Von 1933-1934 verbrachte Jean-Paul Sartre (1905-1980) als Stipendiat des
Institut Français ein Jahr in Berlin. Dort befaßte er sich, noch während der
Bücherverbrennung in Berlin-Mitte wenige Kilometer entfernt, vor allem mit der
Philosophie Hegels, Husserls und Heideggers. Die deutsche Philosophie hat das
Denken der Generation Sartres in Frankreich sehr beeinflußt - vor allem in den
30er Jahren. Es waren dies auch jene Jahre, in denen Sartre noch begann, an
seinem eigenen Buch zu arbeiteten, welches als große Auseinandersetzung vor
allem mit Heidegger gelesen werden kann. Dies merkt man als Leser auch immer
wieder, denn Sartre übernimmt die spezielle Terminologie Heideggers.
Aufgrund der Lektüre deutscher Philosophen beschäftigte er sich eingehender
mit der Phänomenologie. Unterbrochen von Kriegsdienst und Gefangenschaft nahm
Sartre nach der Rückkehr die schriftstellerische Tätigkeit wieder auf. Jetzt
vollendete er sein Werk, welches als sein philosophisches Hauptwerk gilt:
"Das Sein und das Nichts". Es erschien als Originalausgabe zuerst 1943
und fand zunächst kaum Beachtung. Nach Kriegsende hingegen wurde es zunehmend
diskutiert und bekannt. Es wurde für die Nachkriegsgeneration zum Paradigma
eines neuen Bewußtseins. Die erste deutsche Ausgabe erschien schon 1952 -
unverändert beim Rowohlt-Verlag. Mit dem vorliegenden Buch des Rowohlt-Verlages
aus dem Jahre 2007 haben wir also eine Ausgabe vorliegen, die in langer
Tradition steht, die in neuer Übersetzung mitsamt einem integrierten
Wörterbuch zum Verständnis zentraler philosophischer Begriffe ausgestattet ist
und die ein editorisches Nachwort enthält. Es liegt damit das Hauptwerk Sartres
in kompletter Neuausgabe und vorzüglicher Zusatzausstattung vor - wohl auch aus
gutem Grunde.
Die Anziehungskraft Sartres ist nämlich nach wie vor ungebrochen, wenngleich
sie vor 50 Jahren noch stärker war als heute. Er war Denker des Widerstandes,
der eine Philosophie der Freiheit entwarf, die anzuerkennen empfahl, daß der
Mensch noch in tiefster Knechtschaft ein freies und autonomes Wesen war - Worte,
die wir bisher nur aus den Religionsschriften des Hegel-Vorgängers Johann
Gottlieb Fichte kennen. Trotz bedrückendster Umstände kommt es für Sartre
darauf an, was der Mensch selbst aus den widrigsten Umständen zu machen
befähigt ist. In einem neuen Sekundär-Buch über Sartre heißt es dann auch,
es war eine Philosophie, die "den Menschen als Projekt entwarf."
(Peter Bürger, Eine Philosophie des Als-Ob, 2007, S. 7)
Wir haben es also mit der freiheitsbewußten Bestimmung der Seinsweise des
Menschen zu tun, mit einer Ontologie (Lehre vom Seienden und der Realität), in
deren Mittelpunkt Sartre den Begriff der Freiheit stellt. "Der Mensch ist
zur Freiheit verurteilt." So lautet das berühmte Diktum. Und zwar ist er
deshalb zur Freiheit "verdammt" - wir sagten es bereits - weil er sich
immer wieder neu als Projekt seiner selbst in Zeit und Raum hinein entwerfen
muß - auf der Suche nach Identität und Selbstbewußtsein, mit dem Ziel der
Selbstrechtfertigung aus Freiheit. Gerade an dieser Stelle werden die Bezüge
Sartres zur Philosophietradition Deutschlands überdeutlich, war doch die
deutsche Philosophie seit Kant und Hegel ebenso darauf bedacht,
erkenntnistheoretisch mittels einer metaphysisch-anthropologischen Fundierung
die eigene philosophische Grundlegung und sogar die philosophische
Selbstrechtfertigung einer entsprechend eigenen Staatsform zu entwerfen. Die
deutsche Philosophie stellt als Entwurf eine ideale, freie und gemeinschaftliche
Realität auf, die sich aus dem Geiste von Idealismus, Realpolitik,
Anthropologie, Entfremdungskritik, integraler Kulturidee und geistiger
Selbstbehauptung speist. (Vgl. Daniel Bigalke, Der Streit um die deutsche
Nachkriegsdemokratie. Zweihundert Jahre deutsches Staatsdenken und
bundesdeutscher Parlamentarismus im Fokus einer neuen Wissenschaft von Politik
und Reflexion, 2007, S. 41 ff.)
