Hinrike, Frieda und Sigune, drei Bürgertöchter aus Bremen und ihre Erfahrungen
mit Schwangerschaft und Geburt stehen im Mittelpunkt von Sabine Schiffners
Gesellschafts-Panorama. Agnes wird mit 14 Jahren in die Stadt
"gegeben", sie kommt als Dienstmädchen in Hinrikes Haushalt. Dort
legt man Wert auf preußische Tugenden und grenzt sich doch zum nahen Holland
ab. Ganz so weit wie die vom Calvinismus geprägten holländischen Nachbarn
gehen die Bremer nicht, sie geben keinem vorbeigehenden Fremden die Gelegenheit,
unter kurzen Gardinen hindurch neugierig ins Haus zu sehen. An Agnes Schicksal
entlarvt sich die fest gefügte bürgerliche Ordnung, deren vorgebliche Moral
wir aus heutiger Sicht schwer nachvollziehen können. Während Hinrikes 1911
geborenes Kind erwünscht und liebevoll umsorgt wird, hat sich ein
Dienstmädchen wie Agnes, das vom Dienstherrn vergewaltigt wird, der
Schwangerschaft zu schämen und ihr Kind lebenslang zu verschweigen.
Im Abstand von 30 Jahren wird stets an den Ostertagen eine weitere Tochter oder
Enkelin der Familie in eine Ausnahmesituation geraten, die durch ihre
Schwangerschaft oder die Geburt eines Kindes ausgelöst wird. An Kindbettfieber
erkrankt zum Glück keine der Frauen, ihr "Fieber" wird schlicht
durch eine Brustentzündung ausgelöst, durch die deprimierende Erkenntnis, sich
mit der Familiengründung in eine Sackgasse manövriert zu haben oder beim
Versuch, der Auseinandersetzung mit der Mutterrolle ganz aus dem Weg zu gehen.
Sabine Schiffner handelt Familienerinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, wie auch
die deutsche Nachkriegsbefindlichkeit zur hohen Zeit der Ostermärsche mit
subtilem Spott ab. Die Fülle betulicher Selbstbespiegelungen Schwangerer und
Gebärender in ihrem Familienepos wird in dieser Ausführlichkeit nicht jeden
ansprechen. Schiffners facettenreiche Schilderung des Bremer Nachkriegs-Alltags
(Stichworte: Hasenbrot und Eierharfe) verbunden mit einer Prise Fernweh nach
fremden Ländern, sowie die authentische Sprache ihrer Figuren fügen sich
jedoch zu einem bemerkenswerten Portrait hansestädtischen Lebens.
Fazit
In teils verwirrenden Einzelszenen entlarvt Kindbettfieber mit fein
portioniertem Spott das Leiden von Frauen unterschiedlicher Generationen an
ihrer Mutterrolle.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 10. November 2008 2008-11-10 09:02:47