Was ist von einem wissenschaftlichen Buch zu halten, welches die Gedankenwelt
seines Forschungsgegenstandes, der Person des Staatsrechtlers Carl Schmitt,
gleich im Vorwort und sogar im Klappentext als "verwirrend" und gar
"paranoid" brandmarkt. Wohl dieses: Es kann sich nicht um
ergebnisoffene Wissenschaft im Sinne einer vorherigen Reflexion über die
verschiedenen Arten von Interpretationen über einen Forschungsgegenstand
handeln!
In jedem Fall bewegen sich sowohl die philosophische wie auch die philologische
Interpretation um die beiden Brennpunkte einer unteilbaren Ellipse: eigener
Sachzugang des Lesers (aufgrund seiner eigenen Kenntnisse) und Textverständnis
als solches. In beiden Fällen gibt es ein Hin und Her zwischen dem Text und dem
eigenen Sachzugang. Diese elliptische Doppelheit sollten wir uns auch im Umgang
mit Autoren der politischen Rechten viel bewußter zumuten als derzeit üblich.
Dies sollte geschehen mit einem klaren hermeneutischen (die Auslegungskunst
betreffenden) Bewußtsein davon, um welche Interpretationsart es sich
handelt.
So läßt sich unterscheiden in eine bedingungslos restaurierende
Interpretation, bei welcher der eigene Sachzugang des Interpreten keine
größere Rolle spielt. Ferner gibt es die primär am eigenen Wahrheitsmaßstab
des interpretierenden Subjekts orientierte, daher kritische bewertende
Interpretation eines Textes. Dabei geht es zwar wesentlich noch um den Text,
aber ebenso sehr um die Sache selbst, und zwar wesentlich nach dem Maßstab des
Rezipienten. Schließlich gibt es noch eine den Text als unwesentlich
relativierende Rezeption, die oft, wenngleich nicht notwendig, zugleich eine
ablehnende Rezeption darstellt. Wesentlich ist hier die Berufung auf einen ganz
neuen oder anderweitigen Sachzugang. Der Text wird nicht mehr als wesentliches
positives Hilfsmittel anerkannt, sondern als Hintergrundfolie zur Profilierung
der eigenen Sacherkenntnis, als Vorlage zum Besserwissen.
Genau hier nun ist das vorliegende Buch einzuordnen, welches es sich zur Aufgabe
macht, Carl Schmitt als Theoretiker der "Diktatur" und des
"Ausnahmezustands", vor allem aber durch sein Engagement als - man
verzeihe die inflationär gebrauchte Terminologie - "Kronjurist des Dritten
Reiches" zu analysieren. Seltsam nur, daß Schmitt von vielen rezipiert
wurde, und dies sehr positiv und weniger dekonstruierend wie nun zu erwarten
steht. Der Autor stellt zunächst fest, daß für Schmitt außer Frage stand,
daß die Vereinigten Staaten den "modernsten Imperialismus" entwickelt
hatten. Die USA habe ein Imperium mit einerbesonderen Form von Souveränität
geschaffen, daß die eigene imperiale Natur verleugne und das System der
souveränen Nationalstaaten zerstört habe. Und so richtig dies auch ist - der
Autor kann sich mit dieser Einschätzung nicht abfinden und bricht sie herunter
auf die übliche "Feindlichkeit gegenüber der Freiheit westlicher
Demokratien".
