"Endstation Venedig" ist Donna Leons zweiter Roman mit ihrem
venezianischen Commissario Guido Brunetti.
Am Anfang schwimmt ein toter Amerikanischer Soldat in einem der verschmutzten
Känäle von Venedig. Seine Ermittlungen führen ihn zum Militärstützpunkt von
Vincenza, woraufhin es dann eine zweite Leiche gibt, ein weiblicher Offizier und
enger Mitarbeiter des ersten Toten. Alles sieht nach Selbstmord aus, aber nicht
für Brunetti. Dann wäre da noch ein Einbruch in einem Palazzo eines sehr
einflußreichen Italieners (Diebstahl dreier wertvoller Bilder) und einen
bekannten Kleinkriminellen, der wohl in die Sache verwickelt zu sein scheint.
Die Ermittlungen führen in immer höhere Regionen und die Motive für die Morde
liegen in der Giftmüllentsorgung. Die Schuldigen lassen sich sowohl in
Regierung, Militär und Mafia suchen - aber auch in Brunettis Familie.
Donna Leon wird viel gelobt, und dementsprechend viel hatte ich von diesem Buch
erhofft. Meine Erwartungen wurden jedoch nur bedingt erfüllt. Die Geschichte
legt mit viel Spannung los und packt den Hörer vom ersten Satz an, aber leider
halten die folgenden Kapitel nicht, was das erste verspricht. Man begleitet
Commissario Brunetti bei seinen Ermittlungsarbeiten durch ganz Venedig, was sich
mitunter recht langatmig gestaltet: Brunetti bestellt ein Wassertaxi, Brunetti
steigt ins Boot und fährt durch den Canale Grande, Brunetti steigt vor einem
wichtigen Gebäude aus, Brunetti spaziert auf die Eingangstür zu, Brunetti
trinkt (so rund zwanzig Mal) einen Kaffee in einer Bar... das macht die
Geschichte anschaulich, aber leider geht die Spannung dabei flöten. Und trotz
der ausführlichen Beschreibungen aller Familienepisoden, Gedanken und
Aktivitäten des Commissario wirkt dieser auf mich nicht annähernd so
sympathisch, charismatisch... wie angepriesen, sondern eher schlechtgelaunt,
pessimistisch und brummelig. Gegen Deborah Crombies Superintendent Kincaid zum
Beispiel oder Kate Ross Hobbydetektiv Julian Kestrel erscheint Brunetti als eine
recht blasse Figur. Umso strahlender wird seine Frau Paola präsentiert: Schick,
fröhlich, charmant, als liebevolle Mutter und Ehefrau und großartige Köchin
ist sie fast schon zu perfekt geraten.
Beim Hören gewann ich mehr und mehr den Eindruck, daß Donna Leon durch die
lebhaften Familienszenen die eher mäßige Krimihandlung kompensieren wollte.
Die Krimigeschichte an sich ist lau, überraschende Wendungen sind äußerst rar
gesät, und Hochspannungsmomente überhaupt nicht zu finden. Und über das Ende
habe ich mich maßlos geärgert! Gerade deutete sich an, daß hinter der
Wasserleiche und weiteren kriminellen Machenschaften mächtigere Drahtzieher
stecken, da war das Stück auch schon zu Ende. Ich dachte "Ja - und jetzt?
Wie geht es mit diesem Fall weiter? Das war doch wohl nicht alles???", aber
Donna Leon bleibt die Antwort schuldig. Diese Moral von der Geschicht´ - die
höheren Tiere sind korrupt, und gegen die großen Fische kann man sowieso
nichts ausrichten - finde ich sehr einseitig und für einen Krimi unpassend.
Daß ich "Endstation Venedig" trotz all dem nicht völlig schlecht
fand, liegt an der lebendigen Darstellung von Bella Venezia und seinen
Einwohnern, sowie an der Hörbuchumsetzung, die sehr gelungen ist. Das Stück
hat eine angenehme Atmosphäre, man hört förmlich die kreischenden
Taubenschwärme durch die Gassen fliegen und das Wasser in den Grotten
plätschern.
Fazit
So bleibt unterm Strich sogar ein eher positiver Eindruck zurück. Dennoch:
Meiner Meinung nach würden Donna Leon eher Familiengeschichten und
Gesellschaftsportraits liegen als Kriminalromane. Von letzteren erwarte ich
Spannung und Gänsehaut, und dies kommt hier deutlich zu kurz...
Um Donna Leon, oder speziell Brunetti, aber eine zweite Chance zu geben, werde
ich ein weiteres Stück mir zur Gemüte führen. Die Auswahl gibt es jedenfalls
und damit die Chance, dieses für mich erste Vergnügen als
"Ausreißer" Leons zu identifizieren.
Vorgeschlagen von Peter Bahner
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veröffentlicht am 26. März 2003 2003-03-26 14:16:31