Daß Policy-Forschung bedeutet, die Untersuchung der Inhalte politischer
Regelungstätigkeit in den Einzelbereichen der Politik, den Politikfeldern
(Policies), vorzunehmen, braucht man einem heutigen Politikwissenschaftler nicht
zu erzählen. Trotzdem hat sich in diesem Forschungsbereich viel getan, was dazu
führen kann, daß der ausgebildete Politologe in diesem Bereich nicht immer auf
der Höhe der Zeit ist. Die Policy-Forschung hat sich durch theoriegeleitete
Politikfeldanalysen und durch die vergleichende Staatstätigkeitsforschung
bedeutend weiterentwickelt und ein eigenständiges Set an Methoden und
Forschungsansätzen hervorgebracht.
Mit zunehmender Entwicklung wird sich deshalb innerhalb der Policy-Dimension,
welche die inhaltlich materiellen Aspekte der Politik erforscht und die
Gesamtheit der Bestrebungen, gesellschaftliche Probleme zu bearbeiten,
beobachtet, ein gewisser Binnenpluralismus des Forschungszweiges ausprägen. Das
heißt, er erforscht nicht nur, wie ursprünglich, wie gute Politik zu machen
sei, im Sinne von effektiven Lösungen für gesellschaftliche Probleme, sondern
zunehmend ist er auch besonderen Herausforderungen ausgesetzt: In der
Politikfeldanalyse stehen sich nunmehr quantitative und qualitative
Forschungsansätze sowie erklärende und verstehende Wissenschaftskonzeptionen
diametral gegenüber.
Damit sind wir beim Thema des vorliegenden Buches. Dieser erwähnte Methoden-Mix
wurde nur selten praktiziert, wird aber notwendiger. Es bestätigt sich damit
einmal mehr, daß die Bewertung der Policy-Dimension und ihre öffentliche
Relevanz systemimmanenten Konjunkturen unterliegt und neue Notwendigkeiten
auftauchen. Weniger Berücksichtigung fand bisher der Tatbestand einer
transnationalen bzw. sektoralen Verflechtung von Politikfeldern. Dieses Buch
blickt deshalb ausdrücklich in die Zukunft des politologischen
Forschungszweiges. Es stellt heraus, woran sich seine wissenschaftlichen Ziele
orientieren sollten, wenn er einer pseudowissenschaftlichen Wissens- und damit
Papiermaximierung entgehen will. Die Beiträge des vorliegenden Bandes versuchen
für diese Herausforderungen und Fragestellungen Antworten zu formulieren, und
sie tun dies recht tiefgründig und vollständig, manchmal gar etwas zu
verklausuliert. Man sollte deshalb dem Leser des Buches unterstellen, daß er
bereits thematisch bewandert ist, wie sonst sollte er die Policy-Dimension in
die Zukunft hinein weiter reflektieren können, wenn er nicht um die bisherige
Entwicklung weiß.
Die Policy-Analyse diskutiert verstärkt Ideen und Wissen als Bestimmungsgröße
der Politikentwicklung - Ideen üben Einfluß aus. Organisationen und
Institutionen bilden gemeinsame Überzeugungskoalitionen. Es geht also um
metaphysisch-kognitive Strukturen, welche der politologische Empiriker zunächst
geringschätzen würde. Sprich: Es geht um Ideen, Wissen, Deutungsmuster und
Interpretationsrahmen. Das Input-Output-Schema spielt dabei die bedeutende
Rolle: Forderungen einzelner Bürgergruppen und Verbände bilden den Input des
Systems. Dieses erzeugt daraus einen legislativen Prozeß der Entscheidungen
(Gesetze), die als Output der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.
Theoretisch entsteht ein Politikzyklus - beginnend mit der Problemdefinition,
der Politikformulierung, der Implementation und endend mit der Evaluation oder
Neuformulierung von Inhalten. Man schaue sich die Internet-Seiten des Deutschen
Bundestages an und lese die Drucksachen, Anträge, Vorschläge,
parlamentarischen Prüfungen, Beschlussempfehlungen und
Beschlussempfehlungsablehnungen um zu erkennen, daß es einer
komplexitätsreduzierenden Wissenschaft in diesem bereich bedarf.
Die Autoren des Buches, u. a. Dr. Frank Janning, Wissenschaftlicher Assistent am
Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universität Konstanz, und
Dr. Katrin Toens, Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Politische
Wissenschaft der Universität Hamburg, gehen über den theoretisch gewohnten
Rahmen eben dieser Wissenschaft hinaus. Im Zuge einer zukünftigen Betrachtung
der Policy-Dimension stellt das Buch vorrangig die dringender werdende Lösung
der Aufgabe einer typisierenden und vergleichenden Betrachtungsweise hervor,
betont die transnationale Verflechtung und die Interdependenzen einzelner
Politikfelder. Es geschieht damit genau jenes, was längst überfällig ist.
Leider mangelt es an einem Stichwortverzeichnis, in dem zentrale Begriffe zu
finden sind. So muß sich der Leser durch die einzelnen Beiträge arbeiten und
gibt sich selbst der Gefahr preis, sich in der Komplexität des Buches ebenso zu
verstricken. Dennoch kann dieses Werk schon als thematisches Nachschlagewerk
fungieren, dem in Zukunft im entsprechenden Bereich der Status eines
Standardwerkes zufallen mag.
Zwar wird die Policy-Forschung in Deutschland im Gegensatz zu den USA
stiefmütterlich behandelt, sie hat aber in der wissenschaftlichen
Politikberatung ihren Posten erringen können - als zentrale Subdisziplin der
Politikwissenschaft. In Anbetracht dessen, daß politische Entscheider und
Berater tendenziell in Zukunft zunehmend Policy-Lösungen als Option diskutieren
werden, die von der herkömmlichen Politikfeldanalyse und
Implementationsforschung sonst als kontextabhängig oder folgenlos eingestuft
wurden, ist das vorliegende Buch ein Muß. Hervorzuheben ist eine enthaltene
wichtige Erkenntnis im ersten Hauptteil des Bandes über
"Theorieentwicklung und Forschungsperspektiven" (23ff.), wonach
Politik eben nicht nur Probleme löst, sondern auch erzeugen kann. Eine ehrliche
Aussage!
Fazit
Wurde sie in der Policy-Forschung bisher verdrängt, so trägt dieses Buch doch
den neuen Herausforderungen der aktuellen policy-analytischen Debatte Rechnung
und ist vor allem im Hinblick auf die Europäisierung der Politikfelder -
Stichwort vergleichende Staatstätigkeitsforschung - sehr begrüßenswert.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 26. Januar 2008 2008-01-26 18:14:22