"Wussten Sie, dass die chinesische Stadt Chongqing mit 34 Millionen
Einwohnern der größte (funktionierende) städtische Ballungsraum der Welt
ist?" fragt Kurt Seinitz in der Einleitung zur überarbeiteten Neuauflage
seines Buches. "Wussten Sie, dass China Deutschland als zweitgrößte
Exportnation der Welt überholt hat und inzwischen der größte Umweltsünder
der Welt ist?" Seinitz Auswahl aktueller Daten (Stand 2006 und 2007) zur
Lebenssituation in China zeigt, welche Schwerpunkte er in seinem China-Portrait
setzen wird. Er hält sich nicht mit dem Lamentieren über Markenpiraterie und
Billigwaren auf, sondern portraitiert eine Wirtschaftsmacht, die 20% der
Weltbevölkerung stellt und 20% aller Währungsreserven besitzt. Seinitz lässt
sich nicht von Einkaufs-Malls und Prachtbauten blenden, sondern zeichnet ein
ausgewogenes Bild der Lebens- und Arbeitsbedingungen in einem Staat, in dem
Gewinne in privaten Taschen landen, während Umweltschäden und
Gesundheitsrisiken als persönliche Probleme Einzelner betrachtet werden.
Seinitz berichtet vom Einfluss des wachsenden chinesischen Mittelstands, der
mittlerweile 15 Millionen Menschen umfasst. Zwei von fünf Konsumenten werden
künftig Chinesen oder Inder sein. Der Autor verspricht sich von der Nachfrage
nach ausländischen Konsumgütern durch diese kaufkräftige Bevölkerungsgruppe
eine Stärkung der europäischen Wirtschaft und hofft, dass eine gut
verdienende, gebildete Mittelschicht zukünftig Rechtsstaatlichkeit und
persönliche Freiheiten für die chinesischen Bürger fordern wird.
Seinitz zeigt China als zukünftigen IT-Marktführer und stellt erfolgreiche
chinesische Unternehmen aus den Bereichen Umwelt, Klimatechnik, Textilien,
E-Commerce und aus der Biotechnologie vor. Der Autor verschweigt nicht, dass das
chinesische Wirtschaftswachstum mit dem Preis unkontrollierter
Umweltzerstörung, mit Landraub und staatlicher Willkür erkauft wird. Dieser
ökologische und soziale Sprengstoff ließe sich langfristig nicht allein durch
Schauprozesse und eine verbesserte Versorgung der Bevölkerung entschärfen,
fürchtet Seinitz. Der Redakteur für Aussenpolitk der österreichischen Kronen
Zeitung findet klare Worte zu Kader-Kapitalismus und politisch-ökonomischen
Mafia-Strukturen. Seinitz berichtet, dass von 3000 chinesischen
Dollarmillionären 2900 Verwandte von Parteifunktionären sind. Wenn China seine
ökologischen Probleme nicht gegen die Interessen und den Widerstand lokaler
Polit-Kader lösen könne, müsse es sich mit weltweiten Berichten über
Ausschreitungen unzufriedener Bürger abfinden, resümiert Seinitz. Kurz
berichtet er aus Taiwan, aus Tibet und aus Chinas unruhiger Provinz Xinjiang.
Die sehr kurzen Portraits von Singapur und Bangalore berühren das Thema China
nur am Rande. Sibirien stellt der Autor als Einwanderungsland für
geschäftstüchtige und fleißige Chinesen vor und vermittelt eine Vorstellung
davon, was ehrgeizige Auswanderer zukünftig auf die Beine stellen können.
Klare Worte lesen wir zum wirtschaftlichen Bedeutungsverlust Europas, seiner
starren Bürokratie und über zukünftige Globalisierungs-Verlierer. Chinas
weltpolitische Verantwortung und seine in Europa bisher kaum wahrgenommenen
Aktivitäten in Afrika thematisiert Seinitz nicht. Der Autor untermauert seine
Thesen mit zahlreichen Zitaten von Zeitzeugen und China-Experten; gern zitiert
er Prof. Eberhard Sandschneider, den Direktor des Forschungsinstitutes der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und den österreichischen
China-Experten Gerd Kaminski. Den Blick seiner Leser richtet Kurt Seinitz stets
darauf, dass unser China-Bild und unsere Erwartungen an die junge
Wirtschaftsmacht durch die europäische Form des demokratischen, sozialen
Staates beeinflusst sind, zu dem China sich ganz sicher nicht entwickeln wird.
Fazit
Kurt Seinitz beschreibt China im Jahr der Olympischen Spiele 2008 knapp,
ausgewogen und leicht lesbar. Seine Texte tragen die Handschrift des
Journalisten der österreichischen Kronen Zeitung. Der Autor knüpft an
populäre Themen an, die die China-Berichterstattung der letzten Jahre
beherrschten, und belegt seine Aussagen mit aktuellen Zahlen und griffigen
Beispielen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 24. März 2008 2008-03-24 10:11:33