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Francine Prose: Am Tag danach

Am Tag danach

von Francine Prose
Verlag: Ravensburger Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Jugendroman
ISBN-13 978-3-473-58295-2

Preis: 12,12 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. Dezember 2024]
Als das Massaker an der Pleasant Valley Highschool bekannt wurde, klingelten bei Tom und seinen Klassenkameraden die Handys. Ihre besorgten Eltern wollten sich vergewissern, dass mit ihren Kindern alles in Ordnung war. Wie 1999 in Littleton waren in Pleasant Valley die coolsten, attraktivsten Typen und die erfolgreichen Basketballspieler getötet worden. Niemandem waren die Täter vorher aufgefallen, niemand hatte auch nur geahnt, dass sie eng miteinander befreundet waren. An der Unauffälligkeit möglicher Amokläufer beißt sich Toms Schuldirektor fest und beschließt für seine Schule, die Central High, eine kompromisslose Null-Toleranz-Politik. Null Toleranz bedeutet zukünftig: keine Waffen, keine Drogen, keine Schmierereien, keine Basecaps, keine Mützen bei Temperaturen über Null Grad, keine bauchfreien Tops mehr an der Central High. Die Eltern werden in regelmäßigen Mails aufgefordert, ihre Kinder auf Anzeichen von Depressionen zu beobachten und schließlich stellt die Central High als Ansprechpartner für Schüler und Eltern einen eigenen Krisenberater ein. Dr. Henry Willner, ein älterer Psychologieprofessor, hat sich auf die Fahne geschrieben, mit allen Mitteln "die Gemeinschaft zu schützen". Sehr merkwürdig, dass für die Gewalt-Prävention ein Schulfremder eingestellt wird, sehr merkwürdig auch, dass sich Willners Ideen wie Drohungen anhören. Die Schüler fühlen sich durch die Ereignisse in Pleasant Valley kein bisschen traumatisiert und fragen sich, wieso sie durch Metalldetektoren, Sicherheitspersonal und Spindkontrollen ihre persönlichen Rechte einschränken lassen sollen. Dass ein zweites Schulmassaker passieren könnte, halten sie für ausgeschlossen, schließlich schlägt der Blitz doch auch nicht zweimal an derselben Stelle ein. Als alle Schulsportler zu regelmäßigen Drogentests verpflichtet werden, ist das Schülern wie Lehrern überaus peinlich. Dr. Willner hat inzwischen an Toms Schule einen Überwachungsstaat Orwellschen Stils eingerichtet, der Direktor Mr. Trent scheint entmachtet, die Eltern reagieren hilflos und weichen Gesprächen mit ihren Kindern am liebsten aus. Kein Wunder, dass die Schüler sich untereinander nicht mehr trauen können, dass sie überzeugt davon sind, von Willner rund um die Uhr abgehört zu werden. Silas, der zu Toms Clique gehört, hatte seine Freunde gewarnt, das inzwischen in den USA aus so genannten Boot Camps Jugendliche verschwinden und nie wieder in ihre Heimatorte zurückkehren. Was sich wie eine hysterische Übertreibung anhört, wird für Tom und seine Freunde Wirklichkeit, als auch Silas in ein Bootcamp eingewiesen wird.

Mit der Einstellung des dubiosen Dr. Willner scheint der Direktor der Central High School alles richtig gemacht zu haben. Er hat schnell auf die Gewalttat an der benachbarten Schule reagiert, so dass die Eltern ihre Kinder vordergründig in Sicherheit wähnen können. Auch extremste disziplinarische Maßnahmen und Verbote werden niemanden von Selbstmordgedanken abhalten können. Die realen Probleme Jugendlicher können die Leser in einigen Nebenfiguren aufspüren, wie zum Beispiel bei Stephanie, deren Bruder vor kurzem an Aids starb. Die Eltern der Central High Schüler scheinen die Veränderungen klaglos hinzunehmen und ihre Verantwortung nur zu gern an die Institution Schule, später an "den Staat", abzugeben. Toms Vater, dem als Künstler gesellschaftliche Normen herzlich egal sind, klinkt sich auf seine Art aus dem Überwachungs-System Schule aus, indem er die täglichen Mails von Dr. Willner ignoriert. Tom fallen die Widersprüchlichkeiten des Willnerschen Staates bald auf, er erkennt hinter Willners formelhafter Sprache Gefühllosigkeit und die Unfähigkeit, sich den tatsächlichen Problemen der Schüler zu stellen.
Fazit
Faszinierend an Francine Proses Jugendroman finde ich, wie die Autorin die berechtigte Sorge von Eltern um die Sicherheit ihrer Kinder aufnimmt, die Eingendynamik Dr. Willners extremer Schutz- und Überwachungs-Maßnahmen überzeichnet, um sie am Ende als Selbstzweck zu enthüllen. Kein Wachmann und kein Denkverbot werden verhindern können, dass ein Schüler der Gemeinschaft "verloren" geht oder dass ein Jugendlicher an einer Schule mit großer Schülerzahl so vereinsamt, dass er gar nicht mehr wahrgenommen wird. "Am Tag danach", das im Jahr 2003 in den USA erschien und sich im Text ausdrücklich auf die Amokläufe in Littleton, Colorado (1999) und Paducah, Kentucky (1997) bezieht, ist für deutsche Leser im März 2009 von beklemmender Aktualität.
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 22. März 2009

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