Der Mauerbau als Gipfel der DDR-Unterdrückungspolitik gilt als die Schaffung
der letzten Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus, der unter völliger
Ignoranz realpolitischer Tatsachen, gemeint ist der vehemente Widerspruch
seitens der DDR-Bevölkerung, vollzogen wurde. Eine rechtlose Manövriermasse
der Partei blieb für Jahrzehnte zurück. Das wird durch die uneingeschränkte
Fortsetzung der überhasteten Kollektivierung der Landwirtschaft und das
Eingeständnis, daß es ohne Abriegelung nicht mehr weitergehen könne,
bestätigt. Die notwendige Sicherung der Existenz der DDR war eine latente
Grundtatsache in deren Außenpolitik. Dazu zwang sie das Stigma des
Provisoriums, welches zum beständigen Erhalt des Legitimationsdefizites
beitragen sollte und sich z.B. im Kampf der DDR um die völkerrechtliche
Anerkennung und der Befürchtung revanchistischer Kreise im Innern äußerte.
Die deutsche Einheit war mit dem Bau der Mauer wirklich unwahrscheinlich
geworden und auch nicht mehr geplant. Vielmehr stand in der DDR 1989 nach
Meinung des Autors ein Bürgerkrieg bevor, der durch pures Glück vermieden
wurde. Auch die Maueröffnung sei ein glückliches Mißverständnis und die
Wiedervereinigung bei allen gefühlten Einbußen und Nachteilen ein Triumph der
Politik über eine Realität gewesen, die ganz anders hätte verlaufen können.
Denn - so der Duktus der vorliegenden Schrift: Nichts ist schwerer, als auf
Dauer die Freiheit zu unterdrücken und die Masse in ein sozialistisches Korsett
zu legen, das ihrem Wesen nicht entspricht. In dem Staat einer Gesellschaft mit
Gleichberechtigten produzierte das erzwungene sozialistische Experiment ein
mühsam zusammengehaltenes Kollektiv einer gleichsam rechtlosen und würdelosen
Bevölkerung. Der soziale Egalitarismus und die physische und psychische
Repression umfassen systemimmanente Komponenten faktischer Intsabilität, die
sich in den folgenden Jahrzehnten nach 1961 fortentwickelten.
Das schwierige Gleichgewicht hypertropher Sicherheitspolitik,
protokommunistischem Sozialstaat, internationaler Anerkennung und Abgrenzung
nach Westen zur eigenen Stabilisierung, dem Bekenntnis zur Sowjetunion und
permanent notwendiger wirtschaftlicher Prosperität geriet stets außer
Kontrolle und war der DDR inhärent. Die Einheit war als Fernziel dennoch
aufgegeben worden. Zwar läßt sich fragen, ob ein derartiger Zustand nicht
zwangsläufig zur Einheit führen mußte oder ob diese wirklich ein Glücksfall
war.
Der Autor stellt sich auf die Seite der Meinung, es sei ein Glücksfall gewesen.
Die eindringliche Geschichte, wie es so zur deutschen Einheit kam, wie hautnah
die Deutschen mehrfach an blutigen Katastrophen und drohendem Chaos
vorbeigeschrammt sind, basierend auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
und Augenzeugenberichten - diese Geschichte liefert das vorliegende Buch. Wie
konnte es zum Fall der Mauer kommen? Und war die Wiedervereinigung letztlich
nicht doch ein großer Erfolg? Michael Funken zeigt, wie der Mauerfall zur
wundersamsten Revolution der deutschen Geschichte wurde.
Die Leistungsschwäche und ein wachsender Rückstand im Lebensstandard waren
Defizite, die durch das vorhandene Mehr an Sicherheit im Rahmen eines utopischen
Fernziels der DDR nicht kompensiert werden konnten. Die Existenz einer
opportunistisch handelnden Monopolelite sorgte für eine ungenügende
funktionelle Differenzierung in den Funktionsbereichen und für ungenügende
Autonomie der gesellschaftlichen Teilbereiche. Eine leistungshemmende
Politisierung des sozialen Aufstieges war das Ergebnis. Die Autonomie prägte
sich hingegen passiv in Nischenbereichen heraus. Dort wirkte die staatlich
blockierte Innovation produktiv und frei.
Fazit
Zwar geht der Autor auf derartige soziologische Aspekte der deutschen
Wiedervereinigung und der systemimmanenten Dysfunktionalität der DDR kaum ein,
bietet aber auf neueste Fakten gestützt, überparteilich und ohne ostalgische
Larmoyanz ein bedeutendes Buch zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 01. Juni 2009 2009-06-01 11:22:38