Die katholische Kirche um 300 n. Chr. hatte ein hohes kognitives Potential,
welches sich in der starken Selbstidentifikation der Christen äußerte und
wodurch ein schematisches Bild mit dem Ziel entstand, Menschen von fester
Überzeugung zu erschaffen wie Jesus einer war. Das Christentum hat die Menschen
entpolitisiert, denn die Obrigkeit gebe es nur vor Gott. Sie wird von Gott
angeordnet. So wird der Gehorsam zur neuen Tugend. Jesus als nachahmenswerte
Gestalt führt zu einem neuen Innenleben der Menschen. Erstmals keimt der
Gedanke der Gleichheit auf. Die jüdisch-christliche Tradition wird zur Religion
des Abendlandes.
Thomas von Aquin setzte sich zum Ziel, das Christentum gegenüber anderen
Mächten zu rechtfertigen. Auch dem Augustinus gilt Rom als größte
Räuberbande. Der Staat wird als wilder Haufen mit einer Notwendigkeit an
innerer Regulierung verstanden, die nur das Christentum gewähren könne. Die
ältere griechische Philosophie und die christliche Offenbarung sind damit die
Quellen Europas. Das institutionalisierte Christentum mußte sich jedoch erst
durchsetzen - und zwar gegenüber der berechtigten Kritik der alternativen und
antiken Religionsformen und Philosophien. Im neuplatonischen Philosophen
Porphyrios erwuchs dem jungen Christentum im 3. Jahrhundert ein philosophischer
Gegner von solcher Gefährlichkeit, daß das vorliegende Buch von den
christlichen Machthabern in der Antike vollständig vernichtet wurde. Auch
frühe Widerlegungsschriften christlicher Theologen erlitten dasselbe Schicksal,
weil noch zu viele gefährliche Zitate enthalten waren. Selbst Gotthold Ephraim
Lessing bedauerte im "Anti-Goetze" zutiefst den Verlust der
porphyrianischen Streitschrift.
Es ist deshalb eine grandiose Leistung des Superbia-Verlages aus Leipzig,
hiermit eine fragmentarische Rekonstruktion aus anderen Widerlegungsschriften
vorgelegt zu haben. Die philosophischen Argumente von Porphyrios sind trotz
christlicher Verfolgung nicht erledigt. Porphyrios ist nicht widerlegt - dies
meinte sein Übersetzer Adolf von Harnack. Die Kritik des Porphyrios beginnt im
Anblick des akuten Bruches mit der antiken Geschichte, mit der Implementierung
eines Traumas, in dem die pluralen polyvalenten Erlösungswege für ihn einer
hegemonialen und amtlich monopolisierten christlichen Religion geopfert wurden.
Porphyrios pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu Plotin in Rom und
schrieb auf einem Landgut in Sizilien seine "Fünfzehn Bücher gegen die
Christen". Für ihn als Neuplatoniker war nicht der Wissenszuwachs sondern
die Rettung der Seele in der Anbindung an Gott der Zweck der Philosophie. Seine
sehr ernstzunehmende philosophische Kritik am Christentum wirft diesem vor,
getrieben von Emotionen zu sein, zu missionieren und dadurch Welterkenntnis und
Erlösung nicht gewähren zu können. Innehalten - dies war für ihn der wahre
Weg. Aus neuplatonischer Sicht erscheinen in diesen nun vorliegenden Schriften
des Porphyrios die Christen als Atheisten, die die Tradition der heidnischen
römischen Religiosität untergraben. Die Christen befördern für ihn in ihrem
"fremdländischen Tollwahn" keine echten Bildung und sittliche Reifung
der Menschen, sondern fixieren sie im Status ihrer Kreatürlichkeit. Jesus, den
Evangelisten und Paulus, die von niederen Emotionen und Widersprüchlichkeiten
gekennzeichnet seien, setzt Porphyrios implizit das hellenistische platonische
Bild einer "Angleichung an Gott", einer Vergöttlichung aus eigener
Kraft entgegen - immer motiviert durch die persönliche Heilssuche, geplagt von
eigenen Selbstmordgedanken auf der Suche nach dem Wahren und natürlich mit
Blick auf die Verbrennung der kaiserlichen Bibliothek durch den christlichen
Mob.
