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Henning Mankell: Der Chinese

Der Chinese

von Henning Mankell
Verlag: Paul Zsolnay Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-552-05436-3

Preis: 24,90 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
In dem abgelegenen schwedischen Dorf Hudiksvall sind achtzehn ältere Menschen und ein Kind, das bei einer Familie zu Besuch war, buchstäblich abgeschlachtet worden. Die Ermittler Vivi Sundberg und ihr Kollege Erik Huddén stehen unter Druck, der Öffentlichkeit in diesem für Schweden beispiellosen Fall Ermittlungsergebnisse zu präsentieren. Es gibt zwar drei überlebende Bewohner in dem kleinen Ort, von denen jedoch wegen ihres Alters oder Geisteszustands keine verwertbaren Zeugen-Aussagen zu erwarten sind. Die Richterin Birgitta Roslin aus Helsingborg wird auf den Fall aufmerksam, weil in Hudiksvall ihre Mutter aufgewachsen ist. Birgitta vermutet hinter der Tat, die vorschnell mit dem Begriff Wahnsinn in Verbindung gebracht wird, eine Beziehungstat; denn alle Opfer waren miteinander verwandt oder verheiratet. Unter den Erinnerungsstücken, die Birgittas Mutter ihrer Tochter hinterlassen hat, sind Briefe und Tagebücher eines Verwandten, der im 19. Jahrhundert als Aufseher beim Eisenbahnbau in Nevada tätig war. Als in Reno, Nevada eine weitere Familie ermordet wird, die ebenfalls den Familiennamen von Birgittas Mutter trägt, wendet die Richterin sich mit ihren Informationen an Vivi Sundberg.

Birgitta Roslin, die auf die 60 zugeht, spielt in Henning Mankells Roman die Rolle der ausgebrannten Person, die sich in einer privaten und gesundheitlichen Krise befindet. Dass Roslin von ihrem Hausarzt krank geschrieben wird, ermöglicht ihr, sich erstmals im Leben in Ruhe mit der Person ihrer Mutter auseinander zu setzen und die Ermittler in Hudiksvall mit eigenen Theorien zu dem außergewöhnlichen Mordfall zu nerven.

1863 wird der junge Chinese Wang San auf ein Schiff verschleppt, das Arbeiter für den Eisenbahnbau in Nevada in die Vereinigten Staaten transportiert. Wang wird, wie alle anderen chinesischen Arbeiter, auf der Baustelle gequält, betrogen und verachtet. Der Aufseher der Männer, genannt JA, stammt aus Schweden. Auf abenteuerliche Weise entkommt Wang der Schinderei und gelangt als persönlicher Diener zweier schwedischer Missionare zurück nach in China. Wang lernt mit eiserner Disziplin als Erwachsener noch Lesen und Schreiben, erreicht ein hohes Lebensalter - und er fühlt sich seiner Familie und den einmal gegebenen Versprechen lebenslang verpflichtet. Seine Lebenserinnerungen hinterlässt Wang seinem Sohn Wang Guo Si.

Inzwischen hat Birgitta Roslin den Kontakt zu ihrer Jugendfreundin Karin Widman aufgenommen, die Sinologin ist. Beide hatten als Studentinnen der 68er-Jahre eine schwärmerisch-naive maoistische Phase. Karin, die sich beruflich mit chinesischen Herrschern vergangener Epochen beschäftigt, reist dienstlich nach China. Die krank geschriebene Birgitta begleitet Karin, um in Peking nach Verbindungen zwischen den Morden in Hudiksvall und der Vergangenheit zu forschen. Sie stört dabei die Kreise des einflussreichen Ya Ru, der weitreichende Pläne für die wirtschaftliche Zusammenarbeit Chinas mit Zimbabwe schmiedet.

Die Aufsehen erregenden Morde und die Ermittlungen der schwedischen Polizei nehmen nur wenige Seiten in Mankells als Thriller angekündigtem Buch ein. Der Rückblick auf das Schicksal des Chinesen Wang ist schlüssig erzählt und hat mich von allen Handlungsfäden am meisten gefesselt. Der Teil des Plots, der 140 Jahre später in China spielt, fällt im Vergleich zu Wang Sans Geschichte wenig überzeugend aus. Wie Birgitta Roslin in einer ihr fremden Stadt, in der sie sich kaum verständigen kann, als Privatperson überhaupt Ermittlungen anstellen kann, begründet der Autor nicht schlüssig. Peking als Schauplatz der Handlung bereitet Mankell - trotz seines historischen und politischen Wissens über das Land - deutliche Probleme. Dass Mankell oder sein Übersetzer die bekannte Wangfujin Dajie falsch schreibt, ist zwischen diversen Widersprüchen nur ein Ärgernis am Rande.

Ya Ru und seine Schwester Hong wirken wie gebildete Chinesen in Birgittas Alter. Die Motive des Geschwisterpaars werden nicht ausreichend ausgearbeitet, so dass in ihrem Fall Mankells Leser nicht "aus der Geschichte lernen" können. Hong hat für eine Chinesin ihres Alters ungewöhnliche Ansichten zum Thema Kapitalismus, Denkmalschutz und zu Frauenrechten. Birgitta Roslin würde man eine linksintellektuelle Einstellung ohne Weiteres abnehmen; einer älteren Chinesin ohne plausible Herleitung dagegen nicht. Die Figur Hong hat die undankbare Aufgabe, wenig überzeugend Mankells eigene, europäisch geprägte Vorstellungen zu transportieren.
Fazit
Henning Mankell verbindet in seinem Roman Geschichte und Gegenwart, den Mord an einem ganzen schwedischen Dorf mit aktuellen politischen Ereignissen. Die Handlungsstränge in Schweden, den USA und China sind von sehr unterschiedlicher Qualität, eine schlüssige Verknüpfung gelingt dem Autor nicht. Aktuelle Ereignisse, wie Investitionen chinesischer Firmen in Afrika, chinesische Betriebe als Rohstoff-Käufer und großzügig erteilte Aufenthalts-Genehmigungen für chinesische Einwanderer in afrikanischen Ländern, bearbeitet Mankell zu einer wenig überzeugenden Fiktion.
6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 20. Juli 2008

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