In der Allerheiligen-Woche stieg der Wasserstand in der Po-Ebene und Frost lag
in der Luft. Die Dorfbewohner hatten Sandsäcke gefüllt, ihre Häuser
verbarrikadiert, und fast alle hatten das Dorf verlassen. Nur ein paar alte
Männer, die den Fluss wie ihre Westentaschen kannten, blieben zurück. Dass das
Boot des alten Anteo Tonna auf dem Fluss vorbei treibt, beschäftigt die Alten
nur kurzfristig. Anteo muss an Bord sein; denn würde ein führerloses Boot
unter mehreren Brücken hindurch auf Kurs bleiben? Am nächsten Tag wird Decimo,
der jüngere Bruder Anteos tot aufgefunden. Die Brüder gehörten vor 60 Jahren
gemeinsam den Schwarzhemden, den Faschisten an, zu einer Zeit als Kommunisten
und Faschisten sich gegenseitig die Häuser über dem Kopf anzündeten. Decimos
Tod und die Tatsache, dass Anteo noch immer nicht aufgetaucht ist, müssen ihre
Ursache in diesen alten Geschichten haben, findet Kommissar Soneri. Er ermittelt
in einer abgelegenen Gegend, in die niemand zufällig kommt und deren Bewohner
seit jeher unbeobachtet ihren Geschäften nachgegangen sind. Doch obwohl die
Anwohner des Flusses nicht gerade auf den Ermittler gewartet haben, kann Soneri
alte und neue Geschichten zu einer schlüssigen Erklärung verknüpfen.
Fazit
Der Nebelfluss ist ein Kriminalroman, in dem die Auflösung des Falles beinahe
nebensächlich bleibt. Varesi fesselt seine Leser mit der meisterhaften
Beschreibung einer nebelumwaberten unübersehbaren Wasserfläche und ihrer
Anwohner. Stilistisch elegant stellt der Autor wortkarge Einzelgänger dar, die
Jahrzehnte nach dem Ende von Mussolinis Faschismus noch nicht mit traumatischen
Erlebnissen jener Zeit abgeschlossen haben.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 08. Februar 2008 2008-02-08 10:40:06