Die Frage der Demokratie ist den USA in der Tat eine besondere. War die
demokratische Staatsform bereits in England etabliert gewesen, so hat sie sich
in den USA in ihrer besonderen Form der Repräsentation und Föderation sowie
dem System der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten (ambition is made to be
counteracted by ambition) als dauerhaft bewährt. Es ist zudem eine Tatsache,
daß ohne Einwirken der USA, besonders auf deutschem Boden, sich eine Demokratie
niemals als so standhaft, wie ab 1949, hätte erweisen können. Eine
demokratische Implementierung in Deutschland ermöglichte eine prosperierende
Wirtschaft und damit das Nachfrageverhalten an die USA. Damit war der
Widerspruch zwischen Demokratie und dem klassisch negativen Verständnis von
Imperialismus behoben, denn das Land der Intervention profitierte ebenfalls. Der
Weg der USA zur Weltmacht ging über ihr freiheitliches System der Demokratie,
denn in keinem anderen System sind die Regierungskreise dem Druck von
Wirtschaftskreisen vor allem finanziell so unterworfen wie hier. Die Großfinanz
läßt die Regierung oftmals unbewußt zu seinen Gunsten auf die Wirtschaft
wirken, Finanzpolitik wird von den Interessen der Parteien abhängig. Das alles
ließ natürlich ein expansives Streben im Namen der Demokratie zu und den
demokratischen Impetus Amerikas ansteigen. Warum sollte Carl Schmitt nicht diese
Zusammenhänge benennen ohne gleich als Feind der so genannten Demokratie zu
gelten?
Dem Autor des vorliegenden Werkes geht es aber genau um diesen Vorwurf, der
schemenhaft immer wieder reproduziert wird. Er nimmt Bezug auf ein Seminar des
Otto-Suhr-Instituts in Berlin im Sommer 2004, welches der Rezensent selbst
besuchte. Das Seminar zu ‚Theorien des Ausnahmezustands in der
parlamentarischen Demokratie‘, welches insbesondere die Imperialismustheorie
Carl Schmitts analysiert, scheint der Autor nicht verstanden zu haben oder eben
aus subjektiver Befangenheit nicht verstehen zu wollen. Er kategorisiert,
definiert, bewertet und urteilt Themen, Anwesende und die Diskussion zum Thema,
anstelle einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema selbst. Und
so steht vielmehr der Affekt gegen das Konservative dem möglich gewesenen
subjektiv unvoreingenommenen Sachzugang zum Thema "Schmitt" entgegen.
Da geht es nun - und da macht das vorliegende Buch keine Ausnahme - um eine
gesinnungsbeflissene Ignoranz gegenüber den offensichtlichen Widersprüchen des
amerikanischen Freiheitsversprechens, wie sie gerade Schmitt vorbildhaft
herausstellte. Schon eine solche Haltung verspricht den bundsdeutschen
Verhältnissen politischer "Wissenschaft" gemäß nichts wesentlich
Neues und läßt bereits auf das Fazit des Buches schließen. Das ist banal!
Der Autor meint nun auch erwartungsgemäß, daß es nicht ungefährlich sei, den
Anspruch auf die Verwirklichung von Freiheit kritisch zu hinterfragen, da dieser
einer der wichtigsten Motoren menschlicher Emanzipation sei. Und, so bestätigt
sich von Beginn an: Dieser Anspruch müsse dem Schmittschen Affekt gegen die
Freiheit, der, wie wir gesehen haben, nicht unbedingt als solcher interpretiert
werden muß, entgegengestellt werden. Es geht also nicht um den Nachvollzug der
Schmittschen Gedankenwelt, sondern um eine Dekonstruktion aus normativer
Befangenheit heraus.
Blicken wir hingegen wissenschaftlich auf Schmitt, so ist klar, daß die
Vereinigten Staaten von Amerika feste wirtschaftliche außenpolitische Ziele
hatten. Dennoch gründet sich diese Ambition auf ein Fundament, welches bereits
älter ist und die amerikanische Vorgehensweise hätte vorhersehbar machen
können. Das amerikanische Streben nach überseeischer Macht kann in Verbindung
mit einem erweiterten Nationalismus bereits im 19. Jahrhundert beobachtet
werden. Daß die USA zwar erst während des Ersten Weltkrieges in das aktive
Weltgeschehen einschritten, ist eher ein taktisches Kalkül aufgrund der für
Amerika vorteilhaften Lage gegenüber Europa gewesen, die sich die USA
vermittelst militärischer und technologischer Höherentwicklung zu Nutzen
machten. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt vom Wachstum des
Landes, der Bevölkerung und der Wirtschaft. Daraus resultierte ein Optimismus
und Nationalismus.
