Böddi, Bodvar Steingrimsson, ist nach 10 Studien-Jahren in Deutschland wieder
nach Saudarkrokur in Island zurückgekehrt. Böddi hält sich für den letzten
Hüter des Humanismus und hat einen konfliktträchtigen Hang zu Extremen. Als
überzeugter Blogger hat Böddi mit seinen rotzfrechen Einträgen bisher beinahe
jedem der 2000 Einwohner seiner Heimatstadt schon auf den Schlips getreten.
Böddis Feindbilder sind Korruption und die Verprollung der isländischen
Gesellschaft, die aus seiner Sicht auf den kulturellen Hauptpfeilern Pferde,
Gesang und Saufen ruht. Obwohl natürlich jeder weiß, dass Böddi der Blogger
ist, kann er seinen Mitteilungsdrang nur schwer beherrschen und muss immer
wieder beleidigende Beiträge löschen. Als Lehrer in Saudarkrokur genügt
Böddi kein einfacher Schulausflug. Nein, es muss eine Höhlenexkursion mit
Übernachtung sein. Dumm, dass Böddi von seinem aus dem Ruder gelaufenen
Ausflug aus den Rettungshubschrauber anfordern muss, um eine verletzte
Schülerin ausfliegen zu lassen. Nach dem Höhlen-Desaster reicht es Böddis
Schuldirektor Einarsson und er setzt den Revoluzzer im T-Shirt vor die Tür.
Böddi versackt nun im Untergeschoss von Rokland, seinem Elternhaus. Rokland
(Sturmland) heißt auch Böddis Blog. Wenn Böddis betagte Mutter nicht ab und
zu mal für Essen und saubere Wäsche sorgen würde, wäre Böddi längst
völlig versifft. Die Organisation des Alltags scheint im Hause Rokland reine
Frauensache zu sein. Als Böddis Mutter für ihn überraschend stirbt, steht der
Kellerbewohner auf dem Schlauch. Böddi soll ausziehen; denn sein versiffter
Keller mitsamt dem Haus Rokland ist inzwischen Ziel der Begierde für einen
Island-Rückkehrer geworden, der das Haus kaufen will.
Zwischendurch war Böddi kurzfristig in unerwiderter Liebe zur
Gelegenheits-Buchhändlerin Lara Maria entbrannt. Als der anspruchsvolle Böddi
entdeckt, dass Lara in ihrem Zimmer die Leih-Videos bis unter die Decke
gestapelt hat, stürzt sein Idol vom Sockel. Für die Zukunft des Humanismus in
Saudarkrokur sieht es also schlecht aus. In komplett romantikfreier Atmosphäre
schwängert Böddi Dagga (Dagbjört), die ähnlich wie Böddi am Ende einer
Reihe von Irrtümern und Wanderjahren wieder bei ihren Eltern untergekrochen
ist. Daggi ist Schulrektor Einarssons Tochter, die einzig Aufmüpfige unter den
vier Kindern der Familie. Der verhinderte Pädagoge Böddi nimmt nun an, wer
ein Kind zeugt, habe damit zugleich eine Frau an Land gezogen, die zukünftig
für ihn kochen und waschen wird. Dagga sieht das etwas differenzierter, doch
nach der Geburt des kleinen Böddi-Sohnes Arni ist Dagga viel zu fertig, um
Grundsatzdiskussionen mit Böddi zu führen.
Der Entscheidung, wie sein tragischer Held Böddi enden wird, entzieht Helgason
sich kurzfristig durch einige groteske Wendungen der Handlung zu Pferd, zu Fuß
und am Abzug einer Knarre. Eigentlich schade; denn bis zur Geburt Arnis hat der
Autor in einer beispiellos rattenscharfen, authentischen Sprache mit Böddi
einen komplexen Charakter geschaffen und die Figur der Dagga mit erstaunlichem
Einfühlungsvermögen in eine stillende Mutter gezeichnet.
Fazit
Bis auf einige Längen zum Schluss ist Rokland eine bissige, ausgezeichnet
übersetzte Gesellschafts-Satire. Frustrationstoleranz der Leser gegenüber
ungewöhnlichen Familiennamen, saufenden Hauptfiguren und Aberglauben aller Art
wird bei der Lektüre Helgasons ebenso vorausgesetzt wie bei der anderer
isländischer Autoren.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. Juni 2008 2008-06-20 11:04:51