"Niemand geht gerne aufs Amt, Beamte auch nicht. In ironischer Weise ist es
Gogolin in seinem Erstlingswerk gelungen, viele Anekdoten aus dem
Behördenalltag so perfekt zu einem amüsant-tiefgründigen Roman zu verweben,
dass sich der Leser zuweilen vor Lachen auf die Schenkel schlagen möchte. Auch
wenn gelegentlich das Lachen im Halse stecken bleiben will, so dicht an der
Realität und gleichzeitig irrwitzig absurd scheinen die einzelnen Figuren
gezeichnet."
Skizzierte Erzählung wäre für das Buch "Karawane des Grauens" eine
treffendere Bezeichnung als Roman.
Sachkundig werden Amtsabläufe beschrieben, ohne dass nur eine Minute Langeweile
aufkäme, viele der mit Liebe zum Detail geschilderten Erlebnisse kann fast
jeder aufgrund eigener, leidvoller Behördengänge nachempfinden.
Das Buch macht aber auch Mut, zeigt es doch die menschliche Seite hinter
unkündbarer, scheinbar ewig steifer und bürgerfeindlicher Beamtenmentalität.
Es gibt Trinker, Spieler und unerträgliche Aufschneider, aber auch Beispiele
bemerkenswerten Miteinanders, wenn neben aller Schadenfreude wegen allzu
menschlicher Schwächen auch das gelebte Mitgefühl nicht zu kurz kommt.
Trotz der auf den ersten Blick trocken und langweilig anmutenden Thematik Amt
und Behörde lässt sich das als Taschenbuch erschienene Werk in einem Zug
durchlesen, man möchte die spannende, teilweise auch ein wenig verstörende und
unebene Geschichte unbedingt weiterverfolgen.
Der Autor, selbst jahrelang im öffentlichen Dienst tätig, hat keine nur
erfundene Fantasiegeschichte aufgeschrieben oder altbekannte Beamtenwitze
nacherzählt, sondern kann auf eigene, komische und leidvolle Erfahrungen in
diversen Behörden zurückblicken und tut das in höchst origineller Weise,
dabei keineswegs immer politisch korrekt. Sexuelle Verklemmungen und
Frauenbeauftragte werden in Gogolins fiktivem, aber fachkundigem Blick hinter
die Amtskulissen lustvoll böse und bewusst intolerant aufs Korn genommen, ein
intellektuelles Lesevergnügen!
Nach der Lektüre wird jeder Leser mit Sinn für schrägen Humor sein eigenes
Amt um die Ecke mit völlig anderen Augen sehen. Und Beamtenwitze mit völlig
anderen Ohren hören.
Ein Buch soll mich gekonnt unterhalten und mich vielleicht mit etwas Tiefgang
fordern. Beide Kriterien erfüllt die Karawane des Grauens. Es handelt sich um
einen Krimi, der in Amtsräumen spielt. Schon am Anfang gibt es eine Tote und
zwei Ermittlungsbeamte versuchen, den oder die Schuldige zu ermitteln. Dazu
werden die einzelnen Bediensteten befragt und dem Leser werden Lebensläufe,
Vorlieben und Macken der einzelnen Mitarbeiter offenbart. Sogar schonungslos
offenbart, wimmelt es doch unter Ihnen nur so von Karrierehengsten, Spielern,
Liebeskranken und schlichten Versagern.
Entsprechend viel Arbeit wartet auf die Polizisten, denn natürlich will niemand
etwas mit dem Tod der Kollegin zu tun haben. Jeder versucht, mit nicht nur vagen
Andeutungen über den Lebenswandel der Mitbeamten sich selbst aus der
Schusslinie zu bringen. Dabei tritt auch schier Unglaubliches über das
Arbeitsleben im öffentlichen Dienst zutage. Ich verrate nicht zuviel, wenn ich
andeute, dass der Tod der Beamtin tatsächlich geklärt wird, denn eigentlich
ist die Mordgeschichte nur vordergründig. Ein roter Faden, ein dünner.
Schon in der ersten Buchhälfte wird ein Hamburger Amt beschrieben, in das
missliebige oder kranke Beamte abgeschoben werden. Daher hat das Amt
behördenintern und auch das Buch seinen eigentümlichen Namen bekommen:
Karawane des Grauens.
So eine Behörde entwickelt natürlich ein nicht gerade bürgerfreundliches
Eigenleben, was sich ausgesprochen amüsant liest und Fans von Beamtenwitzen auf
ihre Kosten kommen lässt. Halb totgelacht habe ich mich an der Stelle, wo
moderne Managementmethoden (‚neues Steuerungsmodell') eingeführt und Bürger
als wichtige Kunden betrachtet werden sollen - das hätte man kaum witziger
beschreiben können.
Unsägliche Personen und unvorstellbare Einzelgeschichten werden dem Leser
präsentiert. Mir ist klar geworden, dass ich nicht an Wahrnehmungsstörungen
gelitten habe, als mir mal wieder ein Amtsträger treuherzig versicherte, nicht
zuständig zu sein und ich mich im Irrenhaus ohne Gitterfenster wähnte.
Zur Mitte hin kippt die Stimmung im Buch, es geht nicht mehr zu wie in
Beamtenwitzen, auch wenn die nicht fehlen. Es wird menschlich. Nach und nach
wird deutlich, dass die Tote und der extra zum Aufräumen aus Bayern
herangekarrte Amtsleiter ernste soziale und psychische Probleme hatten. Alle
anderen auch.
Gogolin hat sehr schön herausgearbeitet, in welchem Ausmaß Einrichtungen wie
Suchtbeauftragte, Frauenbeauftragte und auch Personalräte nur eine einzige
Funktion haben: Den Schein zu wahren. Den Anschein, als würde tatsächlich
etwas getan für Schwache, Kranke oder Benachteiligte. Während in Wirklichkeit
aber nichts dergleichen geschieht und Betroffene zusammen mit denen, die
wirklich helfen wollen, in die Pfanne gehauen werden. Das könnte in jedem
privat geführten Unternehmen genau so ablaufen.
Fazit
Die Karawane lässt sich flüssig lesen, nicht nur in den komischen, sondern
auch in den eher tragischen Passagen. Formulierungen wie "Das erfüllte
seine Brust mit Stolz" statt einfach nur "Er war stolz" fand ich
anfangs ungewöhnlich. Aber eigentlich passen sie zur beschriebenen,
gernegroßen Person.
Krimi - Beamtenwitz - Tatsachenreportage. Diese drei Dinge wohl verwoben
beinhaltet das Werk mit dem Wüstenbild auf dem Titel. Ein seltsames Gefühl
zwischen erkennendem Grinsen und ohnmächtig-hilfloser Wut beschlich mich beim
Lesen. Ich fühlte mich dank lebendiger Schilderung zugehörig zur grauenvollen
Karawane.
Wenn ich beim nächsten Behördenbesuch als lästiger Bittsteller abgefertigt
werde, werde ich nicht mehr neidisch sein auf unkündbare Beamte, sondern werde
einfach denken: Du kleines Kamel in der Karawane des Grauens!
Vorgeschlagen von Jens Dau
[Profil]
veröffentlicht am 13. Mai 2003 2003-05-13 23:25:18