Auch 30 Jahre nach ihrem Erscheinen ist Joachim Fests Hitler-Biographie ein
wichtiges Standardwerk. Sie beleuchtet eindrucksvoll Aufstieg und Werdegang
Hitlers. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf die Persönlichkeit des Diktators,
der - im Gegensatz zur Biographie von
Kershaw - durchaus als
"starker" Diktator begriffen wird, der seine Ziele bis zum Ende
durchsetzen konnte, eine These, die Joachim Fest in seinem neuen, ebenfalls sehr
eindrucksvollen Werk "Der Untergang" wiederholt. Nun ist in der
Forschung mehrfach die Vernachlässigung sozialhistorischer Aspekte bemängelt
worden und dem Autor "Hitlerzentristik" vorgehalten worden. Ich kann
dies nicht teilen.
Gregor
Schöllgen schrieb 1983 in seinem Aufsatz: "Das Problem einer
Hitler-Biographie", veröffentlicht in: "Nationalsozialistische
Diktatur: 1933-1945 : eine Bilanz" (hrsg. von
Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke
und Hans-Adolf Jacobsen) im Droste-Verlag: "Wenn das gleichmäßige
Berücksichtigen der Person wie der sozialen, wirtschaftlichen, politischen oder
ideologischen Prozesse einer Epoche in ihrer kausalen Verflechtung als Kriterium
für eine politische Biographie gelten darf, so kann man die Biographie von
Joachim C. Fest zu diesem in der Hitler-Forschung seltenen Typ der politischen
Biographie zählen" (ebd., S. 694). Schöllgen weiter: "Es ist wichtig
im Auge zu behalten, daß Fests Buch primär eine Biographie, nicht aber eine
Geschichte der Weimarer Republik oder des "Dritten Reiches" ist.
Insofern treffen zahlreiche Kritiken ins Leere, wenn sie gegenüber Fest eine
Liste nicht erwähnter oder nur unzureiched beschriebener und analysierter
Fakten in Anschlag bringen."
Dennoch liegt das Überzeugende an dieser Biographie in der Darstellung der
Psychologie Hitlers und der beteiligten Personen. Auch die Überlegungen zum
Zusammenhang zwischen politischer Kultur Deutschland und dem Aufstieg Hitlers -
der Autor ist Gegner der These, es habe Kontinuität von Friedrich dem Großen
bis Hitler bestanden - ist sehr interessant und überzeugend. Ich möchte diese
These begründen: man lese einmal im Vergleich die Szene des Streites zwischen
Hitler und Hugenberg vor der Ernennung des Kabinetts Hitler am 30. Januar 1933
durch Hindenburg bei Fest und
Kershaw kritisch nach: bei Fest
kommt der "Mythos Hindenburg" zum Tragen: der Streit zwischen Hitler
und Hugenberg muss beendet werden, um den "Herrn Reichspräsidenten"
nicht warten zu lassen. Bei Kershaw wirkt diese Szene im Vergleich recht blass.
Natürlich ist die Biographie leider nicht mehr auf dem neuesten
Forschungsstand; die zitierten Quellen sind inzwischen durch weitere Forschungen
ergänzt worden. In dieser Beziehung bietet die 1998/2000 erschienene
zweibändige Kershaw-Biographie ein eindrucksvolles Kompendium über den
neuesten Forschungsstand. Auch Darstellungen über die Jugend Hitlers sind
inzwischen veraltet und teilweise überholt, wie Brigitte Hamanns: "Hitlers
Wien" beweisen, worauf
Krockow in seinem Werk "Hitler
und die Deutschen" zu recht hinweist. Es ist meines Erachtens bedauerlich,
dass auch die 1998 erschienene Taschenbuchausgabe im Propyläen-Verlag nicht vom
Autor diesbezüglich überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht wurde.
Ich teile auch die Skepsis, insbesondere von Haffner ausgedrückt, dass Hitler,
wäre er 1938 gestorben, als Staatsmann in die deutsche Geschichte eingegangen
wäre. Haffner hat dies in seinen "Anmerkungen" überzeugend
widerlegt.
Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Biographie dennoch um eine
eindrucksvolle Leistung - sie wurde nicht umsonst 30 Jahre nach ihrem Erscheinen
zu einer der Standardbiographien.