"Einschließung", "Anomalie", "Ausschluß",
"Delinquenz" und "Einsperrung" - dies sind die zentralen
Begriffe im Werke des Philosophen Michel Foucault. Sein Thema war die politische
Geschichte der Reproduktion von sogenannter Wahrheit, der Reproduktion dessen,
von dem "man" als Wissen ausgehen kann, ohne zu merken, wer dieses
"Wissen" im "man" verortet, herstellt und einpflanzt.
Gesellschaften reproduzieren es einfach immer wieder. Für Foucault liegt darin
ein Grundproblem des Abendlandes.
Foucault, geboren 1926 in Portiers und gestorben 1984 an AIDS, erstellt hier
eine Mikrophysik der Macht, der Sexualität und der Wahrheit. Aufklärung ist
nach Kant ein Prozeß, der nie aufhört. Foucault aber weiß um den Zwiespalt
dieses Rationalisierungsprozesses. Er führt für ihn zur Raserei der Macht.
Vernunft und Erkenntnis dienen der Verknüpfung des Netzes aus Macht und Wissen.
Er hat deshalb ein prinzipielles Mißtrauen gegenüber der Vernunft und dem
Kantischen Optimismus, so daß wahre Kritik für ihn eine reflektierte
Unfügsamkeit durch das subversive Element des Ungehorsams wird. Kurz: Der
Ungehorsam als erste Pflicht eines Demokraten gegen die zunehmende
Irrationalität im sich oligarchisierenden Herrschaftsapparat, der sich als
"rational" und für alle "offen" zelebriert, dies aber nicht
notwendig ist. Der Interventionismus des Staates wirkt für den Autoren immer
mehr als Disziplinierungsmechanismus in der Gesellschaft. Bezog sich das
kritische Denken Deutschlands in der Tradition der Aufklärung immer noch
positiv auf den Staat (Kant und Hegel) und herrscht hier die staatsloyale
Wissenschaft, die auf den Weltgeist setzt und wo die Eliten im Sinne Humboldts
die Vernunft in die Führungsposition einführen, so ist in Frankreich
Aufklärung und Revolution gleichbedeutend. Macht und Aufklärung ergeben den
Terror Robbespierres. So gründet sich der französische Positivismus Comtes,
Durkheims, wonach der Kopf von Zuversicht und Ideologie zu Gunsten des Realismus
zu befreien sei.
Foucaults nur so zu verstehende und im vorliegenden Werk enthaltene historische
Analyse der Technologie des Sexes, der Reproduktion von Macht und
"Wahrheit" war sehr erfolgreich. Das Gerede über den Sex wird für
ihn aus unterschiedlichen Motiven und Haltungen heraus aufgeladen und fungiert
als Dispositiv, als Vorrichtung, an der weit über das Thema Sex hinaus Macht
ausgehandelt wird. So verändere etwa die Pathologisierung von Sexualpraktiken
oder die Institutionalisierung des Zusammenlebens die Definitions- und
Repräsentationsmöglichkeiten des Menschen.
Das Konzept des Diskurses erhält also eine Ausweitung. Diskurs kann - davon
zeugen viele der enthaltenen Aussagen des Autors - nicht losgelöst von Macht
gedacht, beschrieben oder analysiert werden. Die Macht ist Bestandteil des
Diskurses. Die Definition von Macht, die uns Foucault gibt, lautet: "Macht
ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer
Gesellschaft gibt." Macht wird aus der Situation heraus erzeugt, im
Spannungsverhältnis. Foucault konstatiert damit eine neue Technologie der
Machtausübung. Sie will Gewalt über die Realität haben.
Doch weiter: "Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt,
was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen
Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht."
Diese weite Definition von Macht vereinnahmt auch den Widerstand, selbst dieser
steht nicht außerhalb, sondern ist Teil der Macht, indem er in Beziehung zu ihr
Spannung erzeugt: "Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder
vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der
Macht." Macht ist also nicht das eine und einzigartige Feld, die Person,
gegen die opponiert werden könnte, aus der "Nicht-Macht" heraus.
