Es ist zu den realökonomischen Entwicklungen zu zählen, daß infolge der
Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts in Europa die Vormachtstellung
weniger kapitalistischer Nationalstaaten signifikant ist. Die Ursache dafür war
die einhergehende Rationalisierung zu effizienterem Einsatz von Arbeitskräften
und der Aufstieg der Maschinenkultur. Die Erkenntnis, daß es keine
Wirtschaftsmacht ohne die Stützung durch die Außenpolitik gibt, war somit im
Zeitalter des zunehmenden Fernkapitals nur noch eine Frage der Zeit. Das neue
Bewußtwerden dieser extensiven Möglichkeiten faßte Oswald Spengler unter
Berufung auf Cecil Rhodes einst folgendermaßen zusammen: Erfolgreiche Politik
ist "finanzieller und territorialer Erfolg."
Auf knapp 500 Seiten präsentiert uns nun Eric Frey, Chef vom Dienst der
österreichischen Tageszeitung "Der Standard", Ergebnisse seiner
umfassenden Recherchen über die Sündengeschichte der USA, die diese in der
Gesamtschau geradezu als eine kriminelle Vereinigung erscheinen lassen - und
zwar auf dem Wege zu territorialem und ökonomischem Erfolg. Das Buch beginnt
bei der Vernichtung der Indianer, die der Autor zu den in der Zeit von 1776 bis
1945 begangenen "Jugendsünden der USA" zählt. In die
"Jugendzeit" der letzten verbliebenen Weltmacht fällt auch der Zweite
Weltkrieg und die Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Herrschaft,
an der die USA immerhin auch maßgeblich beteiligt waren.
Der Ursprung des Imperialismus der USA in Europa - oft als "Befreiung"
tituliert - ist in den liberal-kapitalistischen Wirtschaftsformen zu finden, wie
sie im 19. Jahrhundert vorkamen, und sich später als geeignetste Systeme
prosperierender Wirtschaften erweisen werden. Die komplexe Arbeitsteilung, das
resultierende Wachstum der Produktion und die Verlagerung der wirtschaftlichen
Tätigkeit auf den sekundären Sektor der Industrieproduktion stellt das
Fundament der zunehmenden Kapitalwirtschaft dar. Die erste Hälfte des 19.
Jahrhunderts war geprägt vom Wachstum des Landes, der Bevölkerung und der
Wirtschaft. Daraus resultierte ein Optimismus und Nationalismus, auch durch den
Sieg über England und den nahe bevorstehenden Sieg über Europa und
Deutschland. Das stellt den Anbruch einer "Era of good feelings" dar,
zu deren Zeit James Monroe amerikanischer Präsident war (1817-1825). Frey weist
überzeugend nach, daß auch dieses Kapitel der amerikanischen Geschichte von
gravierenden Makeln geprägt war. Bereits für den Aufstieg der
Nationalsozialisten in Deutschland weist er den USA eine Schuld zu, vor allem
wegen wirtschaftspolitischer Fehler, die in die Weltwirtschaftskrise mündeten.
Auch zählt der sogenannte "gerechte Krieg" gegen Deutschland und
seine Verbündeten zum zusammengetragenen Sündenregister der USA und reicht von
den auf zivile Ziele gerichteten Bomben bis zu den Atombombenabwürfen auf
Japan. Der Autor besticht mit der Erkenntnis, daß im Herbst und Winter 1944 die
US-Luftwaffe zahlreiche Angriffe auf Industrieziele, die nur wenige Kilometer
von Auschwitz entfernt lagen, flog. - Warum keine Vernichtung der
Auschwitz-Infrastruktur zur Rettung von Menschen?
Imperialistische Bestrebungen Amerikas herrschten aber schon vor dem ersten
Weltkrieg und scheinen mit dem Einschreiten auf europäischem Festland seit 1917
den vorläufigen Höhepunkt gefunden zu haben, um sich bis in den 2. Weltkrieg
hinein fortzusetzen. Der Ausdruck des nationalen Selbstbewußtseins in der
Außenpolitik fand sich schon 1823 in der Jahresbotschaft Monroes wieder - in
der Monroe-Doktrin. Es erfolgte darin die Wendung "gegen Rußlands Anspruch
auf riesige Teile des Oregon-Gebietes im Nordwesten der USA und gegen weitere
Kolonialisierungsversuche der Heiligen Allianz in Lateinamerika". Versuche
europäischer Mächte, sich in die Politik Nord- und Südamerikas einzumischen,
sollten als "unfreundlicher Akt" interpretiert werden. Die USA
sicherten auch Nichteinmischung in europäische Kriege zu, solange ihre Rechte
nicht berührt würden.
