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Sebastian Haffner: Germany: Jekyll & Hyde: 1939 - Deutschland von innen betrachtet

Germany: Jekyll & Hyde: 1939 - Deutschland von innen betrachtet

von Sebastian Haffner
Verlag: Edition Büchergilde [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-940111-45-6

Preis: 15,17 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. Dezember 2024]
Ich habe dieses Buch auf der Leipziger Buchmesse 2008 kennenlernen dürfen. Der Herausgeber und Haffner-Biograph Uwe Soukup stellte es vor. Er hatte es ursprünglich selber in seinem eigenen Verlag - mit Erlaubnis Haffners - publiziert. Die jetzt vorliegende Ausgabe - nach der englischen Originalausgabe von 1940 - stellt allerdings erstmals eine ungekürzte Fassung dar. Sie enthält nämlich - im Gegensatz zur Erstausgabe das Kapitel IX: "Deutschlands Talente. Deutschlands Mission." Dieses Kapitel - erstmals in der FAZ im September 2001 gedruckt - enthielt die alte Ausgabe nicht.

Der englische Verleger betont in seinem Vorwort, dass das Buch im April 1940 fertiggestellt wurde und vor der deutschen Besetzung der Niederlande im Frühjahr 1940 in Druck gegeben wurde.

An dem Buch fasziniert - und daher vergebe ich 5 Sterne - die visionäre Gabe Sebastian Haffner. Es ist sein erstes Buch. Uwe Soukup schreibt in seinem Nachwort dazu folgendes: "Hier ist keine nachträgliche Weisheit zu Papier gebracht worden, keine rückwärtsgewandte Prophetie, warum alles so und nicht anders kommen konnte. Haffner greift mit diesem Buch - mit vollem Risiko, in großer Not - in die politische Tagesauseinandersetzungen ein. So finden sich sowohl beachtete als auch unbeachtete Argumente, angenommene und verworfene Vorschläge, eingetroffene und ausgebliebene Vorhersagen."

Beispielhaft möchte ich dies am ersten Kapitel, der Analyse von Hitlers Persönlichkeit und den Bedingungnen seines Aufstieges an die Macht verdeutlichen. Haffner analysiert schon damals das Versagen Hitlers, der mit seinen künstlerischen Ambitionen scheiterte und dadurch vom Bürgertum ins Proletariat herabsank - doch auch dort verstoßen wurde und zum berusmäßigen Spitzel und Verräter herabsank; das Leben und die Gesellschaft hätten Hitler immer herabgesetzt: "Diese dreimalige Verurteilung durch die Gesellschaft ist ein vernichtender Beweis dafür, was dieser Mann in Wirklichkeit wert ist. Denn es kommt viel seltener vor, als Romanschriftsteller zugeben, dass edle, empfindsame und schöne Charaktere durch das Leben ruiniert werden. Fast immer sind es die bösen, verdorbenen, hässlichen, unmöglichen Charaktere, die moralischen Krüppel, die Missratenen, die das Leben abstößt." Hitler sei lediglich an seinem Ego interessiert und habe kein politisches Programm vertreten (letztere These modifziert Haffner in seinen "Anmerkungen zu Hitler", in denen er - in Anlehnung an die Publikationen des Historikers Jäckel durchaus eine "Weltanschauung" bei Hitler und somit ein "Programm" bei diesem konzediert). Er besäße - als jemand, der keine Bindungen außer sein Ego besitze, genau den Mut und die Feigheit für einen Selbstmord aus Verzweiflung. Außerdem liebe er Hasardspiele mit hohen Einsätzen. Hitler sei der potentielle Selbstmörder par excellence.

Dies schreibt Haffner bereits 1940! Und er zeigt - wie in seinen späteren Publikationen auch - dass zwar nicht alle Deutschen Nationalsozialisten gewesen sind, es aber - wie Hitler-Biograph Kershaw viel später verdeutlichen sollte - es viele "Mitläufer" gegeben hat. Das Bild der "unterdrückten Deutschen" sei daher ebenso falsch wie das Bild der Deutschen, die immer Nazis gewesen seien. Beide Bilder seien genauso plakativ und simpel wie das der Ankläger und Verteidiger. Die Verteidiger Deutschlands zitierten Goethe und Humboldt, die Ankläger dagegen Fichte, Hegel und Nietsche. Die Ersteren verwiesen auf die Märtyrer in den Konzentrationslagern, die Letzteren auf die jubeldnen Massen bei Hitlers öffentlichen Auftritten. Beide Urteile - so Haffner bereits damals! - stünden auf schwankenem Boden und seien nur unzureichend auf Fakten gegründet. "Wer engagiert, sorgfältig und aus nächster Nähe die Dinge untersucht, dem wird sich ein außerordentlich kompliziertes Bild darbieten, das beim besten Willen nicht schematisch vereinfacht werden kann, dafür aber den Vorzug hat, wahr zu sein."

So ist es. Wie wichtig dieses Buch für die Einschätzung des Phänomens Hitler war, zeigt sich daran, dass - so hat es Uwe Soukup erklärt - der damalige neue britische Premierminister Churchill (Haffner hat ja eine durchaus kritische und sehr gute Biographie über diesen Politiker verfasst) das vorliegende Buch dem englischen Kabinett als "Pflichtlektüre" empfahl.

So gilt das, was für viele Publikationen Haffners generell zu sagen ist: sie sind bildhaft und eindrucksvoll in der Sprache und gehören bis heute - schon wegen ihrer Authentizität - zum Besten, was über die Deutschen und das Phänomen Hitler geschrieben worden ist. Dass es natürlich - etwa bei der Rolle der deutschen Emigranten - auch Voraussagen in dem Buch gibt, die nicht eingetroffen sind, kann nicht verwundern, es sei denn, man verwechselte historische und politische Analysen mit Prophetie.
Fazit
Ich finde es sehr gut, dass nun endlich - nach 48 Jahren! - dieses wichtige Buch erstmals ungekürzt wieder dem deutschen Leser zugänglich ist. Ein hervorragendes Buch!
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 17. März 2008

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