Alle politischen Begriffe sind für Carl Schmitt (1888-1985), politischer
Philosoph und Staatsrechtler, polemischen Inhalts. Sie haben eine konkrete
Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren
letzte Konsequenz eine Freund-Feind-Gruppierung ist. Sie werden deshalb auch zu
leeren Abstraktionen, wenn diese Unterscheidung entfällt. Worte wie Staat,
Republik, Gesellschaft, Klasse, Souveränität, Diktatur, Plan und Rechtsstaat
seien unverständlich, wenn man nicht weiß, wer konkret durch ein solches Wort
getroffen, bekämpft oder negiert werden soll. So nennt z.B. Machiavelli
tatsächlich alle Staaten Republiken, die nicht Monarchien sind. Die Demokratie
war für Schmitt deshalb konsequenterweise ein polemischer Begriff der Negation
von Monarchie. Die sogenannte demokratische Öffentlichkeit sei eine Fiktion des
Liberalismus, weil es sie als solche nicht gebe. Sie sei manipuliert, absorbiere
Meinungen und schalte gewisse Meinungen aus.
Daß diese Absorption zumindest in der akademischen Auseinandersetzung auf
kleinen Inseln des Geistes, beruhend auf Respekt, Sympathie und Aufrichtigkeit,
trotz inhaltlicher Kontroverse eintraf, davon zeugt der nun vorliegende
Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und dem Philosophen Hans Blumenberg. Es ist
dies ein Briefwechsel zwischen zwei Denkern, die unterschiedlicher kaum sein
konnten. Und dennoch, es war der rein wissenschaftliche Reiz, der beide
zueinander führte. Er war es, der den Staatsrechtler Schmitt, welcher auch
kritische Betrachtungen über das Judentum anstellte, und den Philosophen
Blumenberg, der als Halbjude zu leiden hatte, zusammenführte. Es ist dies ein
grandioses Beispiel, wie zwei Menschen bis heute kultivierte Ressentiments
übereinander ablegten, um sich einer kontroversen geistigen Debatte hinzugeben,
die die gegenseitige Achtung als Mensch unabhängig von verfassten kritischen
Schriften übereinander automatisch einschloss und den naiven Trugschluß, von
einer kritischen Haltung gegenüber dem Judentum zu Menschenverachtung im
speziellen Falle zu gelangen (dieser primitive Trugschluß über den
"Kronjuristen" soll ja schonmal vorgekommen sein!), ausschloss.
Und so schrieb Blumenberg stolz 1977 an seinen Kollegen Jakob Taubes: "Ich
möchte Ihnen daher auch das nackte Faktum mitteilen, daß ich 1971 den Kontakt
zu Carl Schmitt gesucht und gefunden habe." Es war dies der Beginn einer
fruchtbaren Kontroverse, die mit Blumenbergs Buch "Die Legitimität der
Neuzeit" (1966) begonnen hatte. Schmitt hatte Blumenbergs Einwände gegen
seine Theorie zwar ernst genommen, sie aber zugleich dezidiert zurückgewiesen.
Ihre Fortsetzung fand die Auseinandersetzung in zahlreichen bisher nicht
publizierten Briefen, die Blumenberg und Schmitt über die Grundlagen
neuzeitlicher Weltsicht und Anthropologie aber auch über Geschichtsphilosophie,
Eschatologie und Selbstmord wechselten. Die zudem im vorliegenden Buch
befindlichen Textausschnitte aus den jeweiligen Büchern Schmitts
("Politische Theologie II", 1970) und Blumenbergs ("Die
Legitimität der Neuzeit", 1966) verdeutlichen entsprechend sehr gut, auf
welche Stellen jeweils in den Briefen Bezug genommen wurde.
Blumberg sieht die Säkularisierung nicht als einfachen Prozeß der Auflösung
traditioneller Religion, sondern als eine Verwandlung der Wertordnung in
verschiedene institutionelle ‚Ideologien’, die immer nur noch die
Faktizität der institutionseignen Wirkungszusammenhänge unterbauen. (20) Er
betont also die Pluralität der sich immer selbst reproduzierenden Ideologien
und dazu gehörte für Blumenberg der absolute Anspruch der Theologie, politisch
fassbare Realität zu sein. Hier also ergibt sich der spannende
Anknüpfungspunkt zu Schmitt, der im Gegenzug in seiner Politischen Theologie II
(1970) über Blumbergs Buch schreibt: "Dieses Buch setzt die
Nicht-Absolutheit absolut und unternimmt eine wissenschaftliche Negierung jeder
Politischen Theologie (...)." (35)
Der entsprechend erste Brief Blumbergs an Schmitt vom 24.03.1971 zeugt dann auch
von charakterlicher Größe und ehrlicher Selbstkritik, wie man sie sich heute
wünscht: "Sie haben sich mit Recht gegen die "pauschale
Vermischung" Ihrer Thesen mit allen möglichen Verwendungen des Ausdrucks
Säkularisierung gewehrt." (105) Diese die eigenen Fehler gestehende
Größe Blumbergs gipfelt immer wieder in tiefsten Respekt vor Schmitt, der
immerhin zum Zeitpunkt des Briefwechsels seit 25 Jahren unfreiwillig persona non
grata war, latent aber immer wieder für viele als zentraler Ratgeber fungierte.
