Ich habe dieses Buch auf der Leipziger Buchmesse 2008 kennenlernen dürfen. Der
Herausgeber und Haffner-Biograph Uwe Soukup stellte es vor. Er hatte es
ursprünglich selber in seinem eigenen Verlag - mit Erlaubnis Haffners -
publiziert. Die jetzt vorliegende Ausgabe - nach der englischen Originalausgabe
von 1940 - stellt allerdings erstmals eine ungekürzte Fassung dar. Sie enthält
nämlich - im Gegensatz zur Erstausgabe das Kapitel IX: "Deutschlands
Talente. Deutschlands Mission." Dieses Kapitel - erstmals in der FAZ im
September 2001 gedruckt - enthielt die alte Ausgabe nicht.
Der englische Verleger betont in seinem Vorwort, dass das Buch im April 1940
fertiggestellt wurde und vor der deutschen Besetzung der Niederlande im
Frühjahr 1940 in Druck gegeben wurde.
An dem Buch fasziniert - und daher vergebe ich 5 Sterne - die visionäre Gabe
Sebastian Haffner. Es ist sein erstes Buch. Uwe Soukup schreibt in seinem
Nachwort dazu folgendes: "Hier ist keine nachträgliche Weisheit zu Papier
gebracht worden, keine rückwärtsgewandte Prophetie, warum alles so und nicht
anders kommen konnte. Haffner greift mit diesem Buch - mit vollem Risiko, in
großer Not - in die politische Tagesauseinandersetzungen ein. So finden sich
sowohl beachtete als auch unbeachtete Argumente, angenommene und verworfene
Vorschläge, eingetroffene und ausgebliebene Vorhersagen."
Beispielhaft möchte ich dies am ersten Kapitel, der Analyse von Hitlers
Persönlichkeit und den Bedingungnen seines Aufstieges an die Macht
verdeutlichen. Haffner analysiert schon damals das Versagen Hitlers, der mit
seinen künstlerischen Ambitionen scheiterte und dadurch vom Bürgertum ins
Proletariat herabsank - doch auch dort verstoßen wurde und zum berusmäßigen
Spitzel und Verräter herabsank; das Leben und die Gesellschaft hätten Hitler
immer herabgesetzt: "Diese dreimalige Verurteilung durch die Gesellschaft
ist ein vernichtender Beweis dafür, was dieser Mann in Wirklichkeit wert ist.
Denn es kommt viel seltener vor, als Romanschriftsteller zugeben, dass edle,
empfindsame und schöne Charaktere durch das Leben ruiniert werden. Fast immer
sind es die bösen, verdorbenen, hässlichen, unmöglichen Charaktere, die
moralischen Krüppel, die Missratenen, die das Leben abstößt." Hitler sei
lediglich an seinem Ego interessiert und habe kein politisches Programm
vertreten (letztere These modifziert Haffner in seinen "Anmerkungen zu
Hitler", in denen er - in Anlehnung an die Publikationen des Historikers
Jäckel durchaus eine "Weltanschauung" bei Hitler und somit ein
"Programm" bei diesem konzediert). Er besäße - als jemand, der keine
Bindungen außer sein Ego besitze, genau den Mut und die Feigheit für einen
Selbstmord aus Verzweiflung. Außerdem liebe er Hasardspiele mit hohen
Einsätzen. Hitler sei der potentielle Selbstmörder par excellence.
Dies schreibt Haffner bereits 1940! Und er zeigt - wie in seinen späteren
Publikationen auch - dass zwar nicht alle Deutschen Nationalsozialisten gewesen
sind, es aber - wie Hitler-Biograph Kershaw viel später verdeutlichen sollte -
es viele "Mitläufer" gegeben hat. Das Bild der "unterdrückten
Deutschen" sei daher ebenso falsch wie das Bild der Deutschen, die immer
Nazis gewesen seien. Beide Bilder seien genauso plakativ und simpel wie das der
Ankläger und Verteidiger. Die Verteidiger Deutschlands zitierten Goethe und
Humboldt, die Ankläger dagegen Fichte, Hegel und Nietsche. Die Ersteren
verwiesen auf die Märtyrer in den Konzentrationslagern, die Letzteren auf die
jubeldnen Massen bei Hitlers öffentlichen Auftritten. Beide Urteile - so
Haffner bereits damals! - stünden auf schwankenem Boden und seien nur
unzureichend auf Fakten gegründet. "Wer engagiert, sorgfältig und aus
nächster Nähe die Dinge untersucht, dem wird sich ein außerordentlich
kompliziertes Bild darbieten, das beim besten Willen nicht schematisch
vereinfacht werden kann, dafür aber den Vorzug hat, wahr zu sein."
So ist es. Wie wichtig dieses Buch für die Einschätzung des Phänomens Hitler
war, zeigt sich daran, dass - so hat es Uwe Soukup erklärt - der damalige neue
britische Premierminister Churchill (Haffner hat ja eine durchaus kritische und
sehr gute Biographie über diesen Politiker verfasst) das vorliegende Buch dem
englischen Kabinett als "Pflichtlektüre" empfahl.
So gilt das, was für viele Publikationen Haffners generell zu sagen ist: sie
sind bildhaft und eindrucksvoll in der Sprache und gehören bis heute - schon
wegen ihrer Authentizität - zum Besten, was über die Deutschen und das
Phänomen Hitler geschrieben worden ist. Dass es natürlich - etwa bei der Rolle
der deutschen Emigranten - auch Voraussagen in dem Buch gibt, die nicht
eingetroffen sind, kann nicht verwundern, es sei denn, man verwechselte
historische und politische Analysen mit Prophetie.
Fazit
Ich finde es sehr gut, dass nun endlich - nach 48 Jahren! - dieses wichtige Buch
erstmals ungekürzt wieder dem deutschen Leser zugänglich ist. Ein
hervorragendes Buch!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 17. März 2008 2008-03-17 10:48:21