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Rudolf Bahro: Denker - Reformator - Homo politicus. Nachlasswerk

Denker - Reformator - Homo politicus. Nachlasswerk

von Rudolf Bahro
Verlag: Edition Ost [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-89793-151-0

Preis: 19,90 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. November 2024]
Mit der gnadenlosen Sozialismuskritik "Die Alternative" wurde Rudolf Bahro 1977 weltweit bekannt. Das SED-Regime verurteilte ihn daraufhin zu einer Haftstrafe und wies ihn nach Westdeutschland aus. Das bedeutete aber nicht, daß er dort sich pfleglich ins wissenschaftliche Establishment der nachkriegsdemokratischen Banalität einordnete. Nein! Es ging ihm weiter um mehr, um wahres und unabhängiges Denken. Es ging ihm um eine Reduzierung des Primats der Ökonomie: "Kommunismus ist zunächst das Prinzip einer vergleichsweise unwichtigen Ökonomie." - So schrieb er in seinem Nachlaß ganz konkret.

Es folgte 1987 sein zweites Hauptwerk "Logik der Rettung". Nach der Wende kehrte der Kritiker nach Ostberlin zurück und baute an der Humboldt-Universität, wo er selbst von 1954 bis 1959 Philosophie studierte, das Institut für Sozialökologie auf. Es ging ihm stets um eine gedankliche Neugründung der Gesellschaft mit folgenden Grundforderungen: Priorität der ursprünglichen Zyklen des Lebens, Wirtschaft nicht als dominierender Seinsbereich, einfacher und schöner Lebensstiel, neue Sittlichkeit und Ritualisierung der Konfliktbehandlung unter den Menschen. Mit Beginn des Wintersemesters 1990/91 hielt Bahro unter großem Publikumsinteresse Vorlesungen, in denen er seine verfassten Thesen ungehemmt weiterentwickelte und auch das Prinzip "Nation" integrierte. Damit zeigt er natürlich eine größere Erfahrungs- und Denktiefe, einen integralen Anspruch auf, der zur Rettung keinen Bereich des Denkens ausschloß.

Ein Überblick über seine mehr als 60 Vorlesungen dieser Zeit befindet sich im vorliegenden Buch. Guntolf Herzberg hat auf Anregung des Rudolf-Bahro-Archivs dessen Nachlaß gesichtet. Der Autor der 2002 erschienenen Bahro-Biographie hat schließlich diesen Sammelband vorgelegt, der sich dem enorm kreativen Spätwerk des Philosophen widmet. Neben Extrakten aus seinen Vorlesungen enthält es auch einen längeren Essay aus dem Jahr 1995, den Herzberg als sein drittes Hauptwerk bezeichnet sowie Reden, Interviews und Aufsätze. Das Buch zeigt optimal, welchen Denkweg Bahro als Professor der Humboldt-Universität in den 90er Jahren nahm.

So hielt Bahro Mitte der neunziger Jahre auch Vorlesungen über den Hyperion von Friedrich Hölderlin. Hölderlins Beitrag zu einer "künftigen Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten", gar zu einer politischen Revolution stand stets im Mittelpunkt. Einmalig dabei ist Bahros Fähigkeit, zwischen "rechts" und "links", auch Religion und Politik zu changieren. Das mag den brav geschulten und mit dem üblichen Feindbild gegen "rechts" geimpften Durchschnittsbundesbürger überfordern, hielt aber Bahro niemals davon ab, zu fordern, die PDS solle sich an Martin Heidegger, an Friedrich Nietzsche orientieren. Ein besonderes Thema war ihm Hölderlins Gedicht "Tod fürs Vaterland", aus dem er das Ziel eines gesunden Deutschlands ableitete und zu folgender innovativen Ansicht gelangt:

"Die Hitlerei war in Deutschland war so mächtig, daß es ihr gelungen ist, praktisch alles, was auch irgend im Dunstkreis deutscher Seele, deutschen Geistes sein Wesen trieb, Gutes und Böses, zusammenzuraffen. Das muß durchbrochen werden."

Bei der Frage nach der politischen Verfassung einer Gesellschaft, die im Einklang mit der Natur lebt, statt sie zu vergewaltigen, geht es ihm also ausdrücklich um das vaterländische Thema, den deutschen Befeiungsgedanken, geprägt von Johann Gottlieb Fichte. Diesen Gedanken trägt derjenige in sich, der auf verlorenem Posten steht, so wie Bahro am Ende. Im Kampf gegen den "schrankenlosen technischen Fortschritt" läßt Bahro zuletzt Pascal sprechen: "Der Mensch übersteigt unendlich den Menschen". Bahros Hauptidee zur neuen Verfassung, der Ökologische Rat, läßt ganz verschiedene Schlußfolgerungen zu, und er sagt selbst, es müsse "in jeder überlieferten Kultur anders" entschieden werden, "ob der oder die Einzelne nun durch Wahl oder durch Berufung dazugehören soll".

Die Texte Bahros lesen sich als Suche nach einer Antwort auf die falsche, subjektivistische "Lösung" der Moderne. In diesem Versuch einer Rettung der Moderne liegt für ihn persönlich das eigentlich geistesgeschichtlich Anstößige und aufregend Denkanstößige einer Neuordnung des sozialen Ganzen. Gerade Hegel, Hölderlin und Schelling dienen ihm hier zur Anknüpfung.

Insgesamt eröffnet das Buch eine erfreuliche Dimension im Denken eines großen deutschen Denkers. Vor der Wahl zwischen Weltmarkt oder ökologische Wende stehend, wußte er mit Friedrich Schiller: "Die Menschen finden sich in ein verhaßtes Müssen weit besser ein als in eine schwere Wahl."

Dennoch drängt Bahro auf die "schwere Wahl" - auf eine anthropologische Revolution - eine neue Lebenspraxis, auf ein Hinauswachsen über die Schwerkraft der Normalität und betont, daß im deutschen Nationalsozialismus viel vom Besten der Deutschen zum Bösesten geraten ist. Er appelliert wieder an die Widerstandsfähigkeit der Deutschen gegenüber unrealisierbaren Glücksversprechungen, gegen grenzenlosen Konsum, das Umweltsterben, gegen das Sterben sozialer Zusammenhänge und der Dekadenz einer selbstgenügsamen bürgerlichen Klasse, die glaubt, mit immer mehr Wachstum der Wirtschaft und konstruierten Genußansprüchen eine abschließende Lösung auf die Anomie des Sozialen gefunden zu haben. Bahro sprach hingegen von der neuen Konservativen Revolution, die die Substanz des Menschen bewahren müsse, das Sich-Beschränken, die deutsche Tugend der Enthaltsamkeit und des Fleißes zur Bewahrung des Seienden:

"Für die ökologische Wende kommt es auf den richtigen Konservatismus an."
Fazit
In der absoluten Krise kommentiert er nur folgerichtig die naive Vermutung, die Nation sei ein "rechtes" Thema erfahrungsgemäß lakonisch: "Es gibt keine rechten Themen!" Man wird als Leser den Eindruck nicht los, als riefe hier einer einen fruchtbaren, innovativen Ansatz hinein in die Krise und an das Volk, von dem sich herausstellt, daß man - wie einst auch Hölderlin verzweifelt in seinem "Hyperion" - an eine desinteressierte Räuberbande appelliert!
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 08. Februar 2009

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