Angela Merkel ist seit 2005 Bundeskanzlerin. Wie ist ihr Aufstieg verlaufen?
Welche politischen Vorstellungen und Ziele hat sie? Welche Prinzipien zeichnen
sie aus? Gibt es ein "System Merkel?"
Alle diese Fragen beantwortet der Bonner Politikprofessor Gerd Langguth in
dieser hervorragenden, im Dezember 2007 neu aktualisierten Biographie.
Um es gleich zu sagen: dies ist meines Erachtens die beste Biographie der
heutigen Bundeskanzlerin, die auf dem Buchmarkt erschienen ist.
Angela Merkel, obgleich in Hamburg geboren, war bis zu ihrem 35. Lebensjahr
DDR-Bürgerin. Sie studierte in Leipzig Physik und beschloss im Jahr des
Mauerfalls, 1989, politisch aktiv zu werden. Sie wurde Sprecherin der ersten
DDR-Regierung unter Lothar DeMaiziere und löste ihn auf dem Dresdener Parteitag
der CDU im Jahre 1991 als stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU ab. Sodann
beerbte sie 1993 den zurückgetretenen Bundesverkehrsminister Krause als
CDU-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern. Sie wurde Bundesministerin im
Kabinett Kohl, nach der Bundestagswahl 1998 Generalsekretärin der CDU.
Schließlich erledigte sie ihre politischen Ziehväter Kohl und Schäuble nahezu
mit einem Doppelschlag, als sie durch einen Namensbeitrag in der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die beiden alten Weggefährten so
gegeneinander aufbrachte, dass nicht nur Kohls Ansehen durch die
Parteispendenaffaire im Jahre 2000 schwer litt, sondern auch ihr Nachfolger
Schäuble als Parteivorsitzender der CDU nicht mehr haltbar war. Sie wurde
Parteivorsitzende und verzichtete in kluger Einschätzung der Realitäten
darauf, eine Kraftprobe um die Kanzlerkandidatur 2002 mit dem CSU-Vorsitzenden
Stoiber zu wagen. "Ihre Sammlung an Skalps kann sich sehen lassen" -
notierte Langguth, der Angela Merkel - wohl zu recht - einen "unbedingten
Willen zur Macht" attestiert, bereits in der Erstauflage des Buches,
welches im Jahre 2005 erschien. Heute sind nicht nur Kohl, Schäuble und
Friedrich Mertz, sondern auch Edmund Stoiber Geschichte. Sie steht heute ohne
ernsthaften Rivalen in der CDU-Führung und als Kanzlerin dar.
Woher resultiert der Erfolg dieser lange unterschätzten Politikerin? Wie lebte
sie als Kind und als junge Erwachsene in der DDR? Wie sehr wurde sie durch das
Klima eines Pfarrhauses, aber auch durch das System der DDR geprägt?
Langguth beleuchtet all diese Fragen und deutet die Persönlichkeit Angela
Merkels in zehn Thesen
1.) Angela Merkel sei von "unbedingtem Willen zur Macht" geprägt
worden. Dies habe sie mit ihren Vorgängern Kohl und Schröder gemeinsam. Sie
setze mit Hartnäckigkeit alles daran, sich durch Spitzenleistung zu
verwirklichen und wolle immer die Beste sein. Sie suche Selbstbestätigung in
der von anderen anerkannten Leistung.
2.) Angela Merkel sei als "ideologiefreie" Naturwissenschaftlerin
Generalistin ohne historische Fixierung. Sie gehe von der Notwendigkeit des
effizienten "Funktionierens" einer Gesellschaft aus. Ihre Leidenschaft
gehöre keinem bestimmten Politikbereich. Ihr Politikansatz werde weniger durch
eine grunsätzliche Idee definiert, sondern entwickele sich aus der Lösung
konkreter Sachfragen. Ein Bild von der Zukunft besitze sie nicht. Daher - dies
wird in der Neuauflage ersichtlich - konnte sie relativ schnell
"umschalten" von der "Reformkanzlerkandidatin" auf der Basis
der Leipziger Beschlüsse der CDU zur konsensorientierten Kanzlerin der
"Großen Koalition". Angela Merkel hatte gemerkt, dass sie nicht in
der Lage war, im "Parallelogramm der Kräfte" ihre ursprünglich
gewünschte Reformpolitik mit der SPD durchzusetzen. Mit dieser Zwangslage hat
sie sich relativ pragmatisch abgefunden, wobei ihr hilft, dass sie stark von der
Rationalität des Denkens einer Naturwissenschaftlerin geprägt worden ist.
3.) Das Leben Angela Merkels sei von ihrem Verhältnis zu ihrem Vater geprägt.
Er dominierte die Familie, sein "unnahbares Wesen", seine Strenge und
sein Absolutheitsanspruch hätten die Tochter, die die Liebe des Vaters suchte,
besonders gezeichnet. Dennoch arbeite sie sich an ihrem Vater ab und wolle sich
ihm gegenüber beweisen.
