Die Einsicht in das geschichtslose und durch Technik regulierte System unserer
Zivilisation verleitet leicht dazu, seine Demontage zu verlangen und eine
Rückkehr in ein gleichsam primäres System zu erstreben. So könne nach dieser
Haltung die Weltanschauung, welche die Reduktion des Individuums und die
Erfahrungsleere des modernen Menschen, verdingt in Fließbandarbeit, beruflichen
Alltag und mechanistische Arbeitsteilung, abgeschafft werden.
Dies ist es nicht, wozu das vorliegende Buch offensiv aufruft, wohl aber ist es
sein Anspruch, Klarheit über jene Prozesse zu gewinnen und Auswege im Denken
offensiv zu diskutieren. Die zwölf Aufsätze des Bandes umkreisen das deutsche
Volkstum, das Reich, Mythos und Sprache der Deutschen. In Fundamentalkritik zur
Nachkriegsentwicklung wird dargetan, daß gesellschaftspolitische, kulturelle,
religiöse und ökologische Probleme der Gegenwart auf ein gestörtes
Verhältnis zum Wesen und zur Empfindungswelt unseres Volkes zurückzuführen
sind. Klar wird stets, daß das nachkriegsdemokratische "sekundäre
System" (Hans Freyer) keine Grundlage in Richtung Geschichte mehr sichern
konnte oder wollte. Sie ist aber nicht verloren, sondern abgeschnitten.
So ergibt sich die freischwebende Traditionsabgeschnittenheit, in der das
traditionale einst primäre Leben von den Institutionen und vom
Veranstaltungsbetrieb abgenommen, oder gebrauchfertig geliefert wird. Die
Traditionsabgeschnittenheit - so ließe sich als Konsequenz aus Lammlas Essays
bilanzieren - wird daran deutlich, daß dem Menschen die Möglichkeit einer
freien und selbstverantwortlichen Lebensführung vom System abgenommen wird, was
einem Zustand des reinen Falls, des totalen Nihilismus gleichkommt. Lammla
schreibt: "In Deutschland ist der Nihilismus weit fortgeschritten." -
Spengler setzte einst an diese Stelle den Metropolitismus als Symbol des
Verderbens und der Zivilisation, in dem die nervöse Masse mittels Filmen und
Sportwettkämpfen auf der Suche nach Entspannung ist, weil die verankerten
Traditionen, die moralischen Kriterien und das religiöse Erlebnis verloren
gingen. Und genau um dieses Erlebnis geht es auch Lammla, wie der Titel des
Buches bereits verheißt.
Ausgehend von den Ideen der deutschen Klassik arbeitet der Autor weiter das
gesellschaftsgestaltende Potential der Literatur heraus und zeigt Wege,
Grundlagen für eine neue Welterfahrungs- und Lebensweise zu schaffen. Die
Entdeckung des Nihil in der Mathematik ist die eigentliche Geburtsstunde der
Entwicklung, deren Ende Nietzsche als Nihilismus prophezeite. Wenn der Mensch
von räumlicher und zeitlicher Unendlichkeit umgeben ist, hat er nicht mehr zu
bedeuten, als irgendeine gebrochene Menge, deren Nenner das Unendliche ist,
Nihil, Null. Der entwurzelte Mensch bei Lammla ist aus seiner Achse geworfen,
weil er keine Perspektive mehr hat. Er findet keine Orientierung mehr, sieht den
sekundären Zustand als den normalen an, spürt aber, daß ihm dennoch etwas
fehlt.
Dabei wird aber gerade in den Essays des Buches deutlich, daß die
gegenwärtigen Verirrungen keine schicksalhafte Notwendigkeit haben, sondern von
deutschen Denkern mitverschuldet sind. Die vielfältigen Ansätze vereinigen
sich in dem Aufruf an die Dichter, Mut zu fassen für die Gestaltung eines neuen
Staates. Dieser korreliert durchaus mit der Reichsidee, dem Heiligen Römischen
Reich Deutscher Nation, welches bei Lammla als Terminus nicht pejorativ besetzt
ist, sondern vielmehr den tief gläubigen Menschen des Mittelalters würdigt,
der der göttlichen Ordnung sehr viel näher gewesen sei, als die heutigen
Zeitgenossen.
Die mediale Welt der Gegenwart wird als wenig hilfreich auf dem Weg der Lösung
gesehen. Sie sei vor allem die Überbewertung des Sachverhalte vermittelnden
Bildes vor dem Wort. Man könnte weiter schließen: Die neue Bedrohung des
Politischen besteht in der Entstehung der Expertokratie. Die Politiker
verschanzen sich hinter Meinung von Experten, die selbst keine Gelegenheit
auslassen, die Komplexität ihrer Felder zu betonen, so daß im Ernstfall die
Verantwortung niemandem zuzuordnen ist. Die Konsequenz ist die rationalisierte
und bürokratisierte Regierungsform. Die Homogenisierung aller Lebensbereiche,
beschleunigt durch die Medien und die Ideologie des Konsums, hat dazu geführt,
daß sich die Anhänger verschiedener politischer Richtungen immer ähnlicher
werden. Das hat die Atomisierung der Wählerschaft bewirkt. Es herrscht die
Instabilität der öffentlichen Meinung, die Vorbehalte der Experten zu einer
Politik des Zögerns, die statt Lösungen vor allem Unentschlossenheit
produziert. Die Folge ist ein inkohärenter Regierungsstil, der fallweise auf
die Klagen und Forderungen der verschiedenen Gruppen reagiert. Aus politischer
Demokratie wird Meinungsdemokratie, aus politischem Handeln die bloße
Buchführung über wirtschaftliche Zwänge und gesellschaftliche Forderungen.
Den Intellektuellen bleibt also die Wahl, sich in den Elfenbeinturm
wissenschaftlicher Forschung zurückzuziehen, am medialen Zirkus teilzunehmen
oder aber als Schriftsteller diese Fragen außerhalb des Elfenbeinturms frei zu
thematisieren. Genau dies absolviert das vorliegende Buch, welches sich gut in
die vielen lyrischen Arbeiten des Autors einfügt und im Gegensatz zu den
Verirrungen der modernen Welt das magische Weltbild schätzt, weil es zwischen
Zeichen und Figuren Korrespondenzen sieht, die über die rationale Kausalkette
hinausgehen und damit tatsächlich einer neuen Vitalität der Lebensbereiche den
Weg bahnt und dabei furchtlos agiert.
Fazit
Der Furchtsame hingegen bringt selbst die Dämonen hervor, die ihn zerstören.
Der Ausweg ist also in diesem Buch die Kunst, die Lyrik und das freie Denken,
welches sich mutig kundtut. Das vorliegende Werk wird damit seinem immanenten
Selbstanspruch in Gänze gerecht.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 09. Mai 2009 2009-05-09 13:15:54