Das pockennarbige Gesicht des Oberst der Chinesischen Volksarmee würde niemand
je vergessen, der es einmal gesehen hat. Der Mann war nicht nur durch die Folgen
einer Pockenerkrankung gezeichnet, sondern zusätzlich durch die auffällige
Operationsnarbe seiner Lippenspalte. Gezwungen von ihrem Vorgesetzten quälen
auf der Baustelle für das Neue Nationalstadion in Shanghai ein paar Offiziere
drei junge Frauen mit einem Rasiermesser zu Tode, filmen sich dabei gegenseitig
und betonieren die Opfer anschließend ein. Lan Li, eine vierte Frau, ist den
Männern schwer verletzt entkommen und wird nun in einer Shanghaier Klinik
wieder zusammengeflickt. Als Ermittler Di an den Tatort kommt, kann er nur
fassungslos stammeln: "Niemand darf davon erfahren". Die Ermittlungen
gegen den Pockennarbigen enden, bevor sie überhaupt begonnen haben: Ermittler
Di und sein Assistent werden ermordet, ihre Leichen auf makabre Art in einem
Lagerhaus zur Schau gestellt.
An eine Ermittlung gegen hohe Armee-Offiziere aus prominenten Familien traut
sich noch nicht mal der Genosse Polizei-Chef Zoul heran. Doch Kommissar Sun
Piao, im Zuge einer Säuberungsaktion zu einer perfiden Form der Umerziehung in
der Psychiatrie verurteilt, verdankt den Kerlen vermutlich sein Leben. Suns
Noch-Ehefrau, Geliebte des verstorbenen Ministers für Öffentliche Sicherheit,
lässt ihre Beziehungen spielen und Sun Piao wieder nach Shanghai zurück holen.
Der degradierte Sun soll sich die Hände schmutzig machen und inoffiziell gegen
die Mörder seiner ehemaligen Kollegen ermitteln. Suns Währung für seinen
Auftrag: kistenweise Whiskey, mit dem er seine Informanten bezahlen wird. Sun
bekommt Aussagen gegen Whiskey, Fotos gegen Whiskey, einen unzensierten
Internetzugang gegen Whiskey. Unterstützt von einem Assistenten "dem
Riesen" und einem Hacker, genannt "das Genie" macht Sun sich an
die Arbeit. Sun und sein unerschrockenes Team finden heraus, dass es zwischen
den ermordeten Frauen eine verblüffende Gemeinsamkeit gibt und eine Spur direkt
in ein Forschungszentrum nach Shuihuzhuan führt. Dort sollen gentechnisch
veränderte Reis-Sorten entwickelt werden. Als Leser hofft man, dass Sun Piao
den Fall nicht lösen wird; denn wie sonst sollte der gerade rehabilitierte
Kommissar seine Ermittlung überleben, wenn der Verdächtige mächtig genug
ist, selbst den Polizei-Chef herunterzuputzen?
In Oakes zweitem Shanghai-Krimi fließt wie in Drachenaugen (2006) das Blut
wieder in Strömen. Der Autor, der offensichtlich in den 90ern des vorigen
Jahrhunderts in China gelebt hat, entfaltet seine makabre Krimi-Handlung der
Neuzeit vor der Kulisse eines vergangenen, geordneten Chinas. In kurzen
Info-Kapiteln zur Lebenssituation in China schildert Oakes das System
Arbeitseinheit, die Aufgabe von Nachbarschaftskomitees, die Situation
chinesischer Frauen - aus seiner Erinnerung an China unter Deng Xiaoping. In
Oakes chinesischem Alltag gibt es Spitzendeckchen und Bezugsscheine wie in den
80ern; doch der Stadionbau für die Olympischen Spiele, die Transrapid-Strecke
und die unkonventionellen Methoden des "Genies" bilden einen herben
Kontrast zum leicht plüschigen Lokalkolorit.
Fazit
Oakes Exkurse in Sun Piaos "Behandlung" in der Psychiatrie und die
geschilderte Verstrickung der Armee in dubiose bis tödliche Geschäfte machen
"Goldener Reis" zu einem fesselnden, sozialkritischen Krimi, der mit
schnellen Schnitten und kurzen Sätzen eine ambivalente Spannung vermittelt.
Versatzstücke aus zwei Jahrzehnten kombiniert der Autor zu einen sehr
authentisch wirkenden chinesischen Alltag.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 25. März 2008 2008-03-25 18:40:55