Es liegt auf der Hand, daß die Doktrin der Ausgangspunkt für die Setzung
klarer Interessensphären der USA war. Es folgte territoriale Expansion in
Richtung Süden und Westen auf dem nordamerikanischen Kontinent und
entsprechende folgenschwere Wirtschaftsentwicklungen stellten sich ein. Die
Monroe-Doktrin ist als Fundament der Expansion auf dem amerikanischen Festland
zu verstehen (Ost-Florida und Ost-Mississippi). Aus diesem Sachverhalt
resultieren also die wachsenden Interessen an territorialer Expansion und
fremder Märkte, die sogar durch die Theorie des Sozialdarwinismus gestützt und
gerechtfertigt wurden, um fremden Völkern die amerikanische Demokratie
nahezubringen. - Der Autor erwähnt diese Doktrin nur zweimalig im fast 600
Seiten starken Buch. Dennoch wird im Rahmen der US-Sünden immer wieder klar,
daß eine Kolonialisierung der westlichen Hemisphäre durch europäische Mächte
ganz einfach verhindert werden sollte und den USA viele Mittel recht waren - und
zwar bis heute, um die eigene Interessenpolitik - so etwa in Asien - zu
realisieren.
Im dritten und vierten Teil seines Schwarzbuches setzt sich der Autor
detailliert mit der amerikanischen Gegenwart auseinander -- mit den
"Sünden gegen die eigene Bevölkerung" ebenso wie mit jenen
"gegen den Rest der Welt". Angefangen beim immer drastischeren
Auseinanderdriften von Arm und Reich, das unberechenbare Justizsystem, in dem
das Recht zur Lotterie verkomme, die Todesstrafe bis hin zur
Präventivkriegsdoktrin der Regierung Bush und dem, was sie sich im Zusammenhang
damit bislang hat zu Schulden kommen lassen. Das passende imperialistische
Programm der USA benennt ein Zitat des Staatsrechtlers Carl Schmitt, den der
Autor leider nicht zitiert: "Ein ökonomisch fundierter Imperialismus wird
natürlich einen Zustand der Erde herbeizuführen versuchen, in welchem er seine
wirtschaftlichen Machtmittel (...) wie Rohstoffsperre, Zerstörung der fremden
Währung usw., ungehindert anwenden kann und mit ihnen auskommt. Er wird es als
"außerökonomische Gewalt" betrachten, wenn ein Volk (...) sich der
Wirkung dieser "friedlichen" Mittel zu entziehen sucht. (...) Ein
Staat, der in einem ökonomischen Zeitalter darauf verzichtet, die ökonomischen
Verhältnisse von sich aus richtig zu erkennen und zu leiten, muss sich
gegenüber den politischen Fragen und Entscheidungen für neutral erklären und
verzichtet damit auf seinen Anspruch zu herrschen." So ging es vielen
europäischen Staaten und zuletzt dem Irak, der sich mit außerökonomischer
Gewalt, nämlich mit der Kraft des Religiösen, zu verteidigen versucht.
Kurzum: Gäbe es ein Weltengericht und wäre Frey dessen Ankläger, es stünde
nicht gut um den selbst ernannten Weltpolizisten USA - und dies zurecht! Der im
Buch enthaltene umfassende Blick auf das Land befähigt zur besseren Beurteilung
der US-Politik, wenngleich die Feldzüge der Einwanderer gegen die indianische
Bevölkerung, der Sklavenhandel, die Zerstörung der multilateralen Weltordnung
zwar als schwere Fehler aufscheinen, aber auch jenseits dieser Häufung des
Negativen beurteilt werden sollten. Die 40 logisch aufeinander aufbauenden
Kapiteln bestechen dennoch durch ihre Messerschärfe insbesondere während der
Kapitel über die Zeit des Kalten Krieges, in der es Frey gelingt, gute Analysen
über die antikommunistischen McCarthy-Ausschüsse oder die amerikanische
Atomaufrüstungspolitik zu liefern. Das gleiche gilt für innenpolitische
Themen, angefangen beim Rassismus, dem Justizsystem, Wirtschaftssystem und der
Wirtschaftskriminalität.
Aus den Ausführungen des Buches kann der Leser - trotz allem - nur schließen,
daß die USA ihre wirtschaftlichen Machtmittel immer effektiv angewendet und die
ökonomischen und machtpolitischen Verhältnisse von Beginn an erkannt haben.
Diese einzige Weltmacht hat sich nicht für neutral erklärt und hat die
ökonomischen Verhältnisse zu leiten vermocht. Sie ist (noch) die einzige
Weltmacht, ganze Staatengemeinschaften sind ihr im Rahmen ihres demokratischen
Erbes gehörig. Aber sie wird - und dies hätte ebenso als Bilanz im Buch
artikuliert werden müssen - auch die letzte Weltmacht des Westens sein, denn
hier beginnt mit einem Worte Oswald Spenglers etwas ganz neues: Es beginnt die
Rache der gedemütigten Welt gegen ihre selbsternannten Führer.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 30. Dezember 2008 2008-12-30 14:58:10