Gerd Langguth, Autor hochgelobter Biographien über Bundespräsident Köhler und
Kanzlerin Angela Merkel, hat hier Portraits der "Machtmenschen" Helmut
Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel vorgelegt. Alle drei Personen seien
"Machtmenschen" insofern, als der Erwerb und der Erhalt einer
Machtposition ihr Lebensziel sei. Politiker - so Langguth - wollten vor allem
öffentliche Anerkennung erhalten und im Rampenlicht stehen - im Gegensatz etwa
zu Wirtschaftsführern, die eher im Verborgenen wirkten. Macht sei insbesondere
am Einfluss auf die Besetzung von Positionen zu erkennen, also der Fähigkeit,
befreundete Politiker in Machtpositionen zu bringen und (politische) Widersacher
zu entmachten.
Der Autor untersucht dann Gemeinsamkeiten der "Machtmenschen" Kohl,
Schröder und Merkel. Allen sei ein gewisser Grad an Rücksichtslosigkeit zu
eigen. Kohl sei - im Gegensatz zu den "Pragmatikern" Schröder und
Merkel der "ideologischste" Bundeskanzler mit einem festgefügten
Weltbild gewesen, Schröder eher - um ein Wort des Politikwissenschaftlers Korte
zu benutzen - ein instinktsicherer "Pragmatiker des Augenblicks", also
ein Politiker, dem es insbesondere um die augenblickliche Wirkung gehe.
Frau Merkel pflege wie Kohl institutionelle Runden, etwa die Kanzler-Morgenlage
und wäge ihre Entscheidungen in Bezug auf ihre Wirkungen lange ab. Ihr
naturwissenschaftliches Weltbild - Politik versteht sie als
Kräfteparallelogramm im Sinne von Wirkung und Gegenwirkung - prägt ihr Amts-
und Machtverständnis.
Das Buch endet mit mehreren Thesen zur Beziehung zwischen Macht und Politikern.
Ernüchterndes Fazit: obwohl nicht abgestritten werden könne, dass Politiker
auch Inhalte umsetzen wollten und für die Menschen etwas erreichen wollten,
ginge es vielen Politikern - unter anderem den drei erwähnten Bundeskanzlern -
primär um Erwerb und Bewahrung von Macht.
Insbesondere Helmut Kohl kommt in der Bewertung Langguths relativ
"schlecht" weg; er wird als reiner "Machtpolitiker"
betrachtet, der diesem Ziel alles andere untergeordnet habe. Besonders im
Bewahren der Macht sei er Meister gewesen. Schröder sei offener gewesen und
habe seine Machtambitionen daher auch nie verborgen. Im Gegensatz zu Kohl und
Frau Merkel habe er allerdings weniger Geschick im Bewahren von Macht besessen,
Gremien (etwa die Morgenlage) schätzte er nicht.
Das Buch hat Stärken und Schwächen.
Die Stärke des Buches liegt darin, dass der Leser durch einen
"plastischen" Stil das Gefühl hat, gewissermaßen "durchs
Schlüsselloch" zu sehen und den Aufstieg (und - bei Kohl und Schröder -
auch den Niedergang) der Politiker gewissermaßen miterleben zu können.
Insofern erinnert mich das Buch sehr an das Buch "Machtwechsel" von
Arnulf Baring, welches die sozial-liberale Koalition beschreibt.
Interessant sind auch die Einblicke in unser politisches System, etwa über die
Schwierigkeit des Regierens in unserem Verbundföderalismus und der
"strukturellen Machtlosigkeit" (so ein Zitat von Michael Naumann) des
Bundeskanzlers.
