Dieser Jubiläumsband erscheint zum 100. Todestag Eduard von Hartmanns, der am
5. Juni 1906 im 65. Lebensjahr verstorben ist. Das Buch betont insbesondere
Hartmanns Beziehung zu Friedrich Nietzsche. Die Beziehung beider zueinander war
intensiver und vor allem persönlicher, als beide oft zugaben. Nietzsche
benannte Hartmann selbst in seiner zweiten "Unzeitgemäßen
Betrachtung" als "Affe Hegels". Hartmann hingegen verfolgt eine
publizistische Strategie, in der Max Stirner als originellerer Denker und
Nietzsche als schwächerer Nachbeter erscheint.
Interessant ist, daß die Ausgangsposition "Schopenhauer" beide zu
verschiedenen Wegen führte. Neben einigen Gemeinsamkeiten wie der Auffassung
von der Selbstzersetzung des Christentums, dem Pessimismus der Stärke und dem
Plädoyer für eine Bildungsaristokratie waren es offenbar vielmehr die
Differenzen, die beide Denker trennten. Bereits am 1. Februar 1870 wurde
Hartmanns "Philosophie des Unbewussten" an Nietzsche zurückgeschickt,
und die ablehnende Haltung blieb Hartmann nicht verborgen. Die Ablehnung von
Hartmanns im Hause Wagner hielt über den Tod Richard Wagners hinaus an
Beide integrierten den Willen Schopenhauers in ihr Denken und vermieden die
Verabsolutierung des Logos, doch der Weltlogos spielt in Hartmanns Pantheismus
immer noch eine größere Rolle. Dies zeigt insbesondere der bereits besprochene
erste Band des Wolfschen Hartmann-Doppelpackes. Der vorliegende Band II enthält
drei Originalbeiträge von Hartmann: Mein Entwicklungsgang (1874) (19ff.),
Nietzsches neue Moral (1891) (43ff.) und Stirners Verherrlichung des Egoismus
(1898) (69ff.). In den Erläuterungen zum philosophischen Briefwechsel zwischen
Eduard von Hartmann und Arthur Drews beleuchtet der Herausgeber den
Bekanntenkreis Hartmanns in knappen Porträts seines wichtigsten Schülers und
Mitstreiters Arthur Drews, des Berner Philosophieprofessors Ludwig Stein sowie
des jungen Rudolf Steiners. Dieser schätzte Hartmanns Schriften, lernte ihn
persönlich kennen und löste einst auch den Nietzsche-Skandal aus, indem er die
Fälschungen der Schwester ans Licht brachte. Vor allem betont der Briefwechsel
hier Steiners inneres Versagen gegenüber kritischen Einwänden seitens
Hartmann, der schwere Einwände bekanntlich gern anbrachte.
Wichtig ist der Beitrag zum Kultur- und Religionsphilosophen Leopold Ziegler.
Ziegler, Integralist und späterer intensiver Freund des Konservativen
Revolutionärs Edgar Julius Jung, riet Jung ("Die Herrschaft der
Minderwertigen" - 1928) später von einem Attentat auf Hitler aus
Sicherheitsgründen ab, feierte aber in seinem genialen Frühwerk "Das
Wesen der Kultur" Hartmanns Metaphysik als Menschheitsmetaphysik und
betonte, daß das Tragische ein Weltgesetz ist, welches als kosmotragisches
Gesetz das religiöse Bewußtsein steigert und eine intensive Erfassung des
Erlösungsproblems mit sich bringt.
Der Band wird abgerundet durch den repräsentativen Lexikonartikel von Hans
Eisler und eine chronologische Übersicht der Schriften Hartmanns, die seine
Witwe Alma von Hartmann in den Kant-Studien veröffentlichte. Der Herausgeber
läßt in seinem Buch Hartmann und Nietzsche Gerechtigkeit widerfahren und zeigt
zudem Querverbindungen zwischen den Philosophen jener Zeit auf, die eine wahre
Fundgrube für Interessierte sind. Diese Querverbindungen reichen bis in die
50’er Jahre des 20. Jahrhunderts und geben eine erstaunlichen Einblick in
Motive und politisch-philosophische Standpunkte der entscheidenden deutschen
Geister. Es werden nämlich auch sehr persönliche Dinge angesprochen, so das
boshafte Auseinanderfallen von Drews mit von Hartmanns Gattin oder die ersten
Unstimmigkeiten mit Drews einzigem Schüler, Leopold Ziegler, der sich ja 1910
von Hartmann lossagen wird. Aus der anhängenden Bibliographie geht die
ungeheure Breite der behandelten Gegenstände hervor und daß Hartmanns Meinung
sehr gefragt war, auch im Ausland.
Fazit
Jean - Claude Wolf hat mit beiden Büchern merklich und auf Dauer bestätigt,
daß Hartmann als vergessener Philosoph einer neuerlichen Rezeption harrt, die
ihn bekannter macht und zu der wir hier bereits die ersten zwei Bücher
vorliegen haben.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 12. Mai 2008 2008-05-12 14:05:07