Jacques, Léon und Suzanne Archambau sind 1891 mit dem Schiff nach Mauritius
unterwegs, als auf dem Schiff die Pocken ausbrechen und Passagiere wie
Mannschaft auf der Insel Plate nördlich von Mauritius in Quarantäne bleiben
müssen. Kurz taucht Rimbaud als Patient von Léon Archambaud auf - doch von
dieser Szene sollte man nicht zu viel erwarten. Die Geschwister Archambaud
empfinden Mauritius als ihre Heimat. Nach dem Tod ihrer Mutter haben sie ihre
Kindheit in der Obhut ihres Onkels in Paris verbracht. Den Kindern bleibt aus
dieser Zeit ihr Großvater als begeisterter Geschichtenerzähler in Erinnerung,
auch ihre Großmutter weckte in den Kindern die Liebe zu Geschichten. Jacques
hat später während seines Medizin-Studiums in England gelebt. Die Geschwister
Archambau, denen die Fabulierlust schon in die Wiege gelegt wurde, müssen sich
nun in tropischem Klima die Zeit vertreiben, bis die Quarantäne aufgehoben wird
und sie wieder an Bord eines Schiffes gehen können. Die erzwungene Untätigkeit
in lähmender Hitze lässt die in Sichtweite von Mauritius internierten
Europäer darüber nachsinnen, ob sie je wieder abgeholt werden oder etwa auf
der Insel ausgesetzt worden sind.
Während Suzanne einen schweren Malaria-Anfall erleidet, erweisen sich die
Brüder als gute Beobachter der kleinen Gemeinschaft aus Einheimischen,
indischen Einwanderern und Europäern. Akribisch beobachtete auch der Botaniker
John Metcalfe die Natur des Inselchens und führte darüber ein
wissenschaftliches Tagebuch. Motiv für Metcalfes Forschungsreise war die Idee,
auf der Insel Nutzpflanzen anzubauen und so die Versorgung der Bewohner zu
verbessern. Mit der Lektüre von Metcalfes Aufzeichnungen entzieht sich Jacques
der profanen Wirklichkeit, in der Lebensmittel- und Wasservorräte allmählich
schwinden. Léon verliebt sich auf der Insel in die junge Inderin Suryavati.
Auch Ananta, Suryavatis Mutter, hat in London gelebt und sucht in Gesprächen
mit Léon nach den Erinnerungen ihrer Jugend und den Namen ihrer leiblichen
Eltern. Die Vorgeschichte, wie Suryavati und ihre Mutter Ananta während des
Sepoy-Aufstandes in Indien auf diese Insel gelangten und die Erinnerungen der
Geschwister Archambau bilden das kunstvolle Geflecht der Handlung. Auf
"Flat Island" wurden im 19. Jahrhundert tatsächlich Kranke
ausgesetzt, um die Verbreitung von Pocken und Cholera einzudämmen. Leons und
Suryavatis Enkel werden Jahrzehnte später auf den Spuren ihrer Großeltern
wieder auf die Insel zurückkehren.
Fazit
Le Clézio verknüpft elegant die die bis in die Kolonialzeit Frankreichs
zurückreichenden Geschichten einer französisch-stämmigen und einer indischen
Familie mit stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen. "Ein Ort fernab der
Welt" (frz.: La Quarantaine. 1995) zeigt sich als umfangreicher, trotz
seiner unterschiedlichen Perspektiven flüssig zu lesender Kolonial-Roman.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 16. Dezember 2008 2008-12-16 14:53:21