Die geschlossenen Vorhänge können Kalon und seine Schwester nicht davor
schützen, zufällig durch einen Schusswechsel vor ihrem Haus verletzt zu
werden. Auch die Wände der Wohnung, in der der 12-Jährige mit Schwester Nia
und der Großmutter der Kinder lebt, sind von Einschusslöchern gezeichnet.
Gramma versucht mit allen Mitteln, ihren Enkel von der Straße fernzuhalten.
Doch Kalon fühlt sich von den Bandenkriegen seiner amerikanischen Heimatstadt
zwischen den Douglass Disciples und den Gentry Gangstas unwiderstehlich
angezogen. Kalon lebt in Douglass, dem Herrschaftsgebiet von Marcus Elliot.
Genau auf der Grenze zur Gentry-Street-Siedlung, über die Rance Jones herrscht,
liegt Kalons Schule. Seinen vertrauten Häuserblock verlässt Kalon nur, wenn er
zur Schule geht. Außer der Notaufnahme des Krankenhauses kennt der Junge nichts
außerhalb von Douglass. Als sein Lehrer Mr. Brand ihm empfiehlt, sich zur
Aufnahmeprüfung für eine Schule außerhalb des Ghettos zu bewerben, scheitert
diese Idee daran, dass Kalon sich ein Leben außerhalb seines Häuserblocks
nicht vorstellen kann.
Als 12-Jähriger ist Kalon noch entschlossen, sich aus dem Bandenkrieg
herauszuhalten. Doch er weiß, dass seine Großmutter die Familie nicht länger
allein mit dem ernähren kann, was sie zusätzlich zur Sozialhilfe durch Putzen
verdient. Kalon ist der Mann im Haus, Kalon muss Geld verdienen. Mädchen aus
Douglass oder Gentry haben mit 16 Jahren mindestens ein Kind, dessen Vater sich
nicht drum kümmert, und leben von Sozialhilfe. Jungen in Douglass oder Gentry
werden ziemlich wahrscheinlich vor ihrem 18. Geburtstag auf der Strasse
erschossen. Als 14-Jähriger hält Kalon sich für erwachsen, kifft und hat
zum ersten Mal - zufällig - eine Waffe in der Hand. Mit Gramma und ihren Enkeln
ist es inzwischen stetig bergab gegangen. In einem von Grammas Zimmern lebt
Kalons Schwester Nia inzwischen mit ihren Kindern und deren Vater Denzel; Gramma
schläft auf dem Küchen-Sofa, Kalon auf dem Boden. Marcus, der Anführer der
Douglass Disciples, bringt Kalon großes Vertauen entgegen und bietet ihm einen
Job. Keine Frage, wie der 14-Jährige sich nun entscheidet.
Kalon verliebt sich in Tanisha, die in Gentry-Street lebt, eine für Kalon als
Douglass-Bewohner verbotene Gegend. Tanishas Bruder ist Mitglied der
konkurrierenden Gentry Gangstas. Das Viertel gemeinsam mit Tanisha zu verlassen,
wagt Kalon nicht; denn "alle seine Verwandten wohnen hier". Kalon
beschreibt beispielhaft den endlosen Kreislauf von Ghetto-Kindheiten. Er
erzählt von Jugendlichen, die vaterlos im Ghetto aufwachsen und deren Kinder
wieder ohne Vater und ohne erwachsene Vorbilder aufwachsen werden. Mit 17 Jahren
sind auch Kalon und Tanisha Eltern eines Sohns, der seinen Vater kaum kennen
wird. Kalon ist intelligent, er beobachtet genau, doch er kann sich kein anderes
Leben als das im Ghetto vorstellen. In einem der wenigen Momente des Zweifels
fragt sich Kalon: "Wenn meine Mutter klug war, warum ist sie dann
tot?" Warum wurde seine Mutter als Unbeteiligte Opfer einer Schießerei?
Formal hätten Kalon und seine Mitschüler Chancen auf Bildung und Ausbildung.
Doch solange engagierte Lehrer wie Mr. Brand sich nach einem Jahr in einem
sozialen Brennpunkt eine neue Stelle suchen, solange die einzige männliche
Bezugsperson für kleine Jungen ein 21-jähriger Drogenhändler wie Marcus ist,
wird kaum einer von ihnen aus dem Ghetto herauskommen.
Fazit
Sachlich und beinahe emotionslos lässt Morton Rhue den schwarzen Jugendlichen
Kalon sein Leben protokollieren. Zu Beginn des Berichts ist Kalon 12 Jahre alt,
am Ende des Buches 28. Mit Ghetto Kidz legt Morton Rhue einen weiteren
brisanten Jugendroman vor, der gerade durch seinen nüchternen, schnörkellosen
Stil bewegt.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 24. Juli 2008 2008-07-24 08:35:37