"Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein
geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen
einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es."
Diese Definition des Romantischen stammt von Novalis und ist nach Ansicht des
deutschen Philosophen Rüdiger Safranski, der bereits mehrere große
Biographien, u.a. über Schopenhauer, E.T.A. Hoffmann, Nietzsche, Heidegger und
zuletzt über Friedrich Schiller vorgelegt hat, die beste Beschreibung jener
typisch deutschen Epoche deutscher Geistes-, Philosophie- und
Literaturgeschichte, die etwa zwischen 1790 und 1830 anzusiedeln ist, jedoch bis
heute Nachwirkungen - gerade auch in der Aufarbeitung der geistes- und
mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen für den Nationalsozialsozialismus -
zeitigt. Die Frage, ob die Romantik als deutscher Sonderweg zu kennzeichnen ist,
der in letzter Konsequenz zu Hitler führte, ist bis heute umstritten. Es war
der Philosoph uönd Soziologe Helmuth Plessner, der bereits in den 1930-ger
Jahren in seinem 1959 wieder aufgelegten Buch: "Die verspätete
Nation" diese These aufgestellt hat. Seines Erachtens lag die wesentliche
Differenz zwischen den Deutschen einerseits und den Völkern des alten Westens
darin, dass letztere ihre nationalstaatliche Basis im 16. und 17. Jahrhundert
gefunden hatten und auf diese Basis als "goldenes Zeitalter"
zurückblicken konnten. Dies konnten die Deutschen nicht. Der Nationalstaat
wurde erst viel später - 1871 - gegründet und so musste die Blütezeit des
Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation die Stelle des "goldenen
Zeitalters" der Deutschen einnehmen. Aufgrund dieser Zeitverschiebung wurde
nicht das Zeitalter der Aufklärung, sondern deren Gegenbewegung, die Romantik,
in Deutschland bedeutungsvoll für die nationale Integration. Auch Karl Dietrich
Bracher hat diesen Zusammenhang immer wieder betont. In seinem - bis heute
bahnbrechenden - Werk: "Die deutsche Diktatur" zitiert er den
romantischen Staatsphilosophen Adam Müller, der schon 1809 die unlösliche,
unentrinnbare Gebundenheit des Menschen an den Staat betont hat und damit die
Wendung zur konservativ-machtstaatlichen, antiliberalen und antiaufklärerischen
Staatsideologie Ausdruck verliehen hat. Nachdem die französische Revolution von
deutschen Schriftstellern und Intellektuellen zunächst begrüßt worden war,
wandten sie sich - unter anderem Goethe und Schiller - von dieser Revolution
wieder ab, als sie anstelle der ersehnten Freiheit ein jakobinisches
Terrorregime brachte. Die Freiheitskriege gegen Napoleon führten zu einer
Begründung des deutschen Nationalgefühls, das sich im Kampf gegen den Westen
und westliche Werte definierte. Sie diente pratriotischen Publizisten wie Ernst
Moritz Arndt als Begründung eines deutschen Nationalgefühls von unbedingtem,
einzigartigen und fast religiösem Anspruch. In dieser Zeit wuchs und vertiefte
sich also die Kluft zwischen westlichem und deutschem Staatsdenken. Höhepunkt
dieser Entwicklung war die Tatsache, dass die Nationalsozialisten am 14. Juli
1933, dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille, des französischen
Nationalfeiertages, die noch existierenden Parteien aus der Weimarer Republik
endgültig verboten und somit - nach ihren eigenen Worten - die liberale
Freiheitstradition der Französischen Revolution - für die aus Sicht der
Nationalsozialisten die bisherige Demokratie der Weimarer Republik das Symbol
war - beendeten, um ein neues "tausendjähriges Reich" zu schaffen,
welches in der antiaufklärerischen deutschen Staatstradition stand. Dies ist
der Inhalt der bis heute andauernden Debatte und Kontroverse über den
"deutschen Sonderweg", für den die Romantik als Gegenbewegung zur
Aufklärung in Haftung genommen wird.
Gegen diese These wendet sich Rüdiger Safranski. Zwar sieht auch er Hitler und
die Nationalsozialisten in der Tradition der Romantik stehend, wehrt sich aber
dagegen, die Romantik allein unter dem obigen Aspekt zu deuten. Die Romantik sei
- so Safranski - eine "glänzende Epoche des deutschen Geistes"
gewesen. Sie habe große Ausstrahlung auf andere Nationalkulturen gehabt. Ihre
Auswirkungen seien bis zur Studentenbewegung zu erkennen gewesen. Doch es sei
falsch, die Romantik pauschal zu verdammen. Das Romantische gehöre zu einer
lebendigen Kultur und sei eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen
Mitteln. Sie dürfe die Politik, die realistisch zu sein habe und den Kompromiss
anstreben solle, nicht beeinflussen. "Wenn wir Vernunft der Politik und die
Leidenschaften der Romantik nicht als zwei Sphären begreifen und als solche zu
trennen wissen, wenn wir statt dessen die bruchlose Einheit wünschen und uns
nicht darauf verstehen, in mindestens zwei Welten zu leben, dann besteht die
Gefahr, daß wir in der Politik ein Abenteuer suchen, das wir besser in der
Kultur finden, oder daß wir, umgekehrt, der Kultur dieselbe soziale
Nützlichkeit abfordern wie der Politik. (...) Das Romantische gehört zu einer
lebendigen Kultur, romantische Politik aber ist gefährlich." Die Romantik
dürfe uns jedoch nicht verlorengehen, denn politische Vernunft und
Realitätssinn sei zu wenig zum Leben.
Dies ist das Fazit des Buches von Rüdiger Safranski. Da bleibt ja zu fragen:
Was ist Romantik? Warum ist sie gerade in Deutschland so ausgeprägt?