Geistige Qualität war eben gefragt! Man stelle sich vor, Jürgen Habermas
schriebe einen selbstkritischen Brief an Ernst Nolte und entschuldigte sich für
sein "herrschaftsfreies" Vorgehen beim von ihm 1986 vom Zaun
gebrochenen ersten Historikerkrieg gegen Nolte! Wo heute gesinnungsbeflissene
und infantile Niedertracht herrscht, haben wir hier hingegen ein Exempel
wirklich geistig hochwertiger Auseinandersetzung vorliegen - rotz der enormen
Differenz der Positionen Blumenbergs und Schmitts.
Schmitts Antworten sind geprägt von tiefem Interesse und dem Bedürfnis,
Blumenberg über nichts, was in der Fachwelt über beide gesagt wird, im
Unklaren zu lassen. Dies ist etwa ausdrücklich im Brief vom 28.12.1977 an
Blumenberg Schmitts Anliegen. In sehr gediegener Sprache geht es ihm um
Offenheit und beiderseitiges Wohlwollen. Schmitt nimmt sogar, um dies zu
verdeutlichen, in einem Brief Bezug auf Otto Weininger, der stenographische
Notizen für eine Entwürdigung des Wortes gehalten habe. Dies spricht dafür,
wie sehr Schmitt an einem ehrlichen und persönlichen Briefwechsel lag, der sich
nicht mechanisch in Dank für die jeweils zugesandten Widmungsexemplare ihrer
Bücher erschöpft, sondern der auch inhaltliche Tiefe bei gegenseitiger
Lektüre repräsentiert.
Blumenberg gibt nach erfolgter Korrespondenz in späteren Ausgaben seiner
eigenen Bücher Schmitt an renommierter Stelle Recht: "Carl Schmitt hat
sich darüber beklagt, ich hätte dadurch Anlaß zu Mißverständnissen gegeben,
daß ich eine pauschale Vermischung seiner Thesen zur Säkularisierung mit
anderen, mit allen möglichen konfusen Parallelisierungen religiöser (...) und
politischer Vorstellungen, vorgenommen hätte. Dieser Vorwurf ist
berechtigt." (63) So ergibt sich ein Briefwechsel, der geradezu in eine
sehr produktive Zusammenarbeit mündet und Einfluß auf die Optimierung der
jeweiligen Publikationen hatte. Blumbergs Kritik an Schmitt zielt stets auf eine
mißbräuchliche Verwendung von Metaphern. Deshalb beschreibt Blumenberg in
seinen Werken intensiv die Umdeutung des Verhältnisses von begrifflicher und
metaphorischer Sprache. Dabei hat er selber oft die Nähe metaphorologischer
Verfahren zum Dezisionismus betont. Und genau damit begibt er sich - wissentlich
- wieder auf das Gebiet Politischer Theologie, die ihn mit Schmitt verbindet.
Dieser bei Suhrkamp vortrefflich edierte Briefwechsel zwischen beiden
dokumentiert eine Auseinandersetzung auf gleicher Ebene trotz inhaltlicher
Vorbehalte. Zentraler Anknüpfungspunkt beider ist immer wieder die Politische
Theologie. Fünfzehn Briefe liegen jetzt vor. Sie werden durch kontextgebundene
Materialien und Originaltextauszüge, auf die sich Briefstellen beider beziehen,
sinnvoll ergänzt. Ein interessanter Bildteil mit Abbildungen der Briefe und mit
Schmitts Handexemplaren von Blumbergs Büchern beweist rein optisch anhand der
vielen handschriftlichen Bemerkungen am Rande, daß sich Schmitt intensiv mit
Blumberg befaßte. Diese hier erstmals veröffentlichten Dokumente runden die
spannende Aufarbeitung des Blumenbergschen Nachlasses, zu dem auch die bisher
schon rezensierten Essays über Ernst Jünger gehören, ab.
Trotz heftiger Kontroverse zeugt dieser Briefwechsel von gegenseitiger
Hochachtung im Dienste der freien Wissenschaft. Die prekäre Rolle des
Wissenschaftlers unter parteienstaatlichen Verhältnissen wird damit erstaunlich
offensichtlich, weil Wissenschaftler unter parteilichem Rechtfertigungsdruck
nicht frei forschen können, womöglich dies angesichts finanzieller
Perspektiven seitens staatlich erwünschter Forschungsbereiche gar nicht
möchten. Die eigentliche Wissenschaft - und dafür haben wir hier ein Beispiel
vorliegen - bildet den Menschen zu einer offenen Anschauung, so daß der heutige
ideologisch gebundene Brotgelehrte dahingehend wesentlich anschauungslos ist.
Nur durch diese offene Anschauung wie z.B. bei Schmitt und Blumenberg ist der
Wissenschaftler mehr als eine klug eingerichtete Maschine. Andernfalls - als
Maschine des akademischen Betriebs - hat man auf ewig Angst vor gewissen
"Haltungen", sucht sich ideologische Feinde und agiert damit schon
selbst wieder potentiell polemisch, womit Schmitts Definition des Politischen
sich bestätigen würde.
Fazit
Gesinnungsbeflissene Brotgelehrte der Gegenwart sollten sich also ein Beispiel
daran nehmen, wie "unliebsame" Positionen und Vertreter der
politischen Rechten, namentlich Schmitt, oder Konservative damals noch
konstruktiver Kernbestand der freien Auseinandersetzung sein konnten, während
man sie heute in Gänze negiert. Dieser Mangel an Offenheit und Gänze ist ein
großer Fehler - wie sich in den nächsten Jahren zeigen wird.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 20. Dezember 2007 2007-12-20 10:38:14