Gibt es ein "Feindbild Amerika" in Deutschland seit der Romantik? Der
Autor, Professor für Neuere Geschichte an der Hebres University, Jerusalem und
Verfasser des ausgezeichneten Essays: "Unser Jahrhundert verstehen",
Dan Diner, vermutet es. Er legt hier eine überarbeitete und um ein Kapitel
über die Folgen des 11. September 2001 erweiterte Fassung seines 1993 unter dem
Titel: "Verkehrte Welten" im Eichborn-Verlag erschienenen Essays vor.
Warum ist das Werk gerade heute - in der Ära von George W. Bush junior - wieder
aktuell? Der Grund liegt im Auseinanderdriften zwischen Europa und Amerika, wie
er im Irak-Krieg sichtbar geworden ist. Der Riss in den transatlantischen
Beziehungen ist tief. Wer hier einen kurzen und kompetenten Überblick sucht,
der sei auf den Aufsatz von Michael Hedtstück und Gunth: "Wir machen einen
deutschen Weg" im Buch "Brandherd Irak", hrsg. von
Bernd W. Kubbig im Campus-Verlag
verwiesen. Jenseits aller Tagespolitik erhebt sich jedoch die Frage, ob es
alleine die - meines Erachtens in der Tat kritikwürdige - Politik von
US-Präsident George W. Bush und sein imperial anmutender Unilateralismus (vgl.
hierzu insbesondere John Ikenberry: "Americas Imperial Ambition" in:
"Foreign affairs", Jg. 81, Nr. 5, 2002, S. 44-60) ist, die
Harald Müller in dem oben
erwähnten Sammelband hervorragend dargestellt hat (Harald Müller:
"Defensive Präemption und Raketenabwehr: Unilateralismus als
Weltordnungspolitik"), die diese antiamerikanischen Reflexe ausgelöst hat.
Der Erfolg Schröders bei den vergangenen Bundestagswahlen - ich zitiere hier
Hedtstück / Hellmann und verweise auf das neue Buch von
Egon Bahr: "Der deutsche
Weg" und
Gregor
Schöllgen: "Der Auftritt", die ähnlich argumentieren - legt
nahe, dass es noch weitere, tiefer liegende Gründe für den Antiamerikanismus
geben muss. Diese Gründe legt Diner in seiner - zugegebermaßen sehr
polemischen obigen Streitschrift treffend dar. Nun muss meines Erachtens in
aller Deutlichkeit betont werden, dass Ablehnung der Politik von George W. Bush
nicht mit Antiamerikanismus verwechselt werden darf; dann wäre auch der
frühere US-Präsident Carter antiamerikanisch. Diese Aspekte kommen bei Diner
leider zu kurz. Dennoch ist seiner Grundthese sicherlich zuzustimmen: "Die
Motive der Amerikafeindlichkeit haben vielfältige Ursprünge. Einer liegt in
der sich zur Weltanschauung verdichteten Entgegensetzung des alten und des neuen
Kontinents. So gesehen handelt es sich bei Amerika gewissermaßen um Europas
Alter Ego. Sowohl historisches Auseinandertreten wie politisches Zusammentreffen
des Neuen und des Alten waren von zuweilen traumatischer Wirkung" (S. 17).
Auch seine Feststellung, das antiamerikanische Ressentiment sei bei den
politischen Mentalitäten in Deutschland tiefer als anderswo in Europa und
hänge neben der militärischen Niederlage in zwei Weltkriegen mit
antiwestlichen Tendenzen seit der deutschen Romantik zusammen, ist sicherlich
zutreffend. "Dies vor allem deshalb, weil von Deutschland aus gesehen die
USA nicht für Amerika allein, sondern auch für den Westen als solchen stehen,
dem gegenüber sich feindlich gesinnte Traditionen der politischen Kultur im
Deutschland des 19. Jahrhunderts formierten. So sind den amerikafeindlichen
Mustern in Deutschland tiefgehende Affekte zu entnehmen, wie sie für den
Franzosenhass der "Befreiungskriege" signifikant gewesen waren."
Allerdings benennt diner auch gegenläufige Tendenzen: "Solche
Einschätzungen waren keineswegs für alle Phasen des deutsch-amerikanischen
Verhältnisses kennzeichnend....Der historischen Vollständigkeit wegen ließen
sich auch ganz andere Bezüge stark machen - Orientierungen einer
offensichtlichen Affinität zwischen Deutschland und den Vereinigten
Staaten." So setzte Adenauer nach 1949 - gegen den Widerstand der SPD unter
Schumacher, der den Kanzler 1949 erregt als "Kanzler der Alliierten"
bezeichnete, - die Westbindung und die Anlehnung an die USA zwar durch,
allerdings sei es verkehrt, daraus zu schließen, Adenauer hätte sich voll und
ganz der politischen Kulturdes Westens verschrieben. Adenauer sei es in der Tat
um die institutionelle Integration des deutschen Weststaates in den politischen
Westen gegangen. "Kulturell wahrte der Kanzler bei alelr Bereitschaft zur
Zusammenarbeit doch eine tiefe innere Distanz zu den klassischen westlichen
Demokratien. Dies macht im Übrigen auch sein rückblickendes Bekenntnis
deutlich, er erachte die bundesrepublikanische Verfassung, das Grundgesetz, als
"sehr schlecht", denn diese Konstitution hätten amerikaner und
Frazosen den Westeutschen aufgezwungen."
Diner stellt also sehr eindringlich und an Quellen belegt, eine Geschichte des
deutschen Antiamerikanismus dar. Seiner These, darin sei ein Reflex
traditionsverhafteter Gesellschaften oder Gruppen in "Alt-Europa"
(Rumsfeld) gegenüber der - mir zu unkritisch als modern - empfundenen
politischen Kultur der USA, die als bedrohlich empfunden werde, zu sehen, kann
man diskutieren, ist mir allerdings zu einseitig. Allerdings erhebt der Autor
keinen wissenschaftlichen Anspruch, er bewertet sein Buch als polemisch
gehaltenen historischen Essay (Vorwort,S. 11). Doch wer an die in konservativen
Zeitungen kolportierte angebliche Äußerung Gerhard Schröders im August 2002,
wenn alles nichts helfe, ziehe er die "anti-amerikanische" Karte im
Bundestagswahlkampf und an die Zustimmung denkt, die seine These von einem
eigenen "deutschen Weg" erhalten hat (seitdem zog die SPD in Umfragen
an und gewann die Bundestagswahl 2002), der muss sich fragen, ob einige Thesen
Diners nicht korrekt sind. Daher: Bei aller - beklagenswerten - Einseitigkeit
und Polemik dieses Essays ist er doch lesenswert und regt zum Nachdenken an.
Außerdem besticht die leichte Lesbarkeit.