Der Dandy hat sein eigenes Leben. Er ist nicht nur eine Erscheinung in der
Öffentlichkeit, sondern lebt ein eigenes, radikales Prinzip - abseits
öffentlicher Normen. Jegliches Verhalten, Gebaren, jedwede Äußerung hat einem
höchsten ästhetischen Anspruch zu genügen. So versteht es sich von selbst,
daß ihm nur wenige Menschen in seinem Verhalten folgen können. Zugleich aber
ist der Dandy in diesem Prozeß von einem bloß das Ego befriedigenden Selbstlob
weit entfernt. Dies macht ihn zu einem eigenen, äußerst strengen arbiter
elegantiarum.
Der vorliegende Band "Dandiana" der Dandy-Forscherin Melanie Grundmann
ist deshalb etwas besonderes, da er anhand primärer Quellen das Werden des
Typus des Dandys darstellt und so die Sicht auf das dandyistische Verhalten von
außen in den Mittelpunkt rückt. Das souveräne Verhalten des Dandys hat den
großen Vorteil, daß seine absolute ästhetische Empfindsamkeit und umfassende
Stilsicherheit den Dandy unabhängig machen. Aber genau dies war - folgt man der
Autorin - nicht immer so!
Eine Vielzahl journalistischer wie literarischer Zeitzeugenberichte sprechen
dafür, daß das Bild des Dandys, wie wir es kennen, d.h. der mondäne und
stilsichere Mann, genetisch als Spätform des Typus anzusehen sei. In seinem
Ursprung entpuppe sich der Dandy, so die Autorin, als unerwünschte Kreatur, der
ihre Menschlichkeit zuweilen abgesprochen wurde. Hierfür unterteilt die Autorin
verschiedene Kapitel, in denen das frühe Wesen des Dandys abgehandelt werden,
so etwa Tiermetaphoriken (31) wie die Bezeichnung "lion" oder
"tiger" oder aber "Affe" und "Esel". Dies ließ
ihn - aus der Sicht anderer - zu einem Symbol der dekadenten Gesellschaft
werden. Hinzu tritt auch ein Kapitel über die geschlechtliche Uneindeutigkeit
des Dandys, der von Kommentatoren einstmals als zweigeschlechtlich oder
geschlechtslos charakterisiert wurde - eben ein "strange being".
In den verschiedenen Kapiteln, die jeweils ein Merkmal des Dandys begutachten,
wird sehr übersichtlich die Wurzel des Dandyismus, vor allem aus der Sich der
Begutachter, dargestellt. Dies ist eine überaus gelungene und überfällige
Leistung. Sie hat aber einen entscheidenden Nachteil.
So sehr der Dandy den ersten Beobachtern als fremdes Wesen, impertinenter
Wichtigtuer und gefährlicher Verführer der Jugend gegolten haben mag, so sehr
vermißt der Leser neben der Abarbeitung der negativen Abnormitäten des Dandys
aus der Sicht anderer Nicht-Dandys eine phänomenlogische Sicht auf den Dandy.
Dies ist zugegebenermaßen nicht Ziel des Buches, aber eine phänomenologische
Suche, die den Ursprung der Erkenntnisgewinnung in den unmittelbar gegebenen
Erscheinungen selbst sucht, hätte zu einem ganzheitlicheren Urteil führen
können.
So hätte man zu dem Schluß kommen können, daß die negativen Einordnungen des
Typus Dandy nur subjektive Zuschreibungen anderer Menschen sind, die den eigenen
ästhetischen Anspruch des Dandys gar nicht berühren, nicht vertreten und damit
natürlich sein Wesen als eloquenter Mann als Aufdringlichkeit deuten mußten.
Es kommt auf den Standpunkt an! So neigt das Buch dazu, die
Negativzuschreibungen über den Dandy zu objektiven Merkmalen desselben in
seiner Anfangszeit zu machen und nicht gewissermaßen das Phänomen selbst zu
begutachten. Denn hiermit würden wiederum mehr positive Merkmale, die den Dandy
heute vordergründig bestimmen, auftauchen, weil er seine Exklusivität aus sich
selbst und nicht aus den Urteilen anderer zieht. Das ist ja gerade sein
Grundprinzip! In dem Kapitel "Stolzes Gebaren" (139) gelingt es der
Autorin schließlich, die Exklusivität des Dandys etwas mehr aus sich selbst
heraus zu beurteilen und die grazile Erscheinung auch als eigenen Wert und
unabhängig von den Gazetten der Zeitgenossen darzustellen. Dieses Kapitel
hätte ausgeweitet werden können.
Der phänomenologisch-analytische Blick kommt zu der Erkenntnis, daß die
Désinvolture des Dandys es ihm verbietet, sich mit anderen zu einen. Unter
seinesgleichen erkennt man sich. Ein eigenes Verbrechen wäre ein solches
Sicheinsmachen - mit wem auch immer. Dies macht die von Joris-Karl Huysmans
veranschaulichte Passivität der dandyistischen Revolte gerade aus. Der Dandy
greift nicht selbst zur Waffe, sondern provoziert andere. Solche, die sein
Mitleid nicht bekommen können. Aber die Stoßrichtung der Übertretung bleibt
bestehen. Es ist klar, das dieser ästhetizistische Habitus natürlich auf
Ablehnung traf, wie so oft die Exklusivität der Wenigen aus der Sicht des
Mittelmaßes. Dies berührt aber nicht das Wesen desjenigen, der sich als Dandy
oder als bewußter Außenseiter definiert und so lebt.
Fazit
Wie dem auch sei! Die angeführten Anekdoten der Autorin sind sehr hilfreich,
das Phänomen Dandy zu verstehen. Insbesondere die durchaus wegweisenden Kapitel
über die weiblichen Dandys (179) und den Reiz des Bösen (159) zeichnen das
Buch aus. Dies macht das Werk lesenswert und zu einem Meilenstein der
Dandy-Forschung. Man sollte aber auch nicht vergessen, daß der Dandy nicht
abschließend korrekt über das Urteil Außenstehender bewertet werden kann,
sondern er vielmehr in Ergänzung dazu über die Analyse seines eigenen Denkens
und seines subjektiven Anspruchs als historisches Phänomen einen Sinn ergibt.
Denn es macht ihn ja geradeaus, daß er nicht wie viele andere ängstlich wie
die Maus, die über eine Wiese eilt, über die ein Bussard kreist, die
redaktionelle Kritik und Urteile anderer fürchten muß. Anders ausgedrückt:
Der Dandy als Prinzip bleibt an sich unabhängig. Die umfassende Unabhängigkeit
ist die Voraussetzung für seine menschliche Souveränität!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 12. Oktober 2009 2009-10-12 11:19:25