Oswald Spenglers (1880-1936) Buch "Der Untergang des Abendlandes"
gehört zu den meistgelesenen Werken der Weimarer Republik. Seiner
Kulturkreistheorie zufolge, in der Spengler den Aufstieg, die Blüte und den
Verfall von acht Kulturen beschrieb, zu denen er die russische Kultur erst
nachträglich zu beschreiben und hinzuzufügen begann, befand sich die westliche
Kultur in einer ernsten Krise, dem Zeitalter der Zivilisation. Er prophezeite,
daß sie nach einer Phase imperialistischer Kriege um das Jahr 2000
unvermeidlich untergehen werde. Freilich, bei den Denkern seiner Zeit
hinterließ Spengler damit einen großen Eindruck, denn nur so konnte
beispielsweise der begeisterte Pessimist E.M. Cioran (1911-1995) in einer
brieflichen Äußerung von 1976 meinen, er wolle den von Spengler 1918
vorhergesagten Untergang des Abendlandes unbedingt noch gern selbst miterleben.
Keine Frage, daß Spengler entsprechend heute - ob man seiner Prophetie glaubt
oder nicht - mehr denn je philosophischer Ahnherr der Globalisierungskritik ist
und wohl auf dem asiatischen Kontinent zunehmend Leser gewinnen wird.
In der vorliegenden Studie werden nicht nur die persönlichen und
sozialhistorischen Hintergründe dieses epochemachenden Buches beleuchtet,
sondern auch dessen ideengeschichtlichen Aspekte skizziert. Spengler war nicht
nur Kulturkritiker, sondern verfaßte wegweisende politische Schriften, die sich
freilich zutiefst vom leichtfertigen verbalen Katastrophismus, der Spengler oft
vorgeworfen wird, absetzen. Die Kernfrage seiner intellektuellen und politischen
Biographie lautet vielmehr: Wie kann sich ein apolitischer Außenseiter zu einem
politisch engagierten Publizisten und Aktivisten mit Kontakten zu führenden
Industriellen und Politikern Deutschlands entwickeln?
Frits Boterman zeichnet in seinem Buch den intellektuellen und politischen
Werdegang von Spengler in einer extrem detaillierten Weise nach, wie es bisher
noch niemand tat. Der von Boterman untersuchte Werdegang ist auch für die
heutige Zeit und die gewandelte Rolle der Medien in Anbetracht der immer
stärker werdenden Bedeutung von politischer Ideengeschichte und der zunehmenden
Bedeutung der Geisteswissenschaft sehr lesenswert. Das Ergebnis dieser
Fleißarbeit, welche als Dissertation ihres Autors hier publiziert wurde, kann
sich sehen lassen. Das Buch zeichnet sich durch eine bisher kaum derartig
absolvierte Übersichtlichkeit und intellektuelle Tiefgründigkeit aus, welche
sämtliche kleineren Monographien über Spengler eindeutig übertrifft.
Inhaltlich gliedert sich das Buch philosophisch-thematisch sowie
literarisch-wissenschaftsgeschichtlich im Rahmen einer Gesamtchronologie, die
alle Punkte hinsichtlich des Phänomens "Spengler" abarbeitet:
Kulturphilosophie als Allgemeines und persönliche Hintergründe(16),
Kulturphilosophie und sozialgeschichtliche Hintergründe (43), Geschichte der
Lebensphilosophie: Antirationalismus und Antipositivismus (81), Spengler im
Weltkrieg (155), Vom politischen Ideologen zum politischen Aktivisten (260),
Spengler und die Weimarer Republik (291) und Spengler und der
Nationalsozialismus (349). So verbinden sich Biographie, thematische Monographie
und philosophiegeschichtliche Einführung zu einem sinnvollen Ganzen.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis (439) mit sämtlichen
unveröffentlichten Quellen und über 100 Zeitungsartikeln Spenglers, die bisher
kaum bekannt waren, schließen diese ohne Zweifel umfassendste Monographie zum
Thema ab. Botermann schreibt hingegen selbst: "Es handelt sich nicht um
eine Biographie im übrigen Sinn des Wortes, und auch keine rein
ideengeschichtliche Monographie, sondern die Kulturphilosophie Spenglers und
seine politischen Vorstellungen und Aktivitäten sollen (...) im Kontext seiner
Zeit verstanden werden. Diese historische Untersuchung möchte einen Beitrag
sowohl zur intellektuellen als auch zur politischen Geschichtsschreibung
Deutschlands leisten." (9) Dies ist dem Buch gelungen. Wir können es
vielleicht in Übereinkunft mit Boterman als thematisch integrale Monographie
kennzeichnen, die als aktuelleres Folgewerk zu Koktaneks erster Monographie der
Nachkriegszeit gelten kann. Diese hatte damals bereits ähnlicherweise das Ziel,
"die thematische Vielfalt seines Werkes in der spannungsgeladenen Anlage
und eigenwilligen Entfaltung seiner Persönlichkeit" zu begründen (Anton
Mirko Koktanek, Oswald Spengler in seiner Zeit, 1968, S. XV) und setzte sich
damit von dem allerersten recht apologetisch auftretenden und unvollständig
bleibenden Sekundärband über Spengler ab. (Manfred Schröter, Der Streit um
Spengler. Kritik seiner Kritiker, München, 1922)
Das vorliegende Buch nun ist letztendlich eine exzellente und umfassende
Gesamtdarstellung der Diskrepanz zwischen literarischer Randposition und dem
Verlangen, eine idealisierte Stellung als Dichter-Denker einnehmen zu wollen,
von der aus man die Wirklichkeit symbolisch-mythisch erfasst. Diese Diskrepanz
und ihre weltanschauliche Dissidenz im Bunde mit einer praktizierten und
riskanten intellektuellen Unabhängigkeit ist Spenglers Eigenschaft.
Fazit
Dem wissenschaftlichen Phänomen dieses introvertierten Menschen, des homo
clausus, der das Geistige und Überparteiliche zur persönlichen Lebensmaxime
macht, trägt dieses Buch entsprechend in einzigartiger Weise Rechnung.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 03. Januar 2008 2008-01-03 21:15:03