Das stellt den Anbruch einer "Era of good feelings" dar, zu deren Zeit
James Monroe amerikanischer Präsident war (1817-1825). Es sei nebenbei
erwähnt, daß die sozialimperialistische Theorie in der Tat davon ausgeht, daß
der amerikanische Imperialismus ein kontinuierlicher Prozess sei und genau mit
dieser Phase der Landnahme im Nordamerika des 19. Jahrhunderts begonnen hat
"und (...) Bemühungen vor allem auf die Erlangung (...) der "offenen
Tür" in Drittländern jenseits des Atlantik (...) gerichtet habe."
(W.J. Mommsen, 1987) Imperialistische Bestrebungen Amerikas herrschten also
schon vor dem ersten Weltkrieg und scheinen mit dem Einschreiten auf
europäischem Festland 1917 den vorläufigen Höhepunkt gefunden zu haben. Der
Ausdruck des nationalen Selbstbewußtseins in der Außenpolitik fand sich 1823
in der Jahresbotschaft Monroes wieder - in der Monroe-Doktrin.
Es erfolgte darin die Wendung "gegen Rußlands Anspruch auf riesige Teile
des Oregon-Gebietes im Nordwesten der USA und gegen weitere
Kolonialisierungsversuche der Heiligen Allianz in Lateinamerika". Versuche
europäischer Mächte, sich in die Politik Nord- und Südamerikas einzumischen,
sollten als "unfreundlicher Akt" interpretiert werden. Die USA
sicherten auch Nichteinmischung in europäische Kriege zu, solange ihre Rechte
nicht berührt würden. Es liegt auf der Hand, daß die Doktrin der
Ausgangspunkt für die Setzung klarer Interessensphären der USA war. Es folgte
territoriale Expansion in Richtung Süden und Westen auf dem nordamerikanischen
Kontinent und entsprechende folgenschwere Wirtschaftsentwicklungen stellten sich
ein. Die Monroe-Doktrin ist als Fundament der Expansion auf dem amerikanischen
Festland zu verstehen (Ost-Florida und Ost-Mississippi).
Aus diesem Sachverhalt resultieren die wachsenden Interessen an territorialer
Expansion und fremder Märkte, die durch die Theorie des Sozialdarwinismus
gestützt wurden, um fremden Völkern die amerikanische Demokratie
nahezubringen. Dies bestätigt, daß es sich nicht um eine vom Autor des Buches
kolportierte ledigliche "Vorstellung" der imperialen Souveränität
der USA handeln kann, sondern daß es mit analytischem Blick auf die Dinge
authentische Beweise dafür gibt. Eine Kolonialisierung der westlichen
Hemisphäre durch europäische Mächte sollte ganz einfach verhindert werden.
Die Monroe-Doktrin ist das Symbol der beginnenden Interessenpolitik der USA, die
auch Europa zu spüren bekam. Eine derartige Erkenntnis hat nichts mit der
berüchtigten Kritik am "Anspruch der Freiheit" zu tun, wie dies der
Autor behauptet.
Um was für ein Dokument handelte es sich bei dieser Doktrin eigentlich? - Der
einzige Jurist, der sich mit diesem Dokument juristisch auseinandergesetzt hat,
war gerade Carl Schmitt, der 1932 in seinem Aufsatz "Völkerrechtliche
Formen des modernen Imperialismus" den merkwürdigen politisch-rechtlichen
Zwittercharakter der Doktrin erfaßte:
"Man ging von der prinzipiellen Unzulässigkeit einer Intervention, von dem
feierlich betonten ‚Grundsatz der Nichtintervention' aus und endete damit,
daß man in ebenderselben Doktrin die Rechtfertigung für Interventionen der
Vereinigten Staaten in die Angelegenheiten anderer amerikanischer Staaten fand.