Mehr noch: Es finden sich auch Abschnitte in Sartres Hauptwerk, die sich mit den
zwischenmenschlichen Beziehungen befassen. So sind sehr interessant die
Ausführungen zur "Unaufrichtigkeit" (119) des Menschen, über den
"Körper" (633) oder über die "Existenz Anderer" (405). In
letzterer Abhandlung widmet Sartre ein ganzes Unterkapitel (III, 424)
ausschließlich Husserl, Hegel und Heidegger, um die Beziehung zwischen
"Ich" und "Anderem" - in Fichtes Worten zwischen
"Ich" und "Nicht-Ich" - auszumachen: "Die Philosophie
des 19.und 20. Jahrhunderts hat offenbar begriffen, daß man dem Solipsismus
nicht entgehen kann, wenn man das Ich-Selbst und den Anderen zunächst unter dem
Gesichtspunkt zweier getrennter Substanzen betrachtete: jede Vereinigung dieser
Substanzen muß ja für unmöglich gehalten werden." (424) - Und jetzt die
charakteristische Schlußfolgerung Sartres: "Der Wert meiner Anerkennung
durch den Anderen hängt von der Anerkennung des Anderen durch mich ab. (...) Um
zu erreichen, daß der Andere mich anerkennt, muß ich mein eigenes Leben
dransetzen." (431) Sartre meint also: Daß mich ein anderer im unendlichen
Prozeß von "Selbstbezug-im-Fremdbezug" (Johannes Heinrichs)
anerkennt, hängt allein davon ab, wie ich es als Projekt meines Lebens infolge
meiner eigenen Erkenntnis anstelle, daß mich der Andere anerkennt. Ganz klar,
wird so mancher sagen, die Anerkennung durch andere funktioniert über unsere
Anerkennung anderer. Was wir säen, das ernten wir. Und so ist es, denn Sartre
analysiert das Verhältnis zum Anderen auf sehr originelle Weise: über den
Blick. Andererseits rückt er zwei Phänomene exemplarisch in den Vordergrund:
das Begehren und die Liebe.
Insgesamt führen seine Gedanken stets zum Einen zurück: Er gründet das
menschliche Engagement in der subjektiven Selbstwahl, die sowohl politischen
Dezisionismus aber auch die subjektive Entscheidung beinhaltet, das Leben
bewußt aus eigener Entscheidung zu führen und zu gestalten. Die absolute
Freiheit des Menschen gipfelt tagtäglich auch in der eigenen Verantwortung für
die Welt. Sartre bezeichnet es als die vordringlichste Aufgabe jedes Menschen,
sich seine eigene Welt zu schaffen, indem er sie entwirft. Der Entwurf geschieht
ohne jedes Einwirken seitens der Gesellschaft. Der Mensch ist gleichsam dazu
verdammt, die eigene Existenz stets neu zu entwerfen. Er ist nichts anderes als
das, wozu er sich macht. Man solle sich also auch nicht in eine Gesellschaft und
deren Parteien verstricken und einbinden lassen. Keine Frage, daß dieser
Appell, diese Rückkehr deutscher Philosophie über Frankreich nach Deutschland,
in der Nachkriegszeit auch in Deutschland bei jungen Menschen wieder auf offene
Ohren traf, hatte doch die Bundesrepublik der 50er Jahre und ihre Gesellschaft
bis auf schöngeistige und sozialmarktwirtschaftliche Imperative als Lehre der
schwarzen Vergangenheit wenig wirklich substanzielles zu bieten.
Das Individuum behauptet sich mit Sartre eben trotz vielfältiger Zwänge,
auftretend als soziale, politische, historische, kulturelle, psychische
Schranken und Moden. Es liegt allein an der Entscheidung des Menschen selbst,
seine vorgefundene Situation - man denke an Heideggers "Geworfenheit"
- auf sich zu nehmen, um sie strategisch zu überschreiten und entsprechend in
authentischer Weise sich selbst zu leben, oder sich dieser Situation so
anzupassen, daß der Mensch sich verdinglicht und sich über Parteien und
soziale Knechtschaft selbst prostituiert. Sartre nennt den letzten Weg dann
"Inauthentizität".
Fazit
Keine Frage, die Lebensgrundmaximen Sartres sind im Zeichen allgemeiner
"Verhartzung" der Menschen wieder aktuell geworden. Sein Buch damit
ebenso - denn es ruft uns zu: "Werde, der Du bist" (Nietzsche).
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 22. Dezember 2007 2007-12-22 13:13:33