Über Josef Stalin liegen zahlreiche Biographien vor, unter anderem die von
Trotzki und als neueste Publikation das zweibändige Werk von Löwe. Absicht des
Autors ist es, keine Kurzbiographie Stalins zu schreiben, sondern
herauszuarbeiten, dass Stalin eine doppelte Fälschung begangen habe: an der
eigenen Lebensgeschichte und der Revolutionsgeschichte Rußlands. Was hier
vorliegt ist eine hervorragende Einführung in die Ideologie und das
"Denken" des Stalinismus. So wichtig dies ist, so kommen in dieser
Kurzbiographie (sie enthält lediglich 156 Seiten und wurde 1975 erstmals
geschrieben; der Autor starb 1996) persönliche Aspekte und Facetten zu kurz.
Wie gelang es diesem von vielen unterschätzten, ja "mittelmäßigen"
Politiker, an die Macht zu kommen? Rubels - völlig unausreichende Antwort: er
sei von der Tatsache ausgegangen, dass "die große Mehrheit der
sowjetischen Volksmassen bereit war, sich zu jedem von der boschewistischen
Herrschaftselite beschlossenen Aufbauexperiment herzugeben" reicht nicht
aus. An anderer Stelle bilanziert Rubel: "Zweifellos gehört auch Stalin zu
jener Kategorie von Herrschern, in die Canetti den "paranoischen typus des
Machthabers" einreiht. Dennoch ist im gegebenen Fall diese Aufklärung
ungenügend: bei Stalins Aufstieg zur Alleinmacht ist der sozialhistorische
Hintergrund ebenso wichtig wie seine psychopathischen Triebregungen, die nur
dank der spezifischen Zeit- und Milieubedeingungen zu jenem Phänomen führen
konnten, das man allgemein als "Stalinismus" bezeichnet." schön
und gut, aber genau diese persönlichen Aspekte kommen in dieser Biographie
eindeutig zu kurz. Das Phänomen Stalin in erster Linie aufgrund seiner
Schriften darzustellen, reicht nicht aus. Für mich nach wie vor die
psychologisch interessanteste Stalin-Biographie ist die von Trotzki. Wo kommt es
schon in der Weltgeschichte vor, dass der Ermordete eine Biographie über seinen
Mörder schreibt? Neue Forschungsstände berücksichtigen die Stalin-Biographien
von
Robert Conquest aus
dem Jahr 1991 und die Ausführungen
Dimitri Wolkogonows, insbesondere
sein Stalin-Portrait in dem Buch: "Die sieben Führer", welches im
Jahre 2001 erschienen ist und neueste sowjetische Quellen auswertet. Für mich
unübertroffen das Stalin-Kurzportrait von Michael S. Voslensky:
"Sterbliche Götter" (Taschenbuch-Ausgabe 1991), welches jedoch zur
Zeit vergriffen ist.
Fazit
Eine umfassende Stalin-Biographie, die allen Aspekten der Forschung gerecht wird
und die Wechselwirkung zwischen der biographierten historischen Persönlichkeit
in seiner Zeit gerecht wird, steht meines Erachtens noch aus.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 14. März 2003 2003-03-14 08:56:36