Porphyrios war bei Longinos Schüler der athenischen Akademie, er siedelte 263
nach Rom über, wo er bei dem Neuplatoniker Plotinos weiter studierte. Dieser
half ihm 268 aus der erwähnten schweren Depression und veranlasste ihn zur
Übersiedelung nach Lilybaion (Sizilien). Der Neuplatonismus geht von einer
dynamischen Stufung des Seins und des Göttlichen aus. Der existenzielle Bezug
zu dieser Realität und nicht nur der Nachvollzug derselben erhöhe den
Menschen, vergöttliche ihn. Diese Haltung des Ringens um die höhere Lebensform
reichte bis hinein zur innovativen politischen Theorie der Weimarer Republik, so
etwa bei Othmar Spann, der in seinem Werk "Der wahre Staat" im
neuidealistischen oder neuplatonischen Duktus davon ausging, daß das Ringen um
die höchste der menschlichen Lebensform noch nicht beendet ist. Die Geschichte
sei als beständig sich Erneuerndes zu betrachten und nicht als geradlinige
Entwicklung.
Die Vorstellung vom göttlichen Menschen des Porphyrios nun - sie stand im
scharfen Gegensatz zum Christentum. Dies war die porphyrianische Basis der
Kritik. Für den neuplatonischen Autor ist der Kosmos als Ganzes, als
Ordnungsgefüge göttlich. In der Reinigung vom Schmutz der zersplitterten Welt
gelange der Mensch zum Göttlichen und habe auf dem Weg dahin verschiedene
Entwicklungsstufen. Das egalitäre Christentum eben fördere hingegen nicht die
Selbstbildung zu Gott, sondern verharre in Demut und Selbstverleugnung.
Kurz: War Jesus die Erniedrigung Gottes zu den Menschen hin - so meint
Porphyrios - so müsse hingegen die Erhebung des Menschen zu Gott praktiziert
werden und dies schließt auch die tendenzielle Gleichmacherei der Christen aus,
da der Einzelne auf diesem Weg unterschiedliche Entwicklungsstufen aufweise.
Interessant sind folgende Vorwürfe des Autors, die kurz thesenartig
wiedergegeben werden sollen:
Porphyrios meint, daß Jesus nicht den Standards der Göttlichkeit entspreche,
da er die Kraft der Verkündigung für Höherstehende und Reiche in Zweifel
ziehe und diese per se kriminalisiere.
Zum Ausspruch Jesu: "Vekaufe deine Habe und gib sie den Armen, so wirst du
einen Schatz im Himmel" haben, meint Porphyrios, daß zwar
Bedürfnislosigkeit Voraussetzung für den Aufstieg der Seele sei,
Mittellosigkeit aber nicht schon selbst ein besonderer Vorzug für den geistigen
Weg darstelle.
Ferner beziehe sich das Christentum nur auf den Menschen, der Christus
nachfolgt, alle anderen, die Tiere und der göttliche Kosmos fallen - für
Porphyrios nicht annehmbar - aus der christlichen Vorsehung heraus. Hier stehen
also Anthropozentrismus gegen eine antike Form der Kosmozentrik, die den Kosmos
und alle Bewohner für göttlich erachtet.
Ebenso sei die Demokratisierung der Erlösung Zeichen für den Verlust der
Anbindung an das Göttliche. Sündhaftigkeit und Krankheit, die präferierten
sozialen Konfigurationen des Christen, werden auf alle Menschen übertragen, so
daß für Porphyrios auch die gesunden zu Kranken erklärt werden, um Christen
sein zu dürfen. Hier helfe für ihn nur die Abkehr vom Christentum.
Das vorliegende Buch ist also ein erstaunliches Zeugnis dafür, wie die antike
Philosophie erbitterten und den längsten Widerstand gegen das Christentum
leistete. Durch spannende Bibelexegese weist der Autor nach, daß es eben nicht
um ein Flehen nach der Auferstehung des Leibes gehen dürfe, sondern um eigene
Erkenntnis und Reinheit der Seele, nicht um eine leibliche Wiedergeburt, sondern
um eine geistige Wiedergeburt. Hier erkennt der Leser bereits anhand der antiken
Argumentation die materialistische Grundlegung des Christentums und den Mangel
an Metaphysik.
Fazit
Porphyrios zeigt im vorliegenden Buch, in welchem die zentralen antiken Quellen
und die gegenwärtige Literatur zusammengetragen werden, eine völlig offene
Angriffsstrategie gegen das Christentum. Er beeindruckt durch Bibelfestigkeit
und zieht auf einzigartige Weise die christliche Verkündigung aus
neuplatonischer Sicht in Zweifel. - Auch für Christen ein fruchtbarer Anstoß
hin zu mehr religiöser Selbstreflexion.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 04. Januar 2009 2009-01-04 11:47:10