Die "Kinder vom Arbat" sind das Buch, welches mich von allen
politischen Büchern im vergangenen 20. Jahrhundert am meisten beeindruckt hat.
Neben
Granins
"Jahrhundert der Angst" (ebenfalls im Aufbau-Verlag erschienen) ist
dies "die" Abrechnung mit dem Stalinismus der Vergangenheit. Aus
Anlass von Stalins 50. Todestag, am 5. März 1953, stelle ich es hier vor.
1933: Diktator Stalin will seine diktatorische Alleinherrschaft ausbauen und
setzt ein kompliziertes Intrigenspiel in Gang, um seine Rivalen, allen voran den
Leningrader Parteichef Kirow, auszuschalten. Diese Machenschaften setzen sich
auf allen Parteiebenen fort, bis hin zum kommunistischen Jugendverband Komsomol.
So geraten auch Sascha Pankratow und seine Freunde in dieses Netz von Hass und
Intrigen. Ausgerechnet Sascha, der fest an die Ideale der Revolution glaubt,
wird wegen Lapalien - er hat Spottverse in einer studentischen Wandzeitung
verfasst - verhaftet. Auch die vorsichtigen Interventionen von Saschas Onkel
Mark, dem Direktor eines großen Eisen- und stahlwerks, und dessen Bekannten,
dem Stellvertretenden Volkskommissar für die Schwerindustrie, Budjagin, bleiben
erfolglos, denn Sascha wird nur als Spielbald in eiem fingierten politischen
Komplott benutzt. Nach einer Reihe von absurden Verhören wird er zu drei Jahren
Verbannung in Sibirien verurteilt. Dort erfährt er am 1. Dezember 1934 von der
Ermordung Kirows - vermutlich auf geheimen Befehl Stalins, der dadurch die
"große Säuberung" (Robert Conquest) einleiten kann, der mehrere
Millionen Russen zum Opfer gefallen sind, die genaue Zahl ist nach wie vor
unbekannt. Das Buch schließt mit den prophetischen Worten: "Es brechen
finstre Zeiten an".
Aus den Erinnerungen Anatolij Rybakows (1911-1998), die in diesem Jahr im
Aufbau-Verlag auf Deutsch veröffentlicht worden sind, geht hervor, dass die
Hauptperson des Buches, Sascha Pankratow, der Autor selber ist. Der Roman ist in
der Tat autobiographisch. Vielleicht gerade deshalb ist er von einer
unheimlichen, ja geradezu suggestiven Kraft. Auch die Persönlichkeit Stalins,
sonst nur in Alexander Beks Roman "Die Ernennung" "lebendig"
wird hier in seinen - offensichtlich authentischen - Gedankengängen
vorgeführt. Die im Siedler-Verlag veröffentlichten "Briefe an
Molotow" 1925-1936 beweisen dies. Mit Ausnahme von Lydia Tschukowskajas
Roman "Sofja Petrowna" und dem "Requiem" von Anna Achmatowa
(dies allerdings sind Gedichte) gibt es meines Erachtens keine bessere
Darstellung des Stalinismus in den 1930-ger Jahren. Der Roman war die wichtigste
und am meisten diskutierte Neuerscheinung während der Perestroika unter
Gorbatschow, als er - nach langen Jahren in der "Schublade" - endlich
1987 in der Sowjetunion publiziert werden durfte.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 05. März 2003 2003-03-05 18:43:47