4.) Angela Merkel sei unfähig, sich mitzuteilen und Einblick in das eigene Ich
zu geben. Dies sei durch ihre Erfahrung als DDR-Bürgerin zu erklären. Schon in
der Schule lernte sie, in zwei unterschiedlichen Welten zu leben - geprägt vom
Pfarrhaus der Eltern, hatte sie von diesen als Lehre mitbekommen, gegenüber
Lehrern, Klassenkameraden oder Repräsentanten des Staates nie zu offenbaren,
was sie wirklich denke. "Dieses Element der Gefahrenvermeidung lernt in
einer Diktatur jeder, der die Abhängigkeit seines Fortkommens von Partei,
Geheimdienst und Staat erkennt." Ein solches z ur Perfektion getriebenes
Verhaltensmuster mache nicht nur gegenüber anderen misstrauisch, es führe zu
einer starken Zurückhaltung, sich gegenüber Dritten über all das
auszutauschen, was privaten Charakter habe.
5.) Angelas Merkels Überzeugungen seinen Gegenbilder, die sich aus ihrer
Erfahrung mit dem real existierenden Sozialismus speisten, aus der
Mangelwirtschaft und der Prägung der Ideologie des Marxismus-Leninismus in der
DDR. Angela Merkel denke in Kategorien individueller Freiheit und Verantwortung.
Daher habe sie ein positives Bild über Amerika. Auch ihr Engagement für die
Beachtung der Menschenrechte in der Außenpolitik - etwa den Empfang des Dalai
Lama im Kanzleramt - kann man in diese Tradition stellen. Auch dies wird in der
aktualisierten Neuauflage deutlich.
6.) Alles, was nach Reglementierung einer Gesellschaft ausschaue, lehne Angela
Merkel ab. "Im Zweifel für die Freiheit" könnte ihr Motto lauten.
Mit ihrem intensiven Individualismus befinde sie sich in
gesellschaftspolitischen Fragen innerhalb ihrer eigenen Partei in der
Minderheit. Dazu trage ein häufig naturwissenschaftlicher Blick bei, der anders
sei als der des historisierenden Gefühlsmenschen Kohl oder des rational
wirkenden Juristen Schäuble.
7.) Merkels Einsatz für politische Ziele entspräche - neben dem jeden
Politiker prägenden Kalkül von Machterwerb und Machterhalt mehr rationaler
Einsicht als tradierten christlich-demokratischen Grundpositionen.. Manchmal
erscheine die CDU-Vorsitzende heimatlos in ihrer eigenen Partei zu sein.
Insbesondere der "national-konservative" Flügel der Union sehe sich
durch Angela Merkel zu wenig repräsentiert.
8.) Die Wahrnehmung von Frauen in einer immer noch männerdominierten Politik
sei - so Langguth - auch heute noch schonungslos und von Vorbehalten geprägt.
Merkel sei stark vom Frauenbild der einstigen DDR geprägt und stehe daher den
westdeutschen Frauenpolitikerinnen eher distanziert gegenüber.
9.) Angela Merkel verkörpere gesamtdeutsche Geschichte wie niemand sonst vor
ihr. Ihre Biographie sei gelebter Ausdruck des Prozesses des Zusammenwchsens der
Deutschen. Ihr Leben sei als Symbol der Selbstbehauptung zwischen Ost und West
zu verstehen. Dass Angela Merkel zur Bundeskanzlerin habe aufsteigen können,
mache die Einheit selbstverständlicher.
10) Angela Merkel könne als erste Frau deutsche Kanzlerin werden. Dies hat sie
ja nun bewiesen.
Es ist interessant, wie genau der Autor die Persönlichkeit von Frau Merkel
analysiert hat - und dies schon vor dem Erscheinen der Zweitauflage. Der letzte
Satz: "Auf ihrem Lebensweg entschied sie sich stets für den hohen Einsatz.
Sie kann alles gewinnen oder alles verlieren. Bisher hat sie alles
gewonnen" hat sich durch ihre Wahl zur Bundeskanzlerin am 22. November 2005
bewahrheitet.
Wie an den Bemerkungen bereits deutlich wurde, beschreibt Langguth nicht nur, er
analysiert auch zutreffend. Dazu benutzt er zahlreiche Quellen, wie das
umfangreiche Quellenverzeichnis im Anhang ausweist. Natürlich kommen ihm
Kenntnisse über die CDU, in deren Bundesvorstand er lange tätig war, zugute.
Fazit
Fazit: keine reine modische Kurzbiographie, sondern ein faszinierendes Portrait
einer wichtigen und interessanten Politikerin, die auch dazu beiträgt, die
jüngere deutsche Geschichte besser zu verstehen. Volle Punktzahl.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 21. Juni 2008 2008-06-21 21:38:40