Philippa, Spitzname Fritzi, kehrt nach zwei Jahren Kinderlandverschickung aus
Ostpreußen nach Berlin zurück. Mutter und Tochter sind sich in dieser langen
Zeit fremd geworden. Die Bombardierung Berlins, unruhige Nächte im
Luftschutzkeller, die Lebensmittelknappheit, die ständige Angst, denunziert zu
werden - all das zehrt an den Nerven von Fritzis Mutter Almut. Und nun steht ihr
ohne eigene Lebensmittelmarken die kritische 14-jährige Fritzi gegenüber, die
erwartet, dass in Berlin alles so ist wie vor zwei Jahren. In dieser Zeit gibt
es Vieles, das man zur eigenen Sicherheit besser verschweigt. Fritzis Mutter
Almut arbeitet als Schneiderin und versorgt heimlich "U-Boote",
Menschen, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten untergetaucht sind, mit
Papieren und Lebensmitteln. Sie kann Streitereien mit Fritzi ganz und gar nicht
nicht gebrauchen und schickt ihre Tochter zur Großmutter nach Süddeutschland.
Almut stammt aus der Familie von Lautlitz, sie ist mit einem bürgerlichen
Halbjuden verheiratet. Die von Lautlitz stehen hier stellvertretend für die
Familie von Stauffenberg, Philippas Onkel Georg spielt in Anne Voorhoeves
Jugendroman die Rolle des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von
Stauffenberg. Während die Berliner Nacht für Nacht im Luftschutzkeller
verbringen und am nächsten Morgen den Geruch von brennenden Häusern und
Leichen einatmen, wird Fritzi auf dem Familienstammsitz aufgepäppelt. Auf dem
Land ist es zwar ruhig und Almut hat nun eine Sorge weniger - Fritzi hingegen
ist ganz und gar nicht ruhig, sie sorgt sich um ihre Mutter in Berlin und um
ihren Vater, von dem Familie schon lange nichts mehr gehört hat. Die Ansichten
der Onkel, die Offiziere in Hitlers Wehrmacht sind, prallen während der
Tischgespräche der von Lautlitz auf offene Kritik der Großmutter an Adolf
Hitler und auf Fritzis Bedürfnis, möglichst nicht aufzufallen. Fritzi spürt
deutlich, dass sie ein Zwischending ist, sie ist weder adelig noch bürgerlich,
weder Kind noch erwachsen, fühlt sich weder dem Leben auf dem Land noch dem in
der Stadt verbunden. Einziger Lichtblick für Fritzi sind Besuche ihrer
burschikosen Tante Lexi (Melitta Gräfin Stauffenberg), die im Dienst der
Luftwaffe steht. Während im Sommer 1944 die Großfamilie in Gedanken schon bei
der Kirschenernte ist, misslingt in der Nähe von Rastenburg das geplante
Attentat auf Hitler. Die Angehörigen des Attentäters werden sofort verhaftet,
die Kinder kommen in ein Heim, Fritzi wird von einer ihr unbekannten Frau
abgeholt und in ein Berliner Gefängnis gebracht. Die Verwandten des
Hitler-Attentäters unterliegen von nun an der Sippenhaft. In ihrer Zelle steht
Fritzi überraschend ihrer Mutter gegenüber. Beide sind nicht wegen der
Aktivitäten der Onkel in Haft, sondern wegen der Beteiligung von Fritzis Vater
am Attentat. Für die Frauen der Familie von Lautlitz beginnt eine Odyssee
zwischen der Haftanstalt und verschiedenen Konzentrationslagern. Während ihrer
Odyssee durch unterschiedliche Lager begegnet Fritzi weiteren Häftlingen des
Hitler-Regimes und kann ihren Blick fort von der eigenen Betroffenheit auf die
Schicksale anderer Opfer des Nationalismus richten.
Zugegeben, ich habe mich gefragt, ob ich ein weiteres Jugendbuch über den
Nationalsozialismus lesen möchte und ob die Roman-Biografie einer fiktiven
Stauffenberg-Nichte die angemessene Form ist, sich mit dem Hitler-Attentat
auseinander zu setzen. Ob die Attentäter des 21. Juli 1944 und ihre
Unterstützer bei ihren Plänen je an ihre Frauen und Kinder gedacht haben, wird
sich schon mancher gefragt haben. An diese Frage knüpft die Autorin an, indem
sie ihre fiktive Geschichte aus der Perspektive der Familienangehörigen
erzählt. Die kratzbürstige Ich-Erzählerin Fritzi, die so ziemlich gegen
alles rebelliert, gegen das man sich nur auflehnen kann, ist eine so
glaubwürdige, facettenreiche Person, dass ich nach den ersten Seiten nur noch
mit ihr und den "Sippen-Häftlingen" gefiebert habe.
Fazit
Aus der Perspektive Fritzis, deren heikles Verhältnis zu ihrer Mutter sich
während der Zeit ihrer gemeinsamen Haft nicht gerade verbessert, gelingt es
Anne Voorhoeve ausgezeichnet, die Atmosphäre des vorletzten Kriegsjahres in
Deutschland zu vermitteln.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 19. Juli 2009 2009-07-19 10:36:14