"Das Ich setzt sich selbst." Mit dieser Maxime trat 1793 der deutsche
und neben Schiller, Mozart, Hegel und Kant fast vergessene Johann Gottlieb
Fichte (1762-1814) an die Öffentlichkeit des Gelehrtendiskurses seiner Zeit, um
im Bereich des Politischen das Fundament für die Einheit von reflektierter
Vernunft, wahrer Reinheit der Motive und uneingeschränkter Geistesfreiheit zu
legen. Fichte, in ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen im sächsischen
Rammenau geboren, war Professor für Philosophie in Jena. Er hält später nach
seiner Entlassung aus diesem Universitätsamt infolge des Atheismusstreites 1799
und durch Auseinandersetzungen mit Verbindungsstudenten, die seine
Lehrveranstaltungen boykottierten und ihm die Fensterscheiben einwarfen sowie
seine Frau diffamierten, private Vorlesungen in seiner Wohnung und in einem
Akademie-Vorsaal in Berlin.
Seine von Kant persönlich zur Drucklegung empfohlene Erstschrift "Kritik
aller Offenbarung" wurde bereits vorher in Halle zensiert, obwohl er sich
nach Verarmung und Wanderjahren von Kant und seiner Hilfe ein besseres Leben
erhoffte. Dieses blieb ihm in Jena nur zeitweise vergönnt, weil er zu
selbstständig dachte und handelte. Dermaßen gedemütigt, entwürdigt und auf
der Suche nach einem unbedingt bindenden Lebensprinzip entwirft er seine
Ich-Philosophie, die meint, daß ein Individuum, welches sich selbst intensiv
erlebt, sich in voller Freiheit erleben möchte und erkennt, daß es selbst der
Maßstab seiner Wahrnehmung und Gefühle ist und nichts anderes, - dieses
Individuum kann niemals armselig sein. So wird Fichte noch vor Karl Marx
Entdecker einer entfremdeten Subjektivität, die im Gegensatz zu verordneten
Wahrheiten und staatlicher Repression die Erhebung des Individuums zur
Regeneration des Gemeinwesens und letztendlich zur Gesundung des Menschen
fordert.
Fichte besuchte die Universitäten in Halle und Wittenberg. Er selbst machte
philosophisch eine Wende des Denkens durch. War er anfangs Vertreter des
deistischen Determinismus, nach dem alles Handeln durch die Gottheit
determiniert ist und es Freiheit und Sünde nicht geben könne. Danach wird er
28-jährig zu dem Philosophen, für den ihn die Deutschen noch heute verehren.
Fichtes Person sah sich einer feindlichen Umwelt gegenüber, mit der er keinen
Frieden finden konnte. Höchste Zeit, sich die spannende Konzeption Fichtes vor
Augen zu führen. Dafür ist der vorliegende Band eine optimale Einführung. Das
Buch gibt eine verständliche Gesamtdarstellung der Philosophie Fichtes. Die
frühen Schriften bis etwa 1800, von denen vor allem seine historische Wirkung
ausgegangen ist, stehen im Vordergrund. Die Fichtesche Philosophie wird dabei
dargestellt vor dem Hintergrund der Diskussionen, die seit 1785 um Sinn und
Berechtigung des Kantischen revolutionären Neuansatzes geführt worden sind. Es
wird gezeigt, wie Fichte unter dem Druck von Argumenten, die gegen Kant
vorgebracht worden waren, zu seiner eigentümlichen Konzeption von
Transzendentalphilosophie geführt worden ist und wie er diese dann konsequent
fortentwickelt hat.