Wer hierauf eine Antwort hören will, der sollte zu dem Titel von Rüdiger
Safranski greifen. Das Buch erzählt über diese Epoche, die an den Idealismus
und die Aufklärung anschloss (damit hatte sich der Autor in seiner
Schiller-Biographie beschäftigt). In einem ersten Teil gibt Safranski einen
Überblick über die Geistes- und Literaturgeschichte der Romantik. Er stellt
Schriftsteller und Philosophen dieser Epoche, u.a. Novalis, Schlegel, Tieck, die
Brentanos, Eichendorff und E.T.A. Hoffmann mit ihren Werken und Ideen vor.
Im zweiten Teil: "Das Romantische" untersucht Safranski die
Auswirkungen der Epoche, die "Karriere des Romantischen" bis in die
Gegenwart. Sie führt über Heine, Richard Wagner, Nietzsche, Thomas Mann,
Stefan George bis zur Philosophie Heideggers und den Verbindungen zwischen
Romantik und Nationalsozialismus. Auch nach dem Zusammenbruch werde immer wieder
eine Beziehung zwischen Nationalsozialismus und Romantik hergestellt. Es habe -
so Safranski - Traditionslinien der Romantik gegeben, die der
Nationalsozialismus aufgegriffen habe: die Ideen über Volk und Volkskultur, die
romantischen Organismus-Vorstellungen in Bezug auf Staat und Gesellschaft und
die romantischen Mytheninterpretationen eins Görres und Creuzer. Es war Joseph
Goebbels, der mit dem 30. Januar 1933 die Zeit des Individualismus durch ein
sogenanntes "Völkisches Zeitalter", ersetzt sah. Hiermit knüpfte er
an romantische Traditionen einer "Volksgemeinschaft" an. Allerdings
vertrat der Nationalsozialismus auch Positionen, die nicht in dieser
romantischen Tradition standen. So forderte etwa Ernst Krieck, ein maßgeblicher
Ideologe im Bereich der Erziehungswissenschaften, den radikalen Bruch mit der
geistigen Tradition der Romantik und des Idealismus. Ähnliche Positionen wurden
im "Amt Rosenberg" verteten, das für die weltanschauliche Schulung
der Parteimitglieder zuständig war. Volksgemeinschaft, so hieß es dort, dürfe
nicht mit einer romantischen Idylle verwechselt werden. Das Romantische sei zu
quietistisch und habe bei ihrer Flucht vor der unbewältigten Wirklichkeit die
einfachen Menschen verraten. Die Angriffe auf die historische Romantik wurden
bisweilen so heftig vorgetragen, dass Propagandaminister Goebbels dagen Einspruc
erhob und daran erinnerte, dass die Romantik zum kulturellen Erbe gehöre, auf
die das deutsche Volk auch gegenüber dem Ausland stolz sein könne.
Die Beziehung zwischen Romantik und Nationalsozialismus sind also - so zeigt
Safranski - sehr zwiespältig gewesen. Hitlers Ideen selber seien keinesfalls
romantisch gewesen, jedoch stehe er für die Verbindung von Weltfremdheit und
weltumstürzenden Furor. "Hitlers Politik gründet auf einen Wahn, der sich
bewahrheitete, indem er verwirklicht wurde. Die Menschen, über die Hitler Macht
gewann, wirkten dabei mit, als Gläbuige, als Befehlsempfänger, als willige
Helfer, als Eingeschüchterte, als Gleichgültige. Die sittliche Kultur der
Gesellschaft vermochte jedenfalls diesem Treiben kein Ende zu setzen.
Normalerweise trennt der Wahn einen Menschen von seiner Umgebung ab, isoliert
ihn und schließt ihn ein. Das Ungeheure des Falels Hitler liegt darin, daß er
die Einsamkeit des Wahns überwand, indem er seinen Wahn erfolgreich
vergesellschaftete. Es hat verschiedene Motive gegeben, Hitler zu folgen, aber
das ändert nichts an dem Ergebnis, daß hier eine ganze Gesellschaft daran
beteiligt war, ein Wahnsystem in die Wirklichkeit umzusetzen. Es waren, wie
schon gesagt, keine romantischen Ideen, die hier umgesetzt wurden, aber solche
Gstalten wie Hitler, die eine ganze Gesellschaft in den Bann schlagen, sind in
den Fieberträumen der Romantiker bereits antizipiert worden, etwa in den
dämonisch-nihilistischen Machtfiguren Jean Pauls oder in der Gestalt des
großen Magnitiseurs bei E.T.A. Hoffmann. (...) Das Volk aber, das sich in
diesen kalten Taumel des mörderischen Wahns hineinziehen ließ - gab es damit
nicht den stärksten Beweis für seinen mangelnden Realitätssinn, zeigte sich
darin nicht doch etwas von dieser Verbindung aus romantischer Weltfremdheit mit
dem Furor des Weltensturzes? Dafür spricht, daß der Zusammenbruch der
NS-Herrschaft von vielen wie das Erwachen aus einer Benommenheit erlebt wurde,
wie das Ende eines Spuks, als sei der Bann gebrochen. Von einem Tag auf den
anderen erschien, was eben noch geherrscht hatte, ganz irreal, und es dauerte
nicht lange, dann wollten die Menschen sich gar nicht mehr in em wiedererkennen,
was sie soeben noch gewesen waren."
Fazit
Diese Sätze gehören zu dem Besten, was meines Erachtens über die Verbindung
von Romantik und Nationalsozialismus geschrieben worden ist. Daher kann ich nur
sagen: Wer über die Epoche der Romantik näher informiert werden möchte, der
greife zu diesem wichtigen, sehr lesenswerten Buch.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 03. Juli 2008 2008-07-03 02:41:27