Der moderne Glaube an das autonome Subjekt, an die Vernunft und die Wissenschaft
als Mittel der Welterkenntnis sind bei Ernst Jünger im 1. Weltkrieg zerstört
worden. Er sah den Krieg als Nullpunkt, der die Chance eröffnete, die eigenen
Ideale zu verwirklichen. Gegen den potentiellen Nihilismus einer
materialistischen pluralistischen Zeit sehnte er sich nach der Gewißheit eines
religiösen Zeitalters. Es verband sich die konservative Haltung mit dem
aktivistischen Abenteuer zu etwas Neuem, einer neuen Ordnung.
Eine neue Ordnung meint hier die Möglichkeit, wieder den Raum für menschliche
Leidenschaften zu eröffnen, die Fülle des Lebens zu ermöglichen. Es war eine
ästhetische Vision: eine heroisch-monumentale Zeit mit fanatischen
Überzeugungen, totaler Mobilmachung aller Ressourcen und schließlich für den
Sieger das Recht, eine grandiose Ordnung zu etablieren.
Als Annäherungen betitelte Ernst Jünger seine Aufzeichnungen zum Themenkomplex
Drogen und Rausch, die 1970 zum ersten Mal erschienen sind und Texte beinhalten,
die einen persönlichen Aufbruch zu etwas Neuem, zu einem Abenteuer neuer
Bewußtseinszustände darstellen, nicht zuletzt, um die Fülle des Lebens auf
allen Ebenen zu erfahren. Es handelt sich um Annäherungen an Grenzen, die nicht
überschritten werden, an Geheimnisse, die wohl erahnt, jedoch nicht gelüftet
werden können. Denn mehr als eine Annäherung vermag laut Jünger keine Droge
dieser Welt zu leisten, die letztendliche Erfüllung der Begier wird dem
Forschenden stets versagt bleiben. Bis dahin experimentierte Jünger
leidenschaftlich aber mit dem Ziel des tieferen Erkenntnisgewinns mit Drogen.
Es geht in diesen Texten um seine individuelle Annäherung an die Droge, und
zwar in Form eines spannenden Tagebuchs. Es sind rückschauende Reisen in den
Erinnerungsspuren intensiv erlebter Vergangenheit. Die glücksgesättigte
Erfahrung des Augenblickes - bei Jünger in der Begegnung mit der Natur, weniger
mit Menschen - steht in Kontrast zu einer zivilisationspessimistischen Haltung,
die zu Untergangsprognosen neigt. Er forscht immer nach Neuem und hält seine
Beobachtung akribisch fest. Das Ziel des Lebens ist für ihn das aushalten der
immanenten Widersprüchlichkeiten, Immanenz und Transzendenz haben eine reife
Konstellation erfahren. Die menschliche Existenz unterliegt den Achsen der
Transzendenz, der Spiritualität des göttlichen Plans und der der
körperlichen, naturhaften und existentiellen Materialität.
Der Versuch, beide Achsen zur Deckung zu bringen führt zur Zerstörung der
Realität unseres Lebens, zur Aufhebung der sinnvollen Entspannung zwischen den
beiden Achsen. Drogen können auch nur eine Annäherung an die
Deckungsgleichheit dieser Achsen sein, niemals aber der Weg zur völligen
Kongruenz. Das mannhafte Aushalten der Gegensätze bildet weiter das Zentrum der
Welt.
In 315 Abschnitten, die durch einige Kapitel ("Parerga") ergänzt
werden, berichtet Ernst Jünger im essayhaften Ansatz dieses Buches. Das Thema
wird zwar nicht erschöpft, erarbeitet, aber beinhaltet die Abarbeitung
umfassender Literatur (Beaumarchais, Dostojewski, Baudelaire, Rimbaud,
Maupassant) zum Thema Rausch und Droge. In subtiler Weise untersucht Jünger die
Verstärkung des Rauschs durch höhere Dosierungen. Es ist immer wieder ein
Vortasten, das sich der Grenzen bewußt bleibt, sie aber nicht überschreitet.
Fazit
Das Nachdenken über den Rausch und die Erklärungen über Drogen helfen dabei,
die literarischen Werke, die Jünger zitiert, besser zu verstehen. Er legt aber
keine Anleitung zum Drogenverzehr vor, wohl aber eine metaphysische Annäherung:
"Jeder Genuß lebt durch den Geist. Und jedes Abenteuer durch die Nähe des
Todes, den es umkreist."
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 22. März 2009 2009-03-22 11:24:07