Ich war dennoch etwas enttäuscht. Zum einen werden viele Passagen wiederholt,
sogar einige Kurzbiographien von Politikern (etwa Schäuble) tauchen an mehreren
Stellen auf. So plausibel die Kurzpotraits der drei Politiker einschließlich
der Skizzierung und Analyse ihrer Kanzlerschaft geraten ist (im Falle von Frau
Merkel ergänzt das Schlusskapitel die im Jahre 2007 aktualisierte Biographie
des Autors), so fehlt mir doch - gerade in der Beschreibung der Politiker - eine
definitive Begründung, warum sie lediglich Macht bzw. den Erwerb von Macht in
den Mittelpunkt ihres Denkens gestellt haben sollen. Hatten sie nicht auch
andere Motive? Hätte Gerhard Schröder nicht an der Macht bleiben können, wenn
er die "Agenda 2010" nicht entworfen und sich dadurch mit Teilen
seiner Partei überworfen hätte? Hätte er - wenn es ihm nur um die Bewahrung
der Macht gegangen wäre - nicht nach den für die SPD verlustreichen
Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2005 einfach weiterregiert
anstatt danach die Auflösung des Bundestages anzustreben? Hatte Kohl nicht auch
objektive Gründe, einen Stabwechsel zugunsten Schäubles nicht durchzuführen -
etwa die Tatsache, dass er die Euro-Einführung noch selber "unter Dach und
Fach" bringen wollte? Und ging es Angela Merkel, als sie Kohls und
Schäubles Sturz nach der Spendenaffäre über einen Artikel in der FAZ im
Dezember 1999 einleitete, wirklich nur darum, beide Politiker zu stürzen, um
selber an ihre Stelle zu treten? Mußte sie nicht damit rechnen, bei Schäubles
Sturz auch ihre Position als CDU-Generalsekretärin zu verlieren? Dies muß so
nicht sein. Langguth mag recht haben mit seiner Analyse, es gehe den drei
Politikern in erster Linie um Erwerb und Sicherung von Macht und um
"Kaltstellen" politischer Rivalen. Aber zumindest sollten gegenteilige
Sichten - dass es Politikern möglicherweise doch um "mehr" geht, auch
dargestellt oder zumindest untersucht werden.
Kurz: die Schlussfolgerungen des Autors, den Politikern gehe es nur um
Machterwerb und Machtsicherung klingen sicherlich populär, ganz im Sinne von
Richard von Weizsäckers Diktum, die Parteien seien "machtbessen und
machtversessen" (dieses Zitat taucht im übrigen merkwürdigerweise in der
Biographie gar nicht auf). Aber ging es ihnen nicht auch um Politikinhalte?
Zweitens: Wenn man den politischen Aufstieg unter dem - vielschichtigen -
Begriff der "Macht" untersucht, so muss dieser Begriff genauer
analytisch untersucht werden. Kurze Verweise auf den Machtbegriff von Max Weber
bzw. K. Galbraith reichen hier nicht aus, auch wenn deutlich wurde, dass
Politiker in erster Linie öffentliche Anerkennung suchen und daher
Machtpositionen anstreben. Was bedeutet denn Macht für einen Politiker, wenn
andererseits ein "struktureller Einflussverlust" - etwa des Amtes des
Bundeskanzlers - aufgrund der Zwänge unseres politischen Systems mit vielen
Vetomächten (Bundesrat etc.) oder den Auswirkungen der Globalisierung
bilanziert wird? Da hätte ich gerne mehr gehört.
Auch sind mir die Quellen zeitweise etwas dünn. Dies gilt insbesondere für das
Kapitel über Gerhard Schröder, wo mir zu sehr auf (doch recht subjektive)
Interviews mit Politikern - politischen Weggefährten oder innerparteilichen
Gegnern - zur Urteilsbildung zurückgegriffen wird, obwohl erste Fachliteratur
über die Bilanz der rot-grünen Regierung, die teilweise sogar zitiert wird, ja
durchaus vorliegt.
Fazit: ein interessantes und spannend geschriebenes Buch, welches aber seine
These, dass die drei portraitierten Politiker - Kohl, Schröder und Merkel -
sich primär von ihren Machtinteressen leiten ließen und politische Ziele
diesen Interessen unterordneten, nicht genügend beweist. Ansonsten: durchaus
spannende, wenn auch aus meiner Sicht nirgends wirklich "neue"
Informationen zu Biographie und Kanzlerschaft der drei Politiker. Wer solche
Informationen sucht, ist mit diesem Buch gut bedient. Wer eine politische
Analyse des Begriffes von Macht, Herrschaft und Macht bzw. Ohnmacht von
Individuen im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklungen am Beispiel der drei
Bundeskanzler erwartet, dürfte aber etwas enttäuscht sein.
Fazit
Insofern ein Buch mit Stärken und Schwächen. Insgesamt dennoch lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 30. April 2009 2009-04-30 19:45:09