Das für mich eindrucksvollste Buch über den deutschen Widerstand gegen Hitler
- wie auch über die Güründe seines Scheiterns - stellen die sehr
persönlichen Erinnerungen dar, die Marion Gräfin Dönhoff in diesem Buch
vorgelegt hat. Sie, die selber dem Widerstand angehörte und durch
unwahrscheinliches Glück unentdeckt blieb, schildert in sieben sehr
persönlichen Portraits ihre Freunde und deren Motive, das Attentat gegen Hitler
zu wagen: Albrecht Graf Bernstoff, Axel Freiherr von dem Bussche, Fritz-Dietlof
Graf von der Schulenburg, Helmuth James Graf von Moltke, Peter Graf Yorck von
Wartenburg, ihren Cousin Heinrich Graf Lehndorff sowie Adam von Trott zu Solz.
Deutlich wird dabei der ungeheure Wagemut und die persönliche Tapferkeit jedes
Einzelnen, der aus Abscheu vor den Verbrechen dieses Regimes zu dem Entschluss
führte, im Kampf gegen Hitler das eigene Leben - unter Gefahr auch für die
Familie zu wagen. "Nie wieder ist bei uns so existentiell gelebt worden wie
damals. So bewusst und so lange Zeit auf dem schmalen Grat zwischen Tod und
Leben. Für niemanden ist heute das Ausmaß des Risikos und die Dimension der
Gefahr vorstellbar, in der jene jahrelang gelebt haben" - so die 2002
verstorbene Autorin.
Die fünfzig Seiten zur Vorgeschichte der Verschwörung bieten - so urteilt
Hasso Freiherr von Uslar Gleichen - wohl die beste Kurzfassung von Verlauf,
Motiven und Problemen der Versuche, Hitler zu beseitigen. Zwei Aspekte werden
von Marion Gräfin Dönhoff besonders deutlich herausgearbeitet: das vergebliche
Bemühen der deutschen Opposition, im Ausland Verständnis und Unterstützung zu
finden. Außerdem kritisiert sie die Versuche der Westalliierten, die
Berichtersattung über den deutschen Widerstand - selbst noch in den ersten
Nachkreigsjahren - zu unterdrücken. So war ihr in Hamburg im Jahre 1945
erschienener Privatdruck "In Memoriam: Den Freunden des 20. Juli" (die
Grundlage des vorliegenden, um die Geschichte des Widerstandes erweiterten
Werkes) die erste Würdigung des deutschen Widerstandes, der in Deutschland
überhaupt erschienen ist. Ein Verdienst dieses Buches ist es, dass Marion
Gräfin Dönhoff aufzeigt, wie schwierig der Widerstand in einer totalitären
Diktat gewesen ist. Niemand, der nicht das Leben in einem totalitären Regime
erlebt habe, könne sich vorstellen, welcher Nervenanspannung die aktiven
Verschwörer - die Autorin gehört dazu - über Jahre hinaus ausgesetzt waren.
"Nicht nur die schwer lastende Verantwortung für Gelingen oder
Misslingen..., auch die Sorge, was ihrer Familie zustoßen werde, wenn das
Unternehmen vorzeitig entdeckt würde, war eine schwere Belastung. Es war
wirklich der "Aufstand des Gewissens.""
An anderer Stelle erwähnt sie nochmals den psychischen Druck, der auf den
Verschwörern lastete: Himmler hatte den Familien der Attentäter mit
"absoluter Sippenhaft" gedroht. Deutlich wird dies etwa in der
Würdigung ihres Vetters und Spielgefährten Heini Lehndorff. Dieses Kapitel
gehört für mich zu den ergreifendsten des ganzen Buches. Er stellte sich aus
Sorge um seine Familie seinen Verfolgern - ihm war zweimal vor der Gestapo die
Flucht gelungen. Trotz seiner Verhaftung wurden seine beiden kleinen Kinder von
der Gestapo abtransportiert und verschleppt; erst nach Kriegsende konnten sie
durch unwahrscheinlichen Zufall zusammengeführt werden.
Wenn man dies liest, so wird verständlich, dass jeder der Beteiligten nur das
Allernotwendigste wissen durfte: wie leicht konnten von einem, der gefangen und
gefoltert wurde, die Namen der anderen erpresst werden! Marion Gräfin Dönhoff
führte eine rege Korrespondenz mit dem deutschen Botschafter in Italien, Ulrich
von Hassell, - doch beiden war nicht bewusst, das der jeweils andere zu der
Widerstandsgruppe gegen Hitler gehörte. Weiterhin wird in diesem Buch deutlich
vermittelt, dass es nach Meinung von Gräfin Dönhoff Unsinn ist, die am
Attentat gegen Hitler Beteiligten in soziale Gruppen einzuteilen. "Es ist
wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Opposition gegen Hitler ja keine
Revolte im Sinne einer politischen oder sozialen Revolution war. Es war vielmehr
der Aufstand hoher und höchster Staatsdiener sowie angesehener
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die aus moralischen Gründen den
Verbrechern in dern Arm zu fallen versuchten."
Fazit: Deutsche jeder Couleur: Konservative, Sozialisten, hohe Militärs,
führende Zivilisten haben jahrelang unter ständiger Lebensgefahr gegen alle
Widrigkeiten des Schicksals und des totalitären Staates daran gearbeiet, den
Diktator zu stürzen. Nicht als Revolutionäre, so die Autorin, die eine ihnen
gefällige, angeblich die Menschheit beglückende neue Ordnung errichten
wollten, sondern weil sie nicht länger mit ansehen konnten, wie Verbrecher ihr
Land und die Nachbarländer zerstörten, das eigene Volk korrumpierten, alle
positiven Eigenschaften pervertierten und die Reinhaltung der Rasse als
höchstes ethisches ziel postulierten. In einem Satz hat es Peter Yorck vor dem
Volksgerichtshof im Angesicht des tobenen Richters Roland Freisler formuliert:
"Die entscheidende Tatsache ist der totalitäre Anspruch des Staates an den
Bürger, der gewzungen wird, seine moralischen und religiösen Verpflichtungen
gengenüber Gott preiszugeben" - so zitiert ihn Marion Gräfin Dönhoff.
Fazit
Wer die Portraits der Freunde Marion Gräfin Dönhoffs liest, dem wird anhand
der Schilderung dieser bewegenden
Einzelschicksale bewusst, wie groß der Verlust war, den Deutschland durch das
Scheitern des Attentates auf Hitler erlitten hat; die von Marion Gräfin
Dönhoff portraitierten Persönlichkeiten, die das "bessere"
Deutschland verkörperten, fehlten nicht nur der Gräfin - sie fehlten ganz
Deutschland nach 1945. Diese Tatsache verdeutlicht zu haben, darin liegt der
Verdienst dieses sehr eindrucksvollen Buches.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 02. März 2003 2003-03-02 20:18:11