Seitdem es Politik als Wissenschaft gibt, besteht eine Spannung zwischen
utopischer Gesinnungs- und pragmatischer Verantwortungsethik. Die Arbeitsteilung
zwischen Religion und Politik ist unumkehrbar. Absolute Ethik gilt als
dysfunktional, sobald es in allem politischen Tun um Sachgesetzlichkeit,
Kompromissfindung und Konsensstiftung geht. Erst als der säkularisierte Glaube
an den sittlichen Allgemeinvertretungsanspruch des Staates nicht mehr fraglos
hingenommen wurde, entstand ein Dualismus zwischen Verantwortungsethik und
Gesinnungsethik.
Er weiß, daß alles politische Handeln auch auf irrationalen Wertentscheidungen
beruht, - gerade das des Realpolitikers - und daß Sozialwissenschaft gar nicht
entscheiden kann, ob man sich in einer Situation verantwortungsethisch zu
verhallten habe. Begibt sich der Gesinnungsethiker in die Politik, so wird er an
einen Punkt kommen, wo er sich mit dem spezifischen Mittel alles Politischen
konfrontiert sieht: dem der Gewaltsamkeit und damit dem militärischen Mittel.
Wer dazu nicht in der Lage ist, besitzt nicht die Sicherheit im
verantwortungsvollen Umgang mit der Macht wie sie vom Beruf des Politikers
gefordert wird. Das ist Max Webers Vorbehalt gegenüber der Gesinnungsethik in
der Politik: Sie wird unweigerlich vor die Situation gestellt, sich selbst treu
zu bleiben und damit politisch zu scheitern. In der Politik steht der
Erfolgswert und die Verantwortung über dem Gesinnungswert. Die Alternative zur
Gesinnungsethik in der Politik heißt daher, jenes der vorgegebenen Wirklichkeit
entgegengesetzte "Dennoch" das dem einmal gewählten Ziel treu bleibt.
Auch die politische Verantwortungsbereitschaft muß von dahinter stehenden
Überzeugungen getragen werden, da Politik sonst jeden Sinnbezug verliert.
Was qualifiziert einen Politiker zur Übernahme allerhöchster Verantwortung?
Helmut Schmidt läßt sich bis heute von der Maxime leiten, der Politiker sei
für die Folgen seines Handelns verantwortlich. Er war damit nicht
Gesinnungsethiker. Sein Beispiel in einem dramatischen Moment deutscher
Geschichte zeigt die hohen fachlichen und charakterlichen Ansprüche, die allein
Menschen befähigen, Entscheidungen zu fällen. Seit Helmut Schmidt 1969
Geheimszenarien bekannt wurden, die den deutschen Militärs die Entscheidung
über einen "atomaren Gegenschlag" zugestanden, kämpfte er stark für
die politische Kontrolle militärischer Instrumente. Nur so konnte für ihn die
Bundeswehr in die Regierungsverantwortung einbezogen werden und realpolitisch
sinnvoll agieren.
Die Realpolitik ist wohl einst auch der Grund für die deutsche Wiederbewaffnung
gewesen. Das Ringen um Deutschland war und ist immer auch das Ringen um den
deutschen Soldaten, dessen militärische Bravour im ehemals feindlichen Ausland
höher geschätzt wird, als im eigenen Land. Der verbreitete Verlust an
Realitätssinn für militärische Leistungen aber auch Gefahren, dazu die nicht
weniger verbreitete Unfähigkeit, latente Gefährdungen anthropologisch und
weltpolitisch nüchterner zu analysieren, können zur Verblendung führen, eben
zur Gesinnungsethik und damit zum Unvermögen, auf plötzlich auftretende Krisen
und potentielle Gefahren angemessen zu reagieren.
Wie Schmidt genau dies aber erfolgreich und nüchtern tat, davon handelt das
vorliegende Buch, denn diesmal ging offenbar die Gefahr von der militärischen
Sphäre aus. Das Werk ist leider bisher wenig beachtet worden, obwohl es viel
Aufmerksamkeit verdient. Der Autor führt zurück in die Zeit des Kalten Kriegs.
Was bis jetzt völlig unbekannt war, ist, daß die Bundeswehr ab Mitte der 60er
Jahre über Nuklearwaffen verfügte, von denen jede einzelne die dreifache
Sprengkraft der Hiroshimabombe besaß. Sie wurden an der Grenze zur DDR und zur
CSSR vergraben, um sie im Falle eines Angriffs aus dem Osten zu zünden. Hatten
Adenauer, Erhard und Kiesinger die Verfügungsgewalt über diese
Massenvernichtungswaffen in die Hände der Militärs gelegt, so weist der Autor
nach, daß es einen langen Machtkampf gab, in welchem Helmut Schmidt versuchte,
den Militärs die Zügel wieder aus der Hand zu nehmen.
Fazit
Bald arbeitet mit entsprechenden Akten die Haltung des damaligen
Verteidigungsministers Helmut Schmidt heraus und zeigt, wie
Verantwortungsbewußtsein, Vernunft und politische Kontrolle erstritten wurden.
Damit zeigt das Buch nicht nur eine spannende Episode der deutschen
Nachkriegsgeschichte auf, sondern vermittelt dem Leser das praktisch Wesentliche
zum Prinzip Verantwortung in der Politik, um das es einst dem Soziologen Max
Weber ging.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 07. März 2009 2009-03-07 15:01:10