637 Seiten wurden mit Informationen über
den Autor und Analysen seiner Werke gefüllt, was für die hohe Kenntnis des
Verfassers spricht, der sich so umfassend mit dem Leben und Werk von Lovecraft
auseinandersetzt, wie es vorher nur wenige Autoren getan haben. 545 Anmerkungen
im Text, die sich größtenteils auf Quellen wie Lovecrafts Korrespondenz mit
befreundeten Autoren beziehen, weisen darüber hinaus darauf hin, dass der Autor
eine enorme Rechercheaufgabe bewältigt hat: Nach eigenen Angaben hat er
Tausende von Briefen von Lovecraft gelesen, auf die Lovecraft einen Grossteil
seiner Energie verwendete und nach Meinung von Camp auch teilweise
verschwendete.
Auch neben den anderen, teilweise hochkarätigen Biographien und Essays über
Lovecraft kann sich die vorliegende Biographie behaupten: Während
beispielsweise
Michel
Houellebecq in seinem Werk "Gegen die Welt. Gegen das Leben."
literarisch zwar mehr als ebenbürtig ist, stellt er viele Thesen auf, die bei
näherer Hinterfragung absolut wurmstichig und von keinem tieferen Verständnis
durchdrungen sind. Vielmehr hat er Lovecraft nur ein persönliches Denkmal
gesetzt, aber kein Werk über die Person verfasst. An dieser schwierigen Aufgabe
hat sich Lyon Sprague de Camp versucht und sie mit Bravour gemeistert.