Für viele politische Philosophen beruht die Höhe der Kultur auf Geistigkeit
und innerer Gesittung in Gemeinschaft. Da für den Individualismus das
Einzelwesen der höchste Wert ist, so ist die Gemeinschaft für diese Autoren
damit diskreditiert. Die Seelenlosigkeit des individualistischen Menschen und
die sittliche Hemmungslosigkeit als Folge sind die zentralen Themen des
Philosophen und Juristen Edgar Julius Jung (1894-1934) gewesen. Er war davon
überzeugt, daß es nach dem 1. Weltkrieg niemand wirklich gewagt habe, im
deutschen Geiste eine nicht individualistische Regierungsform zu ersinnen, die
dem Deutschen innerlich angemessen ist. Oftmals wird Jung heute naiv als
"Nationalist" eingestuft. Dies ist ein folgenschwerer Irrtum, der an
Ignoranz gegenüber seiner Vielzahl an politischen Schriften nicht zu
überbieten ist.
Edgar Jung, der sich noch in der ersten Auflage seiner Herrschaft der
Minderwertigen (1927) für einen Neuen Nationalismus aussprach, wandte sich in
der zweiten Auflage (1929) von diesem ab. Nationalismus sei eine Schöpfung des
romanischen Denkens, abstrakt und unorganisch, und eben deshalb deutschem Denken
von Haus aus fremd. Er entspringe aus der Staatsvergottung der Franzosen.
Außerdem sei er expansiv und imperialistisch und führe zu einer
selbstsüchtigen Politik. Der Nationalismus ist für Jung Ausdruck des
staatszentristischen Denkens, das fernab von der Rücksichtnahme auf
körperschaftliche oder föderalistische Gliederung steht.
Jung setzte also dagegen nunmehr die bewußte Abwendung vom westlichen
Nationalstaatsgedanken, die Besinnung auf die übernationale Sendung des
deutschen Volkes, das die Aufgabe habe, den abendländischen Kulturkreis vor
Zersetzung zu retten und Träger der Wiederverchristlichung zu sein. Über die
politische Form, die den Nationalstaat ersetzen solle, hatte er lange
nachgesinnt. Es war die Idee des Reiches. Die dem zugrundeliegende
weltanschauliche Entwicklung Jungs dokumentiert sich in erster Linie in einer
seiner Hauptschriften "Föderalismus als Weltanschauung" von 1931. Sie
liegt nunmehr im Superbia Verlag erstmals wieder vor.
Jung lehnte also die von Richelieu begründete Nationalstaatsidee ab. In einem
starken gegenüber der Zentralgewalt durchsetzungsfähigen Föderalismus sieht
er in der vorliegenden Schrift die natürliche Fortsetzung der deutschen
Kleinstaaterei, die ihrerseits den Gegenpol zum zentralistischen französischen
Staatsmodell bilde. Je stärker das individualistische Denken sicht ausgeprägt
habe, umso stärker sei auch die Interessenherrschaft im zentralistischen Staate
gewachsen. Seine Gleichheitslehre vernichte jede natürliche Gliederung mit der
Folge, daß es nur noch eine atomisierte Masse von "Staatsbürgern"
und eine angeblich aus ihnen hervorgegangene Regierung gebe, die nach
vollendeter Wahl behauptet, mehrheitlich gewählt worden zu sein, ohne daß
diese vermeintlichen Mehrheiten noch repräsentativ sind.
Fazit Jungs: Die lebendige Einheit des Ganzen verschwindet - und um genau diese
geht es ihm auch in seinem Föderalismuskonzept. Der Staat bedürfe einer
gesellschaftlichen Grundlage - der Körperschaft. Sie allein widerspreche
effektiv der staatlichen Omnipotenz und stifte subsidiäre Gemeinschaft.