Die Fichtesche Konzeption geht davon aus, daß hinter dem empirischen Ich -
hinter dem Gemüt und seinen Vorstellungen - ein nicht empirisch zugängliches
absolutes Subjekt existiert. Auf es bezieht sich keine empirische, sondern nur
eine intellektuelle Anschauung. Der höchste Punkt der Philosophie liegt für
Fichte an diesem Punkt und könne nur dort liegen. Konkret: Alles was in unserem
Gemüt vorkommt, ist vollständig aus ihm zu erklären. Das Ich setzt sich
selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich. So erklärt sich der eingangs
zitierte Satz Fichtes. Ebenso erklärt sich daraus die radikale Wende vom
Deterministen zum Idealisten: Idealismus ermöglicht Freiheit. Dogmatismus
führt zu totem Determinismus. Der im Buch enthaltenen Beschreibung des
berühmten Atheismusstreites in Jena gebührt besondere Aufmerksamkeit: Fichte
lehrte in Konsequenz aus seinem Prinzip, der Glaube an Gott könne sich nicht
auf die Beschaffenheit der Sinnwelt stützen. Man kann Gott nicht als Schöpfer
dieser Welt denken. Vom transzendentalen Gesichtspunkt aus also muß die Welt
auf das Ich zurückgeführt werden. Damit eckte er an. Es kostete ihm - auf
durch die Intervention Goethes sowie Schillers - die stelle als Professor in
Jena und ließ ihn in das freiere Preußen übersiedeln, wo er seine berühmten
Reden and die deutsche Nation halten wird.
Der frühe Fichte wird aber noch in Jena zum Idealisten der Freiheit, der alle
Philosophie auf ein Prinzip zurückführt. Das Postulat der Freiheit erzwingt
dabei seinen "Idealismus aus einem Stück", eine
Transzendentalphilosophie ohne dualistische Prämissen. Auch die Rechts- und
Moralphilosophie, die Fichte auf der Basis dieses "Idealismus der
Freiheit" ausbildet, kommen ausführlich zu Wort. In welcher Weise Fichtes
Philosophie in ein solches lebendiges Gespräch hineingehört, zeigt sich
ebenfalls bei den Auseinandersetzungen, die seit 1798 um seine Philosophie
entstehen; in der Kritik an Fichte bilden Schelling und Hegel damals den
absoluten Idealismus aus. Aber auch die politischen Konsequenzen seines Denkens
werden, wenn auch zu geringfügig, ausgeleuchtet. Fichte ist überzeugt: Nicht
wir selbst sind unser Endzweck, sondern wir alle sind es. Fichte, nun
Gründungsrektor der Berliner Universität, formulierte 1804 in seinen
"Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters": ein bemerkenswertes
5-Phasen-Modell der Geschichte. Sein Ausgangspunkt ist die freiheits- und
vernunftrechtliche These, die freilich zugleich ein politisches
Handlungspostulat darstellt: Der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der,
daß sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft
einrichte. Fichte setzt bereits eine einheitliche, globalisierte Menschheit
voraus, in der das deutsche Philosophieren eine bedeutende Rolle einnimmt. Auch
sein Einfluss auf die weitere Geistesgeschichte war prägend. Fichte, Hölderlin
und Novalis trafen sich im Mai 1795 im Hause Niethammers und sprachen über
Religion. Auch Schopenhauer kam nach Berlin wegen Fichte, um sich später von
ihm angeekelt zu distanzieren. - Fichte ein Charakter also, an dem sich deutsche
Geister schieden.
Fazit
In der für die Reihe 'Grosse Denker' gewohnten Manier verknüpft der Autor die
Entwicklung des Fichteschen Denkens mit dessen Biographie. Ausgehend von seiner
Auseinandersetzung mit der Ethik und Erkenntnisphilosophie Kants über die
Wissenschaftslehre bis hin zu den 'Reden an die Deutsche Nation' werden die
einzelnen Werke Fichtes in ihren wichtigsten Punkten nachgezeichnet. - Eine
solide Einführung, die darstellt, daß es Fichtes besondere Leistung war, ein
System der Transzendentalphilosophie aus einem Stück, einem Prinzip und einem
Postulat, dem der absoluten Freiheit, vorgelegt zu haben. Damit hat er den
Deutschen etwas Großartiges hinterlassen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 23. November 2008 2008-11-23 11:16:42