Neben Helmuth Kiesels werksgeschichtlich orientierter Ernst Jünger-Biographie
(Siedler Verlag 2007) und Heimo Schwilks Jünger-Buch (Piper Verlag 2007) ist
auch im Suhrkamp-Verlag ein Buch über Jünger erschienen, welches sich tadellos
in die Jünger-Renaissance der Gegenwart einfügt. In der Geistesgeschichte des
20. Jahrhunderts gibt es kaum eine spannendere Konstellation als die zwischen
dem Philosophen Hans Blumenberg und Ernst Jünger. Jünger, in Blumbergs Sprache
der "Mann vom Mond", gehört zu jenen wenigen Schriftstellern, die
sich zwischen Kaiserreich und Postmoderne bewegten und damit Repräsentanten
eines Jahrhunderts sind.
Konstruktiv und kritisch setzt sich Blumenberg nun in den hier versammelten
Aufsätzen mit Jünger auseinander. Konstruktiv meint hier, daß sich Blumbergs
philosophische wie auch philologische Interpretationen um die beiden Brennpunkte
einer Ellipse bewegen: eigener Sachzugang Blumbergs als Leser einerseits und
Textverständnis als solches andererseits. In beiden Fällen gibt es ein Hin und
Her zwischen dem Text als solchem und dem eigenen subjektiven Sachzugang. Das
Ergebnis: eine Ellipse mit den beiden Brennpunkten Sache und Text. Bei Blumberg
befindet sich die Ellipse in vorzüglicher Balance - Verständnis des
jüngerschen Textes und eigener Sachzugang zu ihm sind ausgewogen und man merkt,
daß Blumberg Jüngers Schriften ernst nimmt, diese aber philosophisch im
eigenen Sinne interpretiert und versteht. Es entsteht die Ausgewogenheit eines
fruchtbaren Lesens.
Herausgegeben wurde das Buch von Alexander Schmitz und Marcel Lepper. Es ist ein
brillanter Ausdruck dafür, daß Blumenberg sich nicht nur intensiv mit
Literatur auseinandergesetzt hat, sondern seit der Nachkriegszeit auch dem Werk
Ernst Jüngers zahlreiche brillante Texte gewidmet hat, die heute dem besseren
Verständnis Jüngers zu dienen befähigt sind. Durchaus mit Bewunderung für
Jüngers stilistische Präzision, jedoch mit ebenso nicht entschuldigender
Kritik an den politischen Einstellungen Jüngers nehmen sie die
"Jahrhundertgestalt" in den Blick. Dabei zeigt sich zunehmend, daß
sich die ausgewogene Ellipse aus Text und subjektivem Sachzugang zugunsten einer
ebenso ausgewogenen Ellipse entwickelt, welche sich zu einer solchen bestehend
aus tieferer Affinität zu Jünger und inhaltlicher Kritik an ihm ausweitet.
Dieser Band nun versammelt die weitgehend unveröffentlichten Jünger-Artikel
und Glossen aus dem Nachlass des Philosophen - versehen mit einem editorischen
Kurzkommentar. Wichtige denkerische Elemente, die Blumberg bei Jünger
feststellt, kommen zum Ausdruck. Blumberg faßt sie zur Charakteristik Jüngers
oft in kurze Formeln: "Leere als Ergebnis der Fülle",
"Abenteurer, Krieger, Protagonisten der totalen Organisation und neuer
Theologe". Philosophisch versiert erkennt Blumberg eine entscheidende
Diskrepanz, welche zur Lebensfrage Jüngers geworden sei: Entweder sei für
Jünger das Leben überhaupt sinnlos gewesen, dann wäre er Nihilist, oder aber
er hat den Sinn über die Realität hinaus verortet. Dann wäre Jünger der
Transzendenz verhaftet gewesen. Zugleich macht Blumberg daran die methodische
Synthese in Jüngers Schriften deutlich - den Atheisten und später bekehrten
Katholiken.
Interessant ist, daß Blumberg in Jünger einen typischen Platoniker sieht: Er
erinnere uns daran, daß die neuzeitliche Erfahrungswissenschaft - der
Empirismus seit Hume - nicht aus dem realitätsfreudigen Aristotelismus, sondern
aus dem erscheinungsflüchtigen Platonismus hervorgegangen ist. Der Leser hat es
also mit sehr erleuchtenden und kurz leserlichen Kommentaren philosophischer Art
zu zentralen Büchern Jüngers und zu zentralen Begriffen
("Marmorklippe", "Komet", "Gnosis") zu tun.
Darunter frischen Anekdoten aus Jüngers Lebensalltag die Lektüre auf, so
beispielsweise eine nur von Jünger bewahrte Nietzsche-Anekdote bzgl. eines
Heiratsantrages Nietzsches an Lou Salomé oder aber auch eine Anekdote zu
Jünger selbst hinsichtlich der Reaktion Gottfried Benns, als Jünger ihm zuerst
sein "Heliopolis"-Buch 1949 mit Widmung zusandte.
Erleuchtend sind Blumbergs Kommentare zu einer BILD-Schlagzeile des Jahres 1993,
die lautete: "Ein großer Deutscher liegt im Sterben...". Jünger sei
bei seinen subtilen Jagden von einer Zecke gebissen worden, wonach eine
tödliche Lähmung eintrat. Die Unterschichten-Gazetten warteten hier keine
abschließende Bestätigung aus Wilflingen über Jüngers Gesundheitszustand ab
und stilisierten einen Todeskampf. Jünger selbst aber war nicht schwer krank
und dachte hämisch, daß wir in einer Zeit lebten, in der wirklich große
Abgänge wohl nicht mehr denkbar seien. Und so habe er lakonisch gesagt:
"Von denen" - gemeint sind die Zecken, nicht die
Unterschichten-Gazetten - "muß ich mich ja nicht gerade beerdigen
lassen."
Blumbergs Fazit nun, es besagt, daß Jünger das Leben als Experiment bejahte,
selbst wenn er es für ablehnenswürdig hielt: "Jüngers experimentierender
Stil schließt aus, daß sich aus seinen Erfahrungen ein Ismus, eine Doktrin
ergibt; aber auch, daß der Mitmensch zum Objekt wird. Daß Jünger stramm
nihilistisch ist, stellt für ihn eine jener äußersten Möglichkeiten dar, die
das Experiment nicht auslassen darf."
Fazit
Leben als Experiment mit dem Potential, das Äußerste zu erleben - das sind die
Elemente, die Blumberg an Jünger schätzte, ebenso wie die Schärfe der
jüngerschen Selbsterfahrung, die gerade seinen Aussagen trotz ihrer Schärfe
eine unangefochtene Legitimation verleiht.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 25. November 2007 2007-11-25 15:37:01