Der innere Föderalismus der deutschen Regionen untereinander müsse nach Jungs
Auffassung zudem in einen äußeren Föderalismus der europäischen Nationen
überführt werden, der in der Errichtung eines übernationalen europäischen
Imperiums gipfeln solle. Anfang der 1930er Jahre drängte Jung im Sinne seines
hiesigen Föderalismuskonzepts auch auf die Lösung des Problems des Dualismus
Preußen/Deutschland. Als Mittel zur Lösung des Gegensatzes Preußen/Reich
schwebte ihm die Wiederherstellung der föderalistischen Ordnung im Norden und
im Westen des Reiches vor.
Seine Forderung nach einer föderalistischen Erneuerung des Reiches begründete
Jung außenpolitisch: Die deutschen Volksgruppen die nach 1919 unter die
Herrschaft anderer Staaten geraten waren konnten mit den Mehrheitsvölkern nur
ausgesöhnt werden, wenn die Gaststaaten ihrerseits eine föderalistische
Ordnung annehmen würden, die fremden Volksgruppen die Beibehaltung ihrer
Eigenständigkeit ermöglichen würde. Dies sei aber nur zu erwarten, wenn das
Reich mit gutem Beispiel vorangehe und ein echter Bundesstaat würde.
Edgar Jung vertritt also ein föderalistisches Modell, in dem Provinzen,
Länder, Bundesstaaten sowie verbündete Staaten unter weitgehender
Selbstverwaltung zu einem Reichsverband zusammengeschlossen sind, dessen
institutionelle Spitze über die außenpolitische, wirtschafts- und
bevölkerungspolitische Prärogative verfügt.
Fazit Jungs: Die Selbstverwaltung kleiner Räume im Sinne der Subsidiarität
kann nicht weit genug gehen. Je freiheitlicher und unmittelbarer die Demokratie,
umso gesünder!
Ähnliche föderalistische Plädoyers für die Reichsidee als einer Alternative
zum nationalistischen, "ethnokratischen" Imperialismus
westeuropäischer Provenienz finden sich auch bei Boehm oder Freyer und haben
auch auf Carl Schmitts Konzeption einer völkerrechtlichen Großraumordnung
gewirkt. Sehr wichtig in dieser Schrift ist der auf Jungs Föderalismusbegriff
basierende Exkurs zu dem, was er unter dem Konzept vom Reich versteht. Er
betont: Der deutsche Reichsgedanke war stets geprägt vom Universalismus,
länderübergreifend und deshalb wohl wissend, daß der Nationalismus
ausschließlich ein staatliches Phänomen ist und sich nicht aus dem
Reichsgedanken ergeben kann. Das deutsche Reich hat mit Nationalismus nichts zu
tun. Im Gegenteil! - Das ewige Ideal "Deutschland" und sein
Reichsbegriff basieren auf der Vorstellung einer höheren Einheit, die über das
mechanische Staatsdenken hinausgeht und sich im kulturellen Reichtum deutscher
Regionen und ganz Mitteleuropas und in den dort aufgespeicherten ideellen Werten
widerspiegelt. Der Reichsgedanke bedeutet für Jung im Innern körperschaftliche
Gliederung und ist mehr als jene verwaltungstechnischen Beziehungen und
Anspruchshaltungen, die sogenannte moderne Demokratien mit sich führen. So
verwundert es nicht, daß es für Jung eine wahrhaft föderalistische
Umgestaltung des Reiches im organischen Sinne nur geben kann, solange das
unitarische Wahlrecht seinen Einfluß verliere.
Fazit
Insgesamt handelt es sich bei diesem Buch um eine politische Grundlagenlektüre,
die Gemeinschaft, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung im Bewußtsein einer
höheren und elektoral nicht fassbaren politischen Einheit stiften will und
aktueller denn je ist, insbesondere, wenn Jung es als kapitalistische Denkweise
brandmarkt, wenn deutsche Regionen nach "Zuschussregionen" und nach
den aus ihnen quellenden Steuererträgnissen beurteilt werden. Wichtig sei
vielmehr - so auch heute wieder - der besondere kulturelle Beitrag für das
Ganze!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 02. Juni 2009 2009-06-02 11:19:10