Die Prinzipien des Staates und der Souveränität sind die Grundlage der bisher
erreichten völkerrechtlichen Begrenzungen von Krieg und Feindschaft. Der
Begriff des Staates setzt den des Politischen voraus. Der Staat ist für den
Juristen und politischen Philosophen Carl Schmitt der politische Status eines in
territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes. Politik und Macht gehören
damit auch zusammen, denn das Streben nach Macht oder nach der Beeinflussung der
Machtverteilung zwischen Staaten oder Menschengruppen bezieht sich immer auf die
staatliche Macht.
Die Weimarer Verhältnisse wichen für Schmitt vom Idealbild der Demokratie ab
und zeigten für ihn, daß kein potenter Staat mehr vorhanden war.
Sonderinteressen wirkten und das Volk existiere nur in der Sphäre der
Publizität und war nicht real fassbar. Parteien seien Schein gewesen,
Diskussionen erfolgten nur über präformierte Absprachen. Entscheidungen
standen vor der Deklaration fest, weil Abstimmungsgruppen vorher ihre Mehrheiten
prüften und wie in Hessen derzeit die Majoritäten vorab entgegen jeder
Wahlkampfversprechung auf die Probe stellten. Qua Propaganda täuschten Parteien
ihr Volksparteiendasein und ihre Unabhängigkeit vor. Dies alles sind Fragen und
immanente Aspekte der Macht und ihres Erhaltes in der Massendemokratie.
Max Weber brauchte in der Massendemokratie den Demagogen, der die Massenstimmung
organisiert. Er bindet die Massen an Ziele. Er bringt im Parlament die neuen
Eliten hervor und bündelt die Macht. Das bestritt Carl Schmitt: Die neuen
Führer würden von der Straße kommen. Er sollte Recht behalten: Der neue
Führer kam aus den Straßen Wiens, die Führer der alten Bundesrepublik, deren
Repräsentanten 2005 endgültig abtraten, kamen aus der Gosse, den Straßen
Frankfurts. Letztere waren zwar keine eigentlichen Führer mehr, sondern vom
System selbst reproduzierte Gestalten, die nie mehr als die Bundesrepublik
erlebt haben. Dennoch gelang ihnen der Zugang zur Macht.
Schmitt stellt sich nun im vorliegenden Buch die Frage: Ist Macht gut oder
böse? Die meisten Menschen werden mit größter Selbstverständlichkeit
antworten: Die Macht ist gut, wenn ich sie habe, und sie ist böse wenn mein
Feind sie hat. Ein Machthaber zeichnet sich in diesem Zusammenhang vor allem
dadurch aus, daß er es ist, der darüber entscheidet, was ein guter oder böser
Gebrauch von Macht ist. In lakonischem Stil geschrieben handelt es sich bei
diesem Buch um die Form eines fiktiven Gesprächs. Sein Thema: die moderne Macht
unter verwaltungstechnischen Bedingungen. Macht definierte Schmitt als
"soziales Geflecht" und "eigenständige Größe". Jeder
Machthaber ist, so Carl Schmitt, "auf Berichte und Informationen angewiesen
und von seinen Beratern abhängig. Eine Unmenge von Tatsachen und Meldungen,
Vorschlägen und Vermutungen dringt Tag für Tag und Stunde für Stunde auf ihn
ein. Aus diesem flutenden, unendlichen Meer von Wahrheit und Lüge,
Wirklichkeiten und Möglichkeiten kann auch der klügste und mächtigste Mensch
höchstens einige Tropfen herausschöpfen."
Schmitts Denken kreist hier um Fragen der Macht, der Gewalt und der
Verwirklichung des Rechts. Sein umfangreiches Werk ist schon vorher von
politischen Philosophen und Staatsdenkern wie Hobbes, Machiavelli, Rousseau,
Donoso Cortés, Sorel und Pareto prägend beeinflusst. Das "Gespräch über
die Macht" nimmt eine herausragende Stellung durch seine nachhaltige
Wirkung ein. Auch hier nimmt er mehrmals Bezug auf das Bild des Leviathan, in
dem Thomas Hobbes allem religiös bestimmten Staatsdenken entgegen tritt.
Weggenossen in dieser Bahn sind ihm Machiavelli, Nietzsche und Sorel. Der
Leviathan sei der sterbliche Gott und ganz auf die politische Tat des Menschen
gestellt, die ihn immer wieder von neuem dem Chaos eines natürlichen Zustandes
abbringen muß. Alle Menschen sind in jedem Moment bedroht oder gefährdet.
"So wird jede direkte Macht sofort indirekten Einflüssen
unterworfen." - Resümiert Schmitt in seinem Gespräch. Je mehr sich die
Macht an einer Stelle konzentriert, umso mehr verschärft sich das Problem des
Korridors und die Frage des Zugangs zur Spitze. Schmitt spricht vom "Kampf
um den Korridor".
Aber wer an den christlichen Gott glaubt, kann die Macht an sich nicht für
böse oder neutral erklären - Gott ist ja all-mächtig. "Gott ist höchste
Macht und höchstes Sein. Alle Macht ist von ihm und ist und bleibt in ihrem
Wesen göttlich und gut." schreibt der Hl. Papst Gregor der Große im
frühen Mittelalter. Im 19.Jahrhundert dagegen hält Jacob Burckhardt sie für
böse: "Und nun zeigt sich - man denke an Ludwig XIV., an Napoleon und an
die revolutionären Volksregierungen - daß die Macht an sich böse ist..."
Seitdem Macht nicht mehr göttlich oder natürlich, sondern als menschliche
empfunden wird, seit der Vermenschlichung der Macht, verbreitet sich nun
unwiderstehlich die Überzeugung, daß die Macht an sich böse ist. Carl Schmitt
aber ist überzeugt: Macht von Menschen über Menschen ist weder gut, noch
böse, am wenigstens neutral. Sie ist eine eigenständige Wirklichkeit und zieht
jeden, auch den Machthaber, in ihre Dialektik. (33)
Das vorliegende Handbrevier in Sachen Machtfragen erhielt in den 50er Jahren
viel Resonanz. Ernst Jünger bescheinigte ihm eine gute Darstellung der Macht
als "anonyme Größe". Die Journalistin Margret Boveri zeigte sich
fasziniert über die Theorie des "Korridors zur Macht". Interessant
ist, daß sich Schmitt im vorliegenden Gespräch nicht als weiser Sokrates
geriert und keine metaphysischen Spekulationen abhält, sondern die immanente
Dialektik der Macht rein deskriptiv dartut.
Fazit
Diese Neuauflage des Machtgesprächs bei Klett-Cotta ist sehr zu begrüßen und
sollte als nüchterne Einführung in politische Grundfragen dienen, deren
Korrektheit auch die ehemaligen Führer aus der Gosse Frankfurts nicht zu
leugnen befähigt sind, da sie doch selbst einst im Sinne der Erkenntnisse
Schmitts agierten.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 02. November 2008 2008-11-02 10:10:53