In dem abgelegenen schwedischen Dorf Hudiksvall sind achtzehn ältere Menschen
und ein Kind, das bei einer Familie zu Besuch war, buchstäblich abgeschlachtet
worden. Die Ermittler Vivi Sundberg und ihr Kollege Erik Huddén stehen unter
Druck, der Öffentlichkeit in diesem für Schweden beispiellosen Fall
Ermittlungsergebnisse zu präsentieren. Es gibt zwar drei überlebende Bewohner
in dem kleinen Ort, von denen jedoch wegen ihres Alters oder Geisteszustands
keine verwertbaren Zeugen-Aussagen zu erwarten sind. Die Richterin Birgitta
Roslin aus Helsingborg wird auf den Fall aufmerksam, weil in Hudiksvall ihre
Mutter aufgewachsen ist. Birgitta vermutet hinter der Tat, die vorschnell mit
dem Begriff Wahnsinn in Verbindung gebracht wird, eine Beziehungstat; denn alle
Opfer waren miteinander verwandt oder verheiratet. Unter den
Erinnerungsstücken, die Birgittas Mutter ihrer Tochter hinterlassen hat, sind
Briefe und Tagebücher eines Verwandten, der im 19. Jahrhundert als Aufseher
beim Eisenbahnbau in Nevada tätig war. Als in Reno, Nevada eine weitere
Familie ermordet wird, die ebenfalls den Familiennamen von Birgittas Mutter
trägt, wendet die Richterin sich mit ihren Informationen an Vivi Sundberg.
Birgitta Roslin, die auf die 60 zugeht, spielt in Henning Mankells Roman die
Rolle der ausgebrannten Person, die sich in einer privaten und gesundheitlichen
Krise befindet. Dass Roslin von ihrem Hausarzt krank geschrieben wird,
ermöglicht ihr, sich erstmals im Leben in Ruhe mit der Person ihrer Mutter
auseinander zu setzen und die Ermittler in Hudiksvall mit eigenen Theorien zu
dem außergewöhnlichen Mordfall zu nerven.
1863 wird der junge Chinese Wang San auf ein Schiff verschleppt, das Arbeiter
für den Eisenbahnbau in Nevada in die Vereinigten Staaten transportiert. Wang
wird, wie alle anderen chinesischen Arbeiter, auf der Baustelle gequält,
betrogen und verachtet. Der Aufseher der Männer, genannt JA, stammt aus
Schweden. Auf abenteuerliche Weise entkommt Wang der Schinderei und gelangt als
persönlicher Diener zweier schwedischer Missionare zurück nach in China. Wang
lernt mit eiserner Disziplin als Erwachsener noch Lesen und Schreiben, erreicht
ein hohes Lebensalter - und er fühlt sich seiner Familie und den einmal
gegebenen Versprechen lebenslang verpflichtet. Seine Lebenserinnerungen
hinterlässt Wang seinem Sohn Wang Guo Si.
Inzwischen hat Birgitta Roslin den Kontakt zu ihrer Jugendfreundin Karin Widman
aufgenommen, die Sinologin ist. Beide hatten als Studentinnen der 68er-Jahre
eine schwärmerisch-naive maoistische Phase. Karin, die sich beruflich mit
chinesischen Herrschern vergangener Epochen beschäftigt, reist dienstlich nach
China. Die krank geschriebene Birgitta begleitet Karin, um in Peking nach
Verbindungen zwischen den Morden in Hudiksvall und der Vergangenheit zu
forschen. Sie stört dabei die Kreise des einflussreichen Ya Ru, der
weitreichende Pläne für die wirtschaftliche Zusammenarbeit Chinas mit Zimbabwe
schmiedet.
Die Aufsehen erregenden Morde und die Ermittlungen der schwedischen Polizei
nehmen nur wenige Seiten in Mankells als Thriller angekündigtem Buch ein. Der
Rückblick auf das Schicksal des Chinesen Wang ist schlüssig erzählt und hat
mich von allen Handlungsfäden am meisten gefesselt. Der Teil des Plots, der 140
Jahre später in China spielt, fällt im Vergleich zu Wang Sans Geschichte
wenig überzeugend aus. Wie Birgitta Roslin in einer ihr fremden Stadt, in der
sie sich kaum verständigen kann, als Privatperson überhaupt Ermittlungen
anstellen kann, begründet der Autor nicht schlüssig. Peking als Schauplatz
der Handlung bereitet Mankell - trotz seines historischen und politischen
Wissens über das Land - deutliche Probleme. Dass Mankell oder sein Übersetzer
die bekannte Wangfujin Dajie falsch schreibt, ist zwischen diversen
Widersprüchen nur ein Ärgernis am Rande.
Ya Ru und seine Schwester Hong wirken wie gebildete Chinesen in Birgittas Alter.
Die Motive des Geschwisterpaars werden nicht ausreichend ausgearbeitet, so dass
in ihrem Fall Mankells Leser nicht "aus der Geschichte lernen"
können. Hong hat für eine Chinesin ihres Alters ungewöhnliche Ansichten zum
Thema Kapitalismus, Denkmalschutz und zu Frauenrechten. Birgitta Roslin würde
man eine linksintellektuelle Einstellung ohne Weiteres abnehmen; einer älteren
Chinesin ohne plausible Herleitung dagegen nicht. Die Figur Hong hat die
undankbare Aufgabe, wenig überzeugend Mankells eigene, europäisch geprägte
Vorstellungen zu transportieren.
Fazit
Henning Mankell verbindet in seinem Roman Geschichte und Gegenwart, den Mord an
einem ganzen schwedischen Dorf mit aktuellen politischen Ereignissen. Die
Handlungsstränge in Schweden, den USA und China sind von sehr unterschiedlicher
Qualität, eine schlüssige Verknüpfung gelingt dem Autor nicht. Aktuelle
Ereignisse, wie Investitionen chinesischer Firmen in Afrika, chinesische
Betriebe als Rohstoff-Käufer und großzügig erteilte Aufenthalts-Genehmigungen
für chinesische Einwanderer in afrikanischen Ländern, bearbeitet Mankell zu
einer wenig überzeugenden Fiktion.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. Juli 2008 2008-07-20 10:23:35