Emmanuel Todd, Wissenschaftler am "Institut National d'Etudes
Demographiques" ist bekannt geworden durch sein Buch "Vor dem Sturz:
Das Ende der Sowjetherrschaft". Dort sagte er 1976 aufgrund demographischer
Faktoren (Rückgang der Geburtenzahlen) das Ende der damaligen UdSSR als
Supermacht voraus. Er behielt recht - 15 Jahre später löste die USA die
Sowjetunion als einzig übriggebliebene Hegemonialmacht ab. Aus dem sogenannten
"gutmütigen Hegemon" wurde - so Todd - eine "räuberische
Macht", die einzig und alleine ein Ziel verfolge: die "weltweite
politische Kontrolle über die Ressourcen des Planeten". Die USA sei im
Kern keine demokratische, sondern eine oligarchische Macht, der nicht mehr daran
gelegen sei, die "liberaldemokratische Ordnung zu verteidigen". Die
von Michael Doyle (und - was der Autor leider nicht sagt - von
Ernst-Otto Czempiel) entwickelte
Theorie, nach dem Demokratien untereinander keine Kriege mehr führten, treffe
auf die USA nicht mehr zu, da soziale Ungleichheit und oligarchische
Interessengruppen die Politik der USA (wie auch der westlichen Welt)
beherrschten. Amerika, so Todd dezidiert, sei keine liberale Demokratie mehr,
sondern eine Oligarchie. So könne man nicht einmal mehr von vornherein die
strategische Hypothese ausschließen, dass Amerika auch demokratische Staaten
angreife (S. 36).
In Anlehnung an Gedanken von Paul Kennedy (dessen Werk er zitiert) konstatiert
Todd eine Überdehnung der amerikanischen imperialen Macht. Im Gegensatz zu
früheren Imperien, etwa dem "alten Rom" fehlten den USA jedoch
militärische und ökonomische Zwangsmittel, um das gegenwärtige Niveau der
Ausbeutung des Planeten aufrechtzuerhalten (S. 106). In Zeiten der Bipolarität,
so Todd in Anlehnung an eine These von Joseph Nye ("Das Paradox der
amerikanischen Macht", EVA, 2003) habe Amerika durch sogenannte "Soft
Power", im Kern also durch die Anerkennung seiner demokratischen Werte und
seiner Kultur, seine Vormachtstellung begründet. Jedoch sei nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes und dem Vormarsch der Demokratien Amerika als Macht
überflüssig geworden und keine "unverzichtbare Nation" (er zitiert
hier die US-Außenministerin unter Clinton, Albright, S. 26) mehr. Außerdem sei
die USA wirtschaftlich - im Gegensatz zum 19. Jahrhundert - von den anderen
Staaten wirtschaftlich abhängig, da es, um sein Handelsbilanzdefizit
auszugleichen, Kapitalzuflüsse benötige und nicht mehr alleine von seiner
eigenen Produktion leben könne (eine meines Erachtens sehr fragwürdige These,
da die USA wirtschaftspolitisch wie auch militärisch nach wie vor die Nummer 1
auf der Welt sind). Aus diesen Gründen komme es insbesondere in den USA zu
einem Niedergang der liberalen Demokratie, die zum Krieg führen könne (S.
36). Dieser "demonstrative Militarismus Amerikas" (S. 241) führe
schließlich dazu, dass sich die anderen Mächte der Erde, Europa, Japan und
Russland (dessen politische Entwicklung Todd meines Erachtens viel zu
enthusiasistisch beschreibt) gegen den Hegemon zusammenschlössen. Jeder Schritt
Amerikas, die Kontrolle über den Planeten zu behalten, führe zu neuen
Problemen, da der Anspruch auf Weltherrschaft überzogen und unerreichbar sei.
