Solange man die Poesie pflegt, setzt man sich nicht der inneren Leere aus, die
das Leben immer wieder bedrängt. Das Werk und der Leser gehören demselben
Universum an. Es verbindet sie eine Nähe, eine ungewöhnliche Nähe, ein
gemeinsames Anliegen und eine eigene Erfahrungswelt. Deshalb meinte der
Philosoph E.M. Cioran 1988 in einem Brief an Sylvie Jaudeau auch, daß man in
der Lyrik etwas Wesentliches berühre, das einen mit Beglückung erfülle.
"Eine Art der Gnade, übernatürliche Komplizenschaft mit dem
Undefinierbaren. Die Zeit ist aus den Fugen gehoben, wir finden uns aus dem
Werden herausgeschleudert."
Diesen Eindruck erhält der Leser auch bei der Lektüre in den vorliegenden
Gedichtband von Joachim Werneburgs, der mit dem Zyklus "Etruskisches
Tarot" beginnt. Der Titel knüpft an das bekannte Kartenspiel an.
Geographisch verbleiben die Arbeiten des ersten Kapitels in Mittel- und
Süditalien. Das Diktum Ciorans des "Aus-den-Fugen-Hebens-der-Zeit"
trifft zu, betrachtet man die Gedichte, in denen sich klassischer Mythos und
christliches Mittelalter begegnen. Im Abschnitt "Hier ist Rhodos" wird
der Bogen zu den griechischen Inseln gespannt, die Antike ist präsent, ihre
Götter werden thematisiert. Mit dem dritten Kapitel "Das Grab des
Wächters" erfolgt ein Sprung nach Wales und Nordwestdeutschland. -
Gleichsam wieder ein Zeitsprung, der das empirische Werden transzendiert und
lyrische Konfigurationen entwirft, die bisher kaum jemand gedacht hat. Der
Nordwind überstreicht das Gebiet, keltisch-germanisches Heidentum klingt im
Abschnitt "Der Drachenberg" an.
"Der Dreher der Welt liegt hier,
Der Leib der Riesigen hingeopfert,
Die Berge aus ihm zu bauen.
Die Kuppe, das war sein Kopf,
Vom Blut ein Bächlein, das Haar - die Gräser.
Ist alles ein Kindermärchen?"
In weiteren Versen wird in Böhmisch-Krumau wird das Blei zu Gold. Das vierte
Hauptstück "Das Gesicht der Eule" verweilt in Westeuropa (Andalusien
und Bretagne). Hier werden Motive der islamischen Welt sowie der Jungsteinzeit
aufgegriffen. An das Neolithikum mit seinen Grabhügeln scheint das Alte
Ägypten zu erinnern, dies wird in einer eigenen Gedichtfolge thematisiert. Das
fünfte Kapitel "Die Burg des Zaunkönigs" enthält naturlyrische
Elegien, die in den mittleren Teil Deutschlands führen. Der Abschnitt "Die
Klage der Gorgonen" bietet den von altgriechischer Überlieferung
geprägten sizilianischen Doppelzyklus.
Joachim Werneburg verfaßt gewöhnlich Lyrik und Kurzprosa. Er schuf in seinen
frühen Gedichten für Thüringen eine Mythologie in Geologie, Pflanzen- und
Tierwelt, entwarf poetische Exkursionen in die vorgeschichtliche und
mittelalterliche Zeit ("Thüringer Meer", 1986/1991). Insbesondere
führt er im vorliegenden Gedichtband ein Wechselspiel lyrischer Formationen
fort. Geographisch verbleiben die ersten Arbeiten des Bandes in Mittel- und
Süditalien. Später wird der Bogen zu den griechischen Inseln gespannt - mit
leichten Anklängen ans Orientalische. Dank des mystischen Gedankenreichtums
kommen Abendland und Orient zusammen. Die mystische Vision wird in packenden
Versen und ihrem geographischen Wechselspiel greifbar, wird sie doch z.B. in
beiden Zivilisationen mit ähnlichen Ausdrücken formuliert.
Fazit
Die Verse des vorliegenden Bandes haben es in besonderer Weise in sich!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 07. Dezember 2008 2008-12-07 11:48:32