"Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu
entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur
und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist
barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es
unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben." -
Diese Worte Theodor W. Adornos prägten das Bewußtsein der deutschen
Nachkriegsdemokratie. Abgesehen davon, daß Adorno ohnehin keine Gedichte
schreiben konnte und viele Versuche, seine Aussage als "wahr" zu
beweisen, gescheitert sind, ist es Uwe Lammla zu verdanken, diesen Irrtum des
Philosophen aufgezeigt zu haben: Nach Auschwitz können Gedichte geschrieben
werden und zwar dezidiert naturverbundene deutsche Gedichte.
Mit dem "Tannhäuserland" gibt Lammla ein Beispiel dafür ab. Er
wendet sich in mehreren Zyklen seiner thüringischen Heimat zu und gibt zu
bedenken, daß wenn die Welt noch so verroht ist, man Gott und seinem Gebote
folgen solle. Das erste Buch beschreibt das Orlagau und folgt dem Lauf der Saale
in Thüringen:
"Am Saalestrande stolze Burgen wachen,
Daß deutsch der Glaube sei und frei das Feld,
Denn nur der freie Bauer nährt die Welt,
Die dies vergißt bei spielerischen Sachen."
Es gibt für den Dichter also eine geistige Kontinuität, eine Fortdauer
mentaler Dispositionen und ethnisch-kultureller Prägungen, die auch bei
äußerem Wandel der Verhältnisse, trotz aller politischen, wirtschaftlichen
und technischen Umwälzungen und ungeachtet tief greifender historischer
Verwerfungen wirksam bleiben. Desgleichen werden lyrisch die Rhönberge
erwandert sowie der Rennsteig von Hörschel bis Blankenstein. Der triumphale
Einstieg "Thuringia" macht die integrative Kraft des deutschen
Anspruchs deutlich, eine Gemeinschaft zu bilden, solange die Sprache eine
gemeinsame ist. Diese hegelianische Perspektive bewahrt den Blick für die
großen Zusammenhänge und schützt insbesondere den Reichtum der sprachlichen
Wirklichkeit vor aushöhlenden Reduktionen - gerade in Deutschland.
Im vorliegenden Buch verschmelzen Mythen, Volksglaube, Landschaft und
Überlieferung. Es liegt hier ein sehr persönliches Werk des Dichters vor. Aus
allen Versen spricht immer wieder die Überzeugung, daß dem Dichter deutsche
Dichtung mehr ist, als der bloße Moment preisgibt. Ihre Kraft und Lebenshaltung
zeigt sich als rationale Kraft zur Überwindung der Verwerfungen der Gegenwart
über den Weg der Konvergenz von Physik und Metaphysik, von Empirie und
Idealität. So werden Heimat, Sorgfalt, Gründlichkeit, feste Organisation,
Innerlichkeit und Gemüt, inneres Wachstum des Menschen anstelle seiner
materialistischen Animalisierung sowie die Liebe zum Gewachsenen, zur Heimat und
zur thüringischen Natur zum Mittel der Befreiung der Seele aus der Umgebung und
dem Zwang der Mittelmäßigkeit.
Es werden die heimatlichen Mythen im "Tannhäuserland" zur Quelle des
Lebens unter Anerkennung von Leiden und Demut. Immer wieder stößt der Leser
auf einen höchst anregenden Mikrokosmos eines Dichters, der sowohl die Gabe der
Naturbeobachtung als auch die Gabe zur poetischen Verdichtung seiner Eindrücke
in hohem Maße besitzt. Die Häufung von Charakterbildern ungewöhnlicher
Objekte wird daher kaum einen Leser unberührt lassen.
Lammla zeigt sich einmal mehr als Meister einer Poetik "nach
Auschwitz" und er ruft den Menschen, die noch den Wunsch zur geistigen
Selbsterhaltung abseits einer reproduzierten Negativ-Folie der Geschichte haben,
trefflich zu, nicht hier im Negativen zu verharren, sondern anderswo
selbstbewußt und versöhnend zu stehen:
"Auf die Warte nimm ein Recht
Soll dein Reim nicht ortlos gehn,
Geht es deutschen Landen schlecht,
Auf der Wartburg musst du stehn."
Fazit
Ein Vorzeigewerk moderner deutscher Lyrik.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 08. März 2009 2009-03-08 11:37:46