Todd: "Amerika hat nicht die militärische Macht des antiken Rom. Amerika
kann über die Welt nur herrschen, soweit die tributpflichtigen herrschenden
Schichten der Peripherie damit einverstanden sind" (S. 130). Da die USA
jedoch die Verbündeten nicht von gleich zu gleich behandelten, sei dieses
Einverständnis nicht mehr gegeben. An anderer Stelle prognostiziert Todd, dass
es im Jahre 1950 die Weltmacht Amerika nicht mehr geben werde (S. 106).
Fazit: eine stabile weltweite Hegemonie werde es nicht mehr geben, sondern die
Weltordnung werde letztlich multilateral sein: "Die Welt, die dadurch
entsteht, wird kein Weltreich mehr sein, in dem eine einzige Macht das Sagen
hat. Wir werden es vielmehr mit einem komplexen System zu tun haben, in dem sich
etliche Staaten und Metastaaten ausbalancieren, die gleichgewichtig sind, ohne
gleich im eigentlichen Wortsinn zu sein" (S. 244).
Man kann die Schlussfolgerungen durchaus teilen, die der Autor durch Quellen und
Tabellen zu belegen versucht. Er argumentiert jedoch meines Erachtens durchaus
überspitzt und vernachlässigt wichtige Faktoren, um seine Prognosen plausibel
zu belegen. Zwar gelingt ihm glänzend der Nachweis des Zusammenhanges zwischen
Alphabetisierungs-Quote, Bildungsfortschritt, Geburtenkontrolle und Demokratie
(Kapitel 1). Auch der Zwiespalt der Imperien, die aufgrund kultureller und
militärischer Überlegenheit entstehen, sich dann jedoch bei der
Machtausdehnung übernehmen, wird gut herausgearbeitet (Kapitel 3). Jedoch
werden kulturelle Dimensionen (etwa Traditionen des Glaubens, wie sie Huntington
aufzeigt, dessen Buch bezeichnenderweise sehr negativ besprochen wird) ebenso
sehr vernachlässigt und ethische, kulturelle und religiöse Spannungen als
"Übergangskrisen" abgetan, die sich mit der erfolgreichen
Bewältigung der Moderne lösten und keinen Rückschritt anzeigten. Diese seien
"Ausdruck von Regelverlusten in Übergangszeiten" und gehörten
folglich zum Prozess der Modernisierung. "Auf den Umbruch folgt automatisch
eine Stabilisierung" (S. 53/54). Diese rein demographisch-soziologische
Sichtweise vernachlässigt die Gefahr dieser Spannungen und unterschätzt das
Bedürfnis der Menschen nach geistiger Orientierung.
Auch wird der Prozess der Globalisierung viel zu schematisch dargestellt. Hier
widerspricht sich der Autor meines Erachtens, wenn dieser Prozess einerseits als
Folge der amerikanischen ökonomischen Dominanz auf der Welt dargestellt wird
(S. 30), diese aber andererseits den USA schadeten (S. 30), eine Argumentation,
die ich angesichts der wirtschaftspolitischen Macht der USA nicht teilen
kann.
Außerdem werden Akteurstheorien nicht angesprochen. Politik wird nun einmal von
Menschen gemacht, die eigene Wahrnehmungen und Weltbilder besitzen. So ist das
Weltbild von Bush diamentral dem von Clinton entgegengesetzt. So wird allen
Ernstes der Rückgang des Universalismus, insbesondere in den Außenbeziehungen
betont (Kapitel 5, insbesondere S. 146), ohne zu belegen, ob es ein solches
Prinzip (die Anerkennung der Gleichheit der Völker, ein wichtiges Element von
Imperien, ihre Herrschaft zu legitimieren) in der amerikanischen Geschichte je
gegeben habe (entsprechende Behauptungen, die Nachkriegszeit nach 1945 sei ein
Beispiel für amerikanischen Universalismus werden nicht bewiesen). Ob daher
eine solche Epoche wirklich vergangen ist, wird nicht belegt.