Wie heisst es doch so schön am Ende des Buches, lesen sie weiter in Sturm über
roten Wassern. Das kann ich genau so weiterempfehlen. Wir sollten jedoch erst
einmal einen Blick auf dieses Buch werfen, der in der internationalen Presse
ziemlich hochgejubelt wird. Ob nun The Times, Publisher’s Weekly oder Richard
Morgan auf dem Klappentext zitiert werden, lässt mich erst einmal kalt. Viel zu
oft bin ich auf solche Texte hereingefallen, meine Erwartungen zu hoch
geschraubt und zu tief enttäuscht worden. Anders sieht es mit diesem Buch aus.
Die Handlung hat noch nicht richtig begonnen und schon ist man, nicht unbedingt
hin und her gerissen, aber doch schon neugierig genug, um das Buch nicht wieder
aus das Hand zu legen. Das setzt sich so weit fort, um es nicht nur langsamer
und genüsslicher zu lesen, sondern die ganze Nacht durchzulesen, bis es
ausgelesen ist. Ich hatte am nächsten Tag jedenfalls frei und konnte dann im
Bett bleiben. Das Buch ist die richtige Mischung aus einer abenteuerlichen
Erzählung und eine leicht dahin geschriebenen, fast im Plauderton gehaltenen
Geschichte. Scott Lynch nimmt uns auf seiner erzählerischen Reise mit in einen
fremden Stadtstaat, der in der Beschreibung Ähnlichkeiten mit dem italienischen
Venedig aufweist. Also begleiten wir erst einmal den Lehrherrn de Diebe, wie er
mit Lamora an der Hand den Tempel des Perelandro aufsucht. Er will Chain, dem
Priester ohne Augen den Jungen verkaufen, oder aber die Kehle aufschneiden. Da
das Buch hier noch nicht zu Ende ist, hat ihn der Priester gekauft und ihn nach
seinen Bedürfnissen ausgebildet. Das einzige was mich auf den ersten Seiten ein
wenig irritierte war das Jahr. Zuerst sind wir im 77sten Jahr von Sendovani,
dann im Rückblick, zwei Jahre früher, aber im 77sten Jahr von Gandolo. Wie
auch immer. Ich liess mich davon nicht aus dem Lesefluss drängen, nahm es hin
und las weiter. Beschreibungen über den Stadtstaat, die soziale Umgebung und
die Kultur fliessen locker leicht in die Erzählung ein. Spätestens nach den
ersten zwanzig Seiten, gehört man in die Stadt und alles was jetzt noch folgt,
gehört so. Ebenso wie der Hinweis, die Stadt sei vom verschwundenen Volk der
Elderglas erbaut worden, mit seltsamen, phantastischen Örtlichkeiten und
fantasievollen Plätzen und Strassen. Seine Rückblicke, eingeflochten in die
laufende Handlung, bringt Scott Lynch in die Lage, unseren Helden besser zu
verstehen. Eine imaginäre Kindheit, die damit beginnt, dass er sich dem
Lehrherrn der Diebe anschliesst, bis hin zu seiner jetzigen Tätigkeit als eine
Art Robin Hood, machen Locke Lamora zu einem sympathischen Helden. So erstaunt
es uns dann auch nicht, wenn unser Held selbst zum Opfer wird. Camorr ist eine
Stadt, die von machthungrigen Adligen, denen regelmässig das Geld auszugehen
scheint und daher etwas korrupt sind, sowie von einer Gemeinschaft kontrolliert,
die an organisiertes Verbrechen erinnert, Mafia oder Camorra zum Beispiel.
Zwischen Adligen und Verbrechern gibt es ein Stillhalteabkommen. Frei nach dem
Motto, ihr beklaut uns nicht, so werfen wir euch nicht in den Kerker. Aber die
anderen dürft ihr bei Eigentumstransaktionen ungefragt übergehen. Das wäre
alles in Ordnung. Da gibt es allerdings zwei kleine Störenfriede. Einer ist
unser Held in Camorr, Locke Lamora. Mit seiner Gruppe der Gentleman-Ganoven
erleichtert er die eingebildeten Adligen um tragbares Eigentum, vornehmlich
Geld, Gold und Edelsteine. Mit den geschickt eingeführten Betrügereien ziehen
sie die habgierigen Adligen gekonnt über den Tisch. Sie bemühen sich dabei,
die Adligen so hereinzulegen, dass diese gar nicht merken, wie sie sich selbst
übers Ohr hauen. Diese Falle stellen sie Herrn und Frau Salvara. Locke gibt
sich als Vertreter des Handelshauses bel Auster aus, der vor einem drohenden
Krieg sine Branntweinvorräte in Sicherheit bringen will, bevor er sich auf die
Flucht begibt. Wie nicht anders zu erwarten strecken die Opfer ihm das Geld zur
Flucht vor, bleibt doch der Branntwein in ihrer Obhut, so glauben sie. Bei
Geschäften sollte man den Glauben im Tempel lassen, sonst geht alles in die
Hose. Der nächste Störenfried ist ein selbsternannter Emporkömmling, der sich
der Graue König nennt. Innerhalb der Verbrecherorganisation räumt er einen
Gegner nach dem anderen aus dem Weg, um die Macht des Verbrechersyndikats selbst
zu übernehmen. Die Mittel die er einsetzt, sind ihm egal. Selbst Locke ist ihm
ein Dorn im Auge und daher setzt er seinen zauberkundigen Komplizen auf ihn an.
Die kleine Bande von Locke wird bis auf Jean und in ausgelöscht. Nach dem
Motto, wenn ich mich mit einem meiner Feinde verbünde, kann ich den anderen
Feind besiegen, wendet sich Locke an die örtlichen Verbrechensverfolger.
Fazit
Scott Lynch, der in seinem Leben bereits Tellerwäscher, Kellner Web-Designer
und alles mögliche andere war, schafft mit seinem Erstlingswerk eine
phantastische Welt mit sympathischen Helden. Von allen Personen, die in diesem
Buch auftauchen ist Locke Lamora natürlich derjenige, der den Leser als
Identifikation am nächsten steht. Seine lockere und unbekümmerte Art, wie er
das Leben und Leben lassen angeht, erfreut sofort. Es gibt Abenteuer, Kriminelle
und Magie, dafür keine der üblichen Verdächtigen wie Elfen, Zwerge und so
weiter. Lassen wir uns von den folgenden Büchern überraschen.
Vorgeschlagen von erik schreiber
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veröffentlicht am 19. Juni 2008 2008-06-19 12:11:38