Macht ist die Spannung gerade aus diesen Widerständen. Ausschlussapparate und
Überwachungsapparate dienen den Machthabenden. Sie werden vom Staat getragen,
finanziert und produzieren jene vorher nie als solche dagewesene Konfiguration,
die wir den "Delinquenten" nennen. Dieser wird in der Theorie
Foucaults kontrolliert, verfolgt, bestraft und umgeformt. - Macht wird zur
Disiplinarmacht.
Die Frage nach der Wahrheit ist ebenfalls zentral im Buch. Jede Gesellschaft
habe ihre eigene Ordnung der "Wahrheit": Sie akzeptiert bestimmte
Diskurse, läßt sie funktionieren, während parallel dazu Mechanismen
sogenannte "falsche" von "wahren" Aussagen zu scheiden
wissen. - Es gibt also eine politische Ökonomie der Wahrheit, produziert durch
Institutionen, verbreitet durch Informationsapparate und gefolgt von
Bestrafungsmechanismen im Falle der Nichtanerkennung verordneter Wahrheit. Der
Begriff Ideologie steht für Foucault immer im Gegensatz zu etwas, das Wahrheit
wäre. Die Wahrheit offenbart sich als Heil und als Bedrohung, sie ist der
Prototyp der mächtigen Diskurse, die ihre Kraft aus der Reibung zu anderen
Diskursen ziehen. Das Dispositiv ist für Foucault eine Strategie von
Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützt und von diesen gestützt
wird. Verordnete Wahrheiten stützen ein Wissen, andere wiederum nicht. Das
Dispositiv kann verstanden werden als "Netz", in dem Macht, Recht und
Wahrheit verknüpft und Praktiken institutionalisiert sind, die menschliche und
gesellschaftliche Bedürfnisse miteinander arrangieren.
Die im vorliegenden Buch enthaltenen Gespräche, Interviews und Vorlesungen
helfen, Begriffe und Ansätze zu klären, über die Foucault sein Großprojekt
einer Analyse der Macht und ihrer Mechanismen entwickelt. Sexualität ist dabei
so ein Dispositiv, Justiz ein anderes. Das Buch gibt neue Antworten auf
politische und theoretische Sackgassen. Insbesondere Foucaults Aussagen zum
Rassismus erscheinen sehr produktiv und zeugen von einem aufrechten und
tiefgründigen Geist:
"Der Rassismus ist zunächst keine politische Ideologie gewesen. Das war
eine wissenschaftliche Ideologie. (...) Politischer Gebrauch ist von ihr zuerst
von den Sozialisten gemacht worden, von den Männern der Linken, und später
erst von den Männern der Rechten." Die sozialistische Gesellschaft sollte
- so sieht es Foucault rückblickend - sauber und gesund sein. Auch die
antisemitische Theorie der Linken ging von der sozialistischen Entartungstheorie
aus bis hinein in die Zeit der Dreyfuß-Affäre.
Fazit
Der Ausweg, die sinnvolle Lebenshaltung nun liegt für den Philosophen in einer
Haltung, die er den "Anti-Ödipus" nennt. Dieser motiviert eben dazu,
weiter zu gehen, Widerstand zu leben, Reibung zu ertragen. Er belebt durch die
Vorstellungen der Vielheiten und Konnexionen. Sein Gegner ist der traurige
Militant, der staatlich alimentierte Beamte der monologen Wahrheit, der
Techniker des Wunsches, der sogenannte "Faschismus" in uns allen, der
uns begehren läßt, was uns beherrscht und ausbeutet. So zeigt das Buch einen
guten Weg gegen die tyrannische Bitterkeit des Lebens, indem es dazu auffordert,
sich den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel,
Lücke), die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und einen
Zugang zur Realität geheiligt hat, zu entziehen. Es gibt dem den Vorzug, was
positiv ist und multipel, der reibenden Differenz vor der Uniformität, den
mobilen Dispositiven vor den wahrheitskonstruierenden Systemen!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 31. Dezember 2008 2008-12-31 14:15:36