Suan, tian, ku, la - sauer, süß, bitter scharf - die vier
Geschmacksrichtungen der chinesischen Küche kennt jedes Kind. Obwohl die
Amerikanerin Jen Lin-Liu seit einigen Jahren in China lebte und hier Mandarin
gelernt hatte, konnte sie dem Unterricht der Klasse für Berufsköche an einer
berufsbildenden Schule nur schwer folgen. Das lag nicht an Jens
Chinesisch-Kenntnissen, sondern an der speziellen Art des Unterrichts in China.
Der Lehrer doziert, der Schüler soll zuhören, sich verbeugen und von der Tafel
abschreiben. Küchenmeister Gao kocht, die Schüler schreiben mit und essen Gaos
Demo-Objekte anschließend auf. Jen wird später feststellen, dass der
theoretische Unterricht an der Berufsschule wenig Brauchbares vermittelt und
allein dazu dient, ein Abschlusszeugnis als staatlich geprüfter Koch zu
erhalten. Um Grundlegendes über die chinesische Küche zu lernen, muss die
freiberufliche Restaurantkritikerin andere Wege einschlagen.
Jen, deren chinesische Eltern amerikanische Fertigprodukte schätzten und nur ab
und zu einmal gebratene Nudeln zubereiteten, nimmt privaten Unterricht bei
"Vorsitzender Wang", die sie in der Berufsschule kennen gelernt hat.
Allein mit Hackbrett, Hackmesser, einem Gasbrenner und einem gusseisernen Wok
zaubern die beiden Frauen in Wangs einfacher Küche Mahlzeiten aus frischen
Zutaten, wie sie jeder Chinese selbstverständlich findet. Während die Hände
mit Hacken, Kneten und dem Rütteln des Wok beschäftigt sind, erzählt Frau
Wang sehr offen aus ihrem Leben. Als Angehörige der "verlorenen
Generation" hat sie während der Mao-Zeit keine geregelte Ausbildung
erhalten. Die beiden so verschiedenen Frauen entwickeln ein besonderes
Vertrauensverhältnis zueinander. Vorsitzende Wang weckt Jens Aufmerksamkeit
dafür, wie stark Peking sich durch ausländische Supermarktketten und die
Schließung der gewohnten freien Märkte mit Blick auf die Olympischen Spiele
2008 verändern würde.
Jens Interesse an der Zubereitung typisch chinesischer Gerichte wie Jiaotse
(Maultaschen) wird sie anschließend als Praktikantin in eine einfache
Nudelstube und in Shanghais Whampoa-Club, einen edlen Gourmet-Tempel, führen.
Dass Jen schon längst Restaurant-Kritikerin ist, verheimlicht sie Nudelmeister
Zhang, der den Stammkunden seiner einfachen Imbissbude eine Schüssel Nudeln
für 50 Cents verkauft. Wasser und Mehl - wie viel weiß man einfach - der Rest
ist jahrelange Routine, findet Zhang. Während Jen Zhang dazu überredet, sie
endlich selbst Nudelteig kneten zu lassen, erfährt sie aus erster Hand, warum
ihr Boss wie so viele Wanderarbeiter zum Geld verdienen nach Peking gekommen
ist.
"Die Küche eines Landes kennen zu lernen dauert so lange wie eine
Fremdsprache zu lernen." Neben dem Zubereiten, Garen und Essen klassischer
chinesischer Gerichte gibt Jen ihren Lesern einen sehr persönlichen Einblick in
den chinesischen Alltag. Die Autorin wird am Ende ihrer harten Zeit als
Küchenhilfe nicht nur ihre Geschmacksnerven neu justiert haben, sie wird ihre
Leser China und besonders Peking mit anderen Augen sehen lassen. Das Verhältnis
der amerikanischen Journalistin zu Zhang und auch zur kleinen Han, der
Essenausruferin des Whampoa Club, zeigt wie aufrichtig Jen Anteil nimmt am
Schicksal der Kollegen, mit denen sie in der Küche gemeinsam bis zur
Erschöpfung schuftet. Die 30 im Buch enthaltenen Rezepte reichen vom einfachen
Nudelteig bis zu hausgemachtem Tofu.
Fazit
Jens Blick hinter die Kulissen chinesischer Restaurants und Garküchen gehört
zu den wenigen Büchern, die europäischen Lesern authentisch und ungeschminkt
Einblick in den chinesischen Alltag geben. - Hai xing (nicht schlecht) würde
Frau Wang dazu sagen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 08. Oktober 2009 2009-10-08 09:50:21