Der Systemwechsel - insbesondere in Osteuropa nach dem Zusammenbruch der
kommunistischen Systeme des Ostblocks und der früheren Sowjetunion - ist
seitdem in der politikwissenschaftlichen Forschung als neues Themengebiet
entdeckt. Neben Klaus von Beyme hat sich insbesondere der Mainzer Professor Dr.
Wolfgang Merkel mit verschiedenen Publikationen auf diesem Gebiet verdient
gemacht. Untersucht werden systemtheoretisch alle Formen des grundlegenden
Wechsels von politischen Regimen, gesellschaftlichen Ordnungen und
wirtschaftlichen Systemen. Gegenstand des Bandes ist die Untersuchung des
Überganges von einem Ordnungssystem zu einem grundsätzlich anderen System. Der
Autor untersucht die Typologie politischer Systeme (Formen der Demokratie,
autokratische Systeme; darunter autoritäre und totalitäre Systeme; die
Stabilität politischer Systeme, Transformationsbegriffe und
Transformationstheorien, darunter Systemtheorien, die Rolle der Massen und
Eliten im politischen System und Transformationsphasen). Im Anschluß an diesen
theoretischen Teil untersucht er die Bedingungen der zweiten und der dritten
Demokratisierungswelle im 20. Jahrhundert. Fallbeispiele werden den
Demokratisierungen in Südeuropa, in Ost- und Südostasien und in Osteuropa
gewidmet. Interessant sind dabei die Untersuchungen über die Bedingungen der
Systemwechsel in Rußland und im Ostblock. Verschiedene Erklärungstheorien
werden angeboten und untersucht. Eine Fülle umfangreicher Literaturhinweise
deutscher und englischsprachiger Fachliteratur rundet den interessanten Band ab.
Insgesamt eine hervorragende Einführung in die Systemtransformation.
Kritische Anmerkungen habe ich jedoch zu bestimmten Schlußfolgerungen des
Autors und seinen Hang zu theoretischen Erklärungsmodellen, die - mir zu wenig
- die Rolle der jeweiligen nationalen Besonderheiten betonen, obwohl er sich als
Anhänger der sogenannten "Akteurstheorie" zu verstehen gibt, die den
Systemwandel als Interessenausgleich der beteiligten Akteure interpretiert.
Insbesondere die Abgrenzung von autoritären und totalitären Systemen empfinde
ich z. T. als problematisch. So wird die Sowjetunion vor der Etablierung der
Diktatur Stalins zwischen 1924 und 1929 lediglich als autoritär angesehen. Mit
etwas größerer Berechtigung, allerdings für mich auch hier problematisch,
gilt dies auch für die Zeitspanne zwischen Stalins Tod und der Konsolidierung
der Macht durch Chruschtschow zwischen 1953 und 1956. Das Breschnjew-System
dagegen (obwohl - wie
Hildermeiers "Geschichte der
Sowjetunion" überzeugend zeigt - auf Interessenausgleich der verschiedenen
Eliten bedacht) gilt - zu Recht - als totalitär. Was ist mit Chile oder
Paraguay? Hier gibt es naturgemäß Abgrenzungsprobleme, die mit einer - für
mich zu weitgehenden - Verfeinerung der erklärten Modelle einhergehen. Dies
gilt auch bei der Unterscheidung zwischen parlamentarisch-präsidialen und
präsidial-parlamentarischen Systemen. Hier gefällt mir der (zugegebenermaßen
ungenauere), von Friedbert W. Rüb eingeführte Begriff des Semi-präsidiellen
Systems einfach besser, da er flexibler und wandelbarer ist. Auch führt ihn die
- durchaus berechtigte - Kritik an der zu starren Totalitarismus-Definition von
Friedrich und Brezinski zu z. T. fatalen Schlußfolgerungen: So erklärt er
allen Ernstes, das Dritte Reich sei "spätestens ab 1941" als
totalitäres Regime zu bezeichnen. Dies ist schlichter Unsinn. Spätestens seit
dem Tode Hindenburgs und der Übernahme des Reichspräsidentenamtes auch durch
Hitler war das 3. Reich ein komplett durchorganisierter Führerstaat und durch
und durch totalitär. Auch seine Feststellung, der Staat Ceaucescus sei erst in
seiner späten Phase totalitär (sultanistisch-autoritär) gewesen, ist so nicht
korrekt. Auch seine Konstatierung, häufig werde die Demokratisierung durch eine
Liberalisierungsphase eingeleitet, ist zwar korrekt. Dann aber gerade Rumänien
als Beispiel 1989 für diese These zu präsentieren, erscheint mir fragwürdig.
Mir fehlen auch wichtige machtsoziologische Begriffe, die etwa Friedrich
Pohlmann in seinem hervorragenden Werk: "Politische Herrschaftssysteme der
Neuzeit" (dieses Werk fehlt bezeichnenderweise im sonst beeindruckenden
Literaturverzeichnis des Autors) eingeführt hat; Begriffe wie Macht und
Herrschaft. Der zentrale Begriff der "Herrschaftsstäbe" fehlt völlig
und wird durch den - mir zu ungenauen - Begriff der "Eliten" ersetzt.
Sonst aber ein hervorragendes Buch.
Fazit
Trotz allem bis heute das wichtigste Buch zur Systemtransformation.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 27. April 2003 2003-04-27 14:51:13