(...) Ein neues völkerrechtliches Legitimitätsprinzip entwickelt sich,
beginnend mit dem Kampf gegen das frühere Legitimitätsprinzip und mit der
politischen Selbstisolierung der Vereinigten Staaten von Amerika, und damit
endend, daß die Vereinigten Staaten einen die ganze Menschheit umfassenden
Einfluß auf andere Mächte nehmen."
Um aus den erwähnten Motiven Einfluß auf Europa zu gewinnen, hat die USA
sowohl nach dem Ersten Weltkrieg, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art
Freihandelsimperialismus betrieben. Es ist eine Form der informellen Herrschaft
("informal empire"), die in dem Sinne Annexion auf Vorrat bezweckte.
Das scheint insofern verständlich, als daß ein Frieden in Europa
wirtschaftlich unter amerikanischer Vormacht vielversprechend war und eben damit
weiter abgesichert werden konnte. Der Freihandelsimperialismus sieht "die
Öffnung der ganzen Welt für die Produkte und das Kapital der überlegenen
amerikanischen Wirtschaft" vor. (W.J. Mommsen, 1987) Das schließt den
Erhalt der informellen Macht in fremden Nationen unter dem Primat des Handels
ein. ("Handel und informelle Herrschaft wenn möglich, Handel und direkte
Herrschaft wenn nötig.") Das Einschreiten der USA in Europa und damit
speziell auf deutschem Boden kann in diese Kategorie eingeordnet werden.
Letztendlich war es Schmitts Leistung aus heutiger Sicht, den globalen
Terrorismus nicht als Verbrechen oder als übliche "Feindschaft gegenüber
der Freiheit" behandelt zu haben, sondern dessen hochpolitischen Kern
erkannt zu haben, anhand dessen sich die Problematik von Legalität und
Legitimität entfalten läßt. Ohne auf solche Zusammenhänge sinnvoll
einzugehen, demonstriert das vorliegende Buch zwar eine intensive
Auseinandersetzung mit Schmitt, bietet aber im Gegenzug, wie man dies eigentlich
erwarten sollte, wenig neues.
Dieser enttäuschende Eindruck verstärkt sich, bedenkt man, daß es damit im
Dienste des üblichen Alleinvertretungsanspruch einer Schule der Politologie
steht, die geprägt ist von einer Bewußtseinslage der Deutschen nach 1945 und
der Vorstellung von der in Permanenz zu sichernden Demokratie als einer solchen
in liberal-parlamentarischer Machart. Es erscheint im Gegenzug heute mehr den je
aus wissenschaftlicher Redlichkeit opportun, die alten nachkriegsdemokratischen
Werturteile insbesondere über Schmitt zwar nicht zu diskreditieren, aber ihre
Dominanz seit der Nachkriegszeit in Deutschland mit all ihren Konsequenzen zu
hinterfragen. Über ihre methodologische Zurückstellung wird der Zugriff auf
den Kern der traditionalen Staatsphilosophie der Deutschen gewährleistet. Sie
ist nicht am glorifizierten Maßstab eines vermeintlichen Optimums an
"Demokratie" orientiert. (Vgl. "Der Streit um die deutsche
Nachkriegsdemokratie. Zweihundert Jahre deutsches Staatsdenken und
bundesdeutscher Parlamentarismus im Fokus einer neuen Wissenschaft von Politik
und Reflexion", 2007)
Dies hätte auch eine Lesart ermöglicht, die das Phänomen Carl Schmitt besser
zu erklären in der Lage gewesen wäre - basierend auf wertfreiem Sachzugang.
Fazit
Leider vertut das vorliegende Buch die Möglichkeit einer derartig offenen
Problemanalyse der Gegenwart, die den Hintergrund spezifischer kultureller und
historischer Umstände anerkennt. Sie wäre als Voraussetzung für eine
ertragreiche wissenschaftliche Arbeit hilfreicher gewesen, ohne dem Leser das
Ergebnis des Buches schon eingangs einflüstern zu wollen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 31. Januar 2009 2009